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Das Flüchtlingsproblem in Österreich

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Nach den neuesten Angaben des Bundesministeriums des Inneren befinden sich derzeit in Österreich 605.691 DP, davon deutschsprachige Flüchtlinge 426.666 in folgender Aufteilung auf die Bundesländer:

linge ist nicht nur ungeklärt, sondern ’derzeit fast hoffnungslos, da diese nicht einmal das Recht der „Staatenlosen“

besitzen, denen nach dem ersten Weltk.i der Nansenpaß zuerkannt wurde. — D;c österreichische Regierung hat wiederholt ihre Bereitwilligkeit kundgetan, nach Möglichkeit diese Flüchtlinge in den österreichischen Staatsverband aufzunehmen, da sie für den Aufbau des Landes vieler tüchtiger Arbeitskräfte bedarf. Doch Österreich selbst ringt um seinen Staatsvertrag, um seine Freiheit und kann auch wegen seiner eigenen wirtschaftlichen und sozialen Not verhältnismäßig wenig für die Flüchtlinge tun. Denn man hat Österreich noch nicht das Recht zuerkannt, diesen 400.000 Heimatvertriebenen ein Asyl zu geben. Auch die auf Grund eines Arbeitsnachweises in einem Mangelberuf von den österreichischen Behörden ausgestellte „Aufenthaltsbewilligung“ wird nicht von allen Besatzungselementen anerkannt. Wäre nicht trotz der eigenen Armut und Bedürftigkeit doch viel christliehe Hilfsbereitschaft im österreichischen Volke still und tatkräftig am Werke, wäre fürZehntausendedieserFlücht- linge das Leben überhaupt unerträglich.

Die Bischöfe Österreichs, an der Spitze der Erzbischof von Wien, haben besonders durch die Organisation der Caritas-Flücht- lingsfürsorge im Laufe von über zwei Jahren viel zur Linderung der bittersten Not der Flüchtlinge getan. In Wien wurden zum Beispiel bisher 375,63 Tonnen Lebensmittel und 9737 Kleidungsstücke an Flüchtlinge verteilt. Da die weit über

100.0 in Lagern befindlichen, aber auch die übrigen privat meist notdürftig untergebrachten Flüchtlinge einer seelsorglichen Betreuung bedürfen, hat der Ordinarius von Wien eigene Flüchtlingsseelsorger für die Lagerinsassen bestellt.

Dennoch ist das Helfen fast immer wieder ' wie ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. Die Not dieser Unglücklichen wächst von Monat zu Monat, da auch ihre Zahl immer noch im Steigen begriffen ist. Zur Linderung der unsagbaren Nöte ganzer Volksgruppen, wie sie die deutschen Flüchtlinge darstellen, wird für die kommenden Monate die „W elt- Caritas“ eindringlich aufgerufen werden müssen.

Hier sei aber auch im Namen der österreichischen Caritasstellen ausgesprochen:

Diesen 400.000 deutschen Flüchtlingen muß auch Gerechtigkeit auf Grund des Naturrechtes widerfahren. Ihre natürlichen Menschenrechte müßten ihnen ebenso wie den übrigen andersnationalen DP von der IRO zuerkannt und garantiert werden, die Alliierten müßten der österreichischen Regierung die Freiheit lassen, diese Flüchtlinge durch ein eigenes Flüchtlingsgesetz zu schützen.

Die einzig gerechte und zugleich meist karitative Lösung dieses ganzen schweren, für Österreich so verantwortungsvollen Flüchtlingsproblems ist und bleibt die R e- patriierung der Volksdeutschen Heimatvertriebenen in ihre Ursprungsländer, wo die Wohnungen . leer, die Felder unbebaut, die Arbeitsplätze frei stehen. Bis der Tag dieser gerechten Lösung der Flüchtlingsfrage von Gott gefügt und durch unermüdliche menschliche Friedensmühe anbrechen kann,- laßt uns nicht ermüden in den Werken der christlichen Liebe!

Es sei hier ein Einzelschicksal geschildert, Wie ich es täglich unter den armen heimatlosen Flüchtlingen erfahre. Mit dem Flüchtlingsstrom kommt eine junge, abgehärmte Frau zu mir. Den Liebreiz der Jugend konnte selbst das schwere Erlebnis der furchtbaren Tage nicht ganz aus dem schmalgewordenen Gesicht der Volksdeutschen Frau bannen. Die noch jugendliche Gestalt ist trotzdem ein Bild des Jammers.

In den letzten Tagen des unheilbringenden Krieges wurde auch diese junge Frau mit ihren beiden kleinen blondlockigen Buben in ein Lager gesteckt. Nicht in ein solches Lager wie hier in Wien, wo österreichische und alliierte Freunde den armen Vertriebenen, so gut es geht, helfen. Es war eine Herberge des Elends mit allen Schikanen, die Haß und Verblendung sich ausgedacht haben. — — — Im Lager drückt die arme junge Frau die Kleinen, ihr letztes, ihr kostbarstes Gut, an ihr Herz. Sie läßt die Kinder nicht von ihrer Seite, Tag und Nacht gilt ihre Sorge ihnen.

Da kommt eines Tages eine fremde, elegante Frau ins Lager, die interessiert alle Kinder beschaut. Bei der jungen Frau bleibt sie stehen, wendet sich in fremder Sprache zu ihrem Begleiter und sagt dann, auf die beiden Kinder zegend, in gebrochenem Deutsch: „Die kleinen Buben ich behalte.“

— Bevor noch die Mutter bestürzt den Sinn dieser Worte erfaßt hat, reißt man schon die Kinder von ihrer Seite. Die beiden Kleinen beginnen herzzerreißend zu weinen. — Aber der ungleiche Kampf ist rasch beendet. — Ohnmächtig fällt die junge Frau zusammen.

— Als sie aus der wohltuenden Ohnmacht erwachte — war sie allein!

Die nächste Gelegenheit, die sich ihr bot, benützte sie, aus dieser Hölle zu entfliehen, in der man ihr sogar die Kinder geraubt hatte. Jetzt sucht sie in Wien ein Asyl, einen Arbeitsplatz, und will nach ihrem Gatten forschen, der noch in der Ge- ' fangenschaft sein könnte. Seit dem Frühjahr 1945 hat sie keine Nadcricht mehr von ihm. Ihn zu finden ist das Letzte, was diese schwergeprüfte junge Frau noch am Leben hält. Denn ihre Buben wird sie nicht mehr sehen. Trotzdem geht ein stilles Leuchten über ihre abgehärmten Züge, wenn sie sagt: „Vielleicht wird die Stimme des Herzens auch einmal bei meinen beiden Buben sprechen, bis sie groß sind, dann-kommen sie sicher zurück in ihre Heimat oder dorthin, wo unsere Volksdeutschen eine neue Heimat gefunden haben werden.“

Ein einziger Ausschnitt aus dem namenlosen Flüchtlingselend, das ich in nächster Nähe täglicHerlebe ...

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