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Es fehlt das Verständnis

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Was bedeutet es für einen Menschen überhaupt, ein Flüchtling zu sein? Was heißt es, aus einer wohlvertrauten Umwelt herausgerissen zu werden, seine Heimat verlassen und sich neu - in Österreich - zurechtfinden zu müssen? Die FURCHE lud zwei heute in Österreich lebende Flüchtlinge (einer aus der Tschechoslowakei, einer aus Paraguay) ein, die Erfahrungen mit ihrem Schicksal in einem Bericht selbst zu schildern.

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Was bedeutet es für einen Menschen überhaupt, ein Flüchtling zu sein? Was heißt es, aus einer wohlvertrauten Umwelt herausgerissen zu werden, seine Heimat verlassen und sich neu - in Österreich - zurechtfinden zu müssen? Die FURCHE lud zwei heute in Österreich lebende Flüchtlinge (einer aus der Tschechoslowakei, einer aus Paraguay) ein, die Erfahrungen mit ihrem Schicksal in einem Bericht selbst zu schildern.

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Als die Maschine auf dem Flughafen Wien-Schwechat landete, hatten wir das Gefühl, endlich am Ende eines langen Leidensweges angelangt zu sein -die Verfolgung, die Gefangenschaft -hier gehörten sie bereits der Vergangenheit an.

Kaum hatten wir das Flugzeug verlassen, wurden wir von Beamten des Innenministeriums in Empfang genommen und sofort ins Flüchtlingslager Traiskirchen gebracht. Unsere ersten Eindrücke von Österreich bekamen wir dort.

In der ehemaligen Kaserne lebten rund 2000 Flüchtlinge aus vier Kontinenten, die meisten aus dem Ostblock. Das Zusammenlebe!} der Ostflüchtlinge mit uns Lateinamerikanern dort war spannungsgeladen und von gegenseitigem Nichtverstehen geprägt.

Daß jemand seine Heimat verläßt, nur weil er mit den Verdienstmöglichkeiten, dem Versorgungssystem und der Freiheitsbeschränkung nicht zufrieden ist, und jetzt davon träumt, in den USA oder Australien reich zu werden, erschien uns unvorstellbar.

Die Flüchtlinge aus dem Osten wieder konnten nicht glauben, daß bei uns in Lateinamerika Analphabetentum u'nd Arbeitslosigkeit herrschen, daß ein hoher Prozentsatz der Lateinamerikaner verhungert und unter Mangelkrankheiten leidet - und das alles in der westlichen, christlichen und kapitalistischen Gesellschaft, die den Ostflüchtlingen naiverweise als das Paradies erscheint.

Die Organisation des Lagers trug zur Klimaverschlechterung erheblich bei. Man spürte sofort, daß die Lagerbeamten ihre Arbeit nicht schätzten, es gab keine Sympathiegeste für die Flüchtlinge, und die Geringschätzung war nur allzu deutlich spürbar.

Vor der einzigen Essensausgabestelle wartete dreimal täglich eine lange Schlange von Flüchtlingen stundenlang auf das Essen. Obwohl es im Lager ein Alkoholverbot gab, existierte eine Kantine mit Alkoholausschank.

Auseinandersetzungen und Raufereien waren an der Tagesordnung im Lager, zumeist waren Angehörige des Ostblockes daran beteiligt. Etliche Male haben diese Raufereien Todesopfer gefordert.

Im allgemeinen wird von der Flüchtlingshilfsstelle des Innenministeriums -nach sechsmonatigem Aufenthalt im Lager, während dem wir Deutsch lernen sollten - weitere Hilfe und eine Wohnung versprochen. Unter den geschilderten Umständen sind sechs Monate allerdings eine lange Zeit:

Einmal wurde eine Frau von zwei Männern überfallen. Als Zeuge des Überfalls ersuchte ich bei der Gendarmeriestelle des Lagers um Intervention und wurde mit den Worten „Wenn Ihnen etwas nicht paßt, gehen Sie doch in will weg aus Österreich, egal wohin. Doch das ist nicht möglich.

Nach unendlich lang scheinender Zeit im Flüchtlingslager bekommt man endlich doch eine Wohnung zugewiesen. Einige haben auch einen Job gefunden. Nur ganz wenigen gelingt es, das in der Heimat begonnene Studium in Wien fortzusetzen.

Endlich eine eigene Wohnung. In der Nachbarschaft spürt man, daß man als Flüchtling, als Ausländer, eine unerwünschte Person ist. Ein „Grüß Gott" oder „Guten Tag" wird häufig nicht beantwortet.

Wenn man aus einem heißen Land Südamerikas kommt, ist die Kälte hier in Österreich ein Schock. Aber nach kurzer Zeit spielt dieses feindliche Klima eine untergeordnete Rolle.

Viel wesentlicher ist, daß man mit den Einheimischen kaum Kontakt aufnehmen kann, nicht nur wegen der Sprachbarrieren, sondern vor allem wegen der ablehnenden Haltung eines Großteils der Bevölkerung Flüchtlingen gegenüber. Die allgemeine Ablehnung spürt man auf den ersten Blick.

Für die Ostflüchtlinge, die Österreich nur als Durchgangsland betrachten, spielt diese Haltung der Österreicher weiters keine so große Rolle. Im Gegensatz dazu sollen wir Lateinamerikaner unser Leben hier verbringen.

Die Ablehnung seitens der Bevölkerung bewirkt eine verstärkte Bindung an die Landsleute, mit denen man die lebensnotwendigen menschlichen Kontakte aufrechterhalten kann. Der seinerzeitige Optimismus ist längst verflogen und hat einer pessimistischen Einschätzung der Lage Platz gemacht.

Die Leute, die Sitten, die Sprache, alles scheint schrecklich zu sein. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß Österreich Flüchtlinge nur des politischen Prestiges wegen aufnimmt.

Es kommt selten vor, daß ein Österreicher Kontakt zu einem Flüchtling aufnimmt. Die Überraschung ist groß: der Flüchtling schöpft wieder Hoffnung, und der Einheimische entdeckt, daß auch der Flüchtling ein Mensch ist, wie jeder andere auch.

Manchmal kommt es vor, daß ein Flüchtling auch zu österreichischen Fa-

milien eingeladen wird. Ab und zu gibt es auch Hilfe von Österreichern beim Einkauf, man gibt uns Ratschläge bei Amtswegen. Selten, aber doch, bekommen wir das Gefühl, nicht in einem Getto zu leben.

Das Asyl in Österreich hat nur unsere Sicherheitsprobleme gelöst, nicht aber die Probleme des täglichen Lebens, die der Eingliederung in die Gesellschaft.

In diesem Punkt kann jeder Mensch, der guten Willens ist, eine wertvolle Hilfe leisten, indem er ganz einfach Kontakte zu FlUchlingen knüpft.

Anteilnahme und Verständnis brauchen wir Flüchtlinge mehr als Brot.

Andres Corrales (34), mußte aus politischen Gründen sein Heimatland Paraguay in Lateinamerika verlassen. Im Juni 1977 kam er mit seiner Frau und einer kleinen Tochter nach Österreich. Inzwischen studiert er Politikwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet an einer Dissertation.

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