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Die Pforte nach dem Westen

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„Die politische Unsicherheit und die schwierige wirtschaftliche Lage läßt in absehbarer Zeit eine weitere, ganz große Welle von Flüchtlingen erwarten, die die Zahl 100.000 erreichen könnte.“ So sieht Otto Habsburg, Mitglied der christdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament das Problem der Flüchtlingswanderung durch Österreich nach Beendigung des Parteitages in Polen.

Der zu erwartende Flüchtlingsstrom veranlaßte den Parlamentarier bereits am 8. Juli an das Europäische Parlament und den Rat der EG zu appellieren, Österreich bei der Bewältigung des Flüchtlingsproblemes zu unterstützen.

Inwieweit seine Lösungsvorschläge - eine Intervention bei einzelnen westlichen Regierungen von seiten der Kommission mit dem Zwecke der Aufnahmesteigerung von Flüchtlingen sowie die finanzielle Unterstützung von Landstrichen, die vom Flüchtlingsproblem besonders stark betroffen sind durch Mittel aus dem gemeinschaftlichen Katastrophenfonds - verwirklicht werden können, wird vom Europäischen Parlament frühestens im September entschieden werden können.

Somit wird das begehrte Asylland Österreich noch für weitere Zeit allein gezwungen sein, sich mit den von Flüchtlingen überquellenden Lagern, Kasernen und Gasthöfen, der Verpfle- gungs- und Finanzierungsfrage und den Differenzen mit einem Teil der Bevölkerung herumschlagen zu müssen.

Weiterhin werden täglich 200 und mehr asylsuchende Polen an die Pforten des Flüchtlingslagers Traiskirchen klopfen und die Suche nach einigermaßen lebensgerechten Unterbringungsmöglichkeiten wird vorläufig noch kein Ende finden.

Zweifelsohne erleichtert sieht die Lagerleitung von Traiskirchen der Räumung der nahegelegenen Panzerkaserne Götzendorf (Nö) entgegen, die laut Lagerleiter Karl Radek eine „unbedingte Entlastung“ bedeutet. Aber auch die während der Sommerferien freistehenden Schulen und Sportplätze im Raum Wien, Niederösterreich und Burgenland, die seitens des Innenministeriums ebenfalls als Unterkunftsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden, könnten zur Normalisierung der Lage in Traiskirchen beitragen.

Warum kehren soviele Polenflüchtlinge ihrer Heimat den Rücken?

Die Antworten sind eher zurückhaltend, fragmentarisch: „Politisch!“ - „Muß weg, weil Plakate schreiben,“ - „Für Familie besser!“ Mehr erfährt man schon nicht.

Solchen Fragen weichen diese Menschen lieber aus, geben ihr bedauerndes aber bestimmtes Nichtverstehen kund oder hüllen sich sogleich in Schweigen. Kein Akt des Unwillens oder der Unfreundlichkeit, vielmehr die Angst vor der Vergangenheit.

Österreich ist ein international anerkanntes Asylland, das Lager Traiskirchen „die einzige Pforte nach dem Westen“, wie Lagerleiter Radek immer wieder betont.

Die Flüchtlinge wissen das, wenn sie hier um Asyl ansuchen (siehe Kasten „Wie Österreich hilft“). Doch die wenigsten wollen in Österreich bleiben. Den Traum von Freiheit wollen die meisten Osteuropäer in Ubersee verwirklicht sehen.

Als „klassische Einwanderungsländer“ bezeichnet Caritas-Koordinator Felix M. Bertram die USA, Kanada, Australien, Südafrika und Neuseeland!

Die langen Wartezeiten, die im Lager Traiskirchen bis zu sechs Monaten betragen können, führt er darauf zurück, daß mit Ausnahme der USA „alle anderen Länder einer sehr restriktiven Politik unterliegen“.

Einen schnellen und reibungslosen Ablauf der Verhandlungen über die Einreisebewilligungen nach den Vereinigten Staaten garantieren die genau abgegrenzten gesetzlichen Regelungen, aber auch die Koordinationsfreudigkeit der USA. So wurde erst kürzlich ein von Österreich erstelltes Sonderprogramm, das 2400 europäischen Flüchtlingen, bis 30. September 1981 die Einreise ermöglicht, akzeptiert.

Während auch die Einreiseerlaubnis nach Australien in der Regel nur zwischen vier bis acht Wochen dauert, können die Wartezeiten für das Asyl in Kanada bis zu sechs Monate betragen.

Diese schleppende Vorgangsweise führt Bertram einerseits auf das mangelnde Personal, andrerseits auf die ungewöhnliche Bestimmung zurück, wonach Beamte der Einwanderungsbehörde die Fähigkeiten der Flüchtlinge überprüfen müssen, die angeblich für eine „positive Integration“ in’Kanada notwendig sind.

Wenn er auch die kursierende Meinung, daß die Aufnahmebedingungen für fähige Fachleute leichter seien als für Sozialfälle, nur bedingt gelten läßt, so spielt seiner Meinung nach der ökonomische Gesichtspunkt für die Einreisebewilligung nach Kanada doch eine große Rolle.

Die Vorstellungen der Polenflüchtlinge von ihrer neuen Heimat sind zuerst durchwegs optimistisch.

Mit dem wahren Antlitz der sogenannten freien Welt werden aber die meisten Flüchtlinge Schon in Österreich konfrontiert: Sich auch als freie Menschen einordnen zu müssen, und das in eine konsum- und leistungsorientierte Gesellschaft, ist ihnen teilweise völlig fremd.

Den Weg in die Freiheit müssen sich die Polenflüchtlinge schwer erkaufen, indem sie eines ihrer kostbarsten Güter aufgeben müssen: die Verbundenheit mit ihrer Heimat.

Inwieweit es ihnen möglich sein wird, ihre oft träumerischen Vorstellungen und Hoffnungen von der freien Welt mit den handfesten Alltagsschwierigkeiten im Westen - einen Arbeitsplatz und eine Unterkunft finden - in Einklang zu bringen, kann durch sie und uns noch nicht abgeschätzt werden.

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