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Flüchtlineshilfe: Tendenz lustlos

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Zwei Millionen Flüchtlinge seit dem Weltkrieg: Österreich hat ein gutes Image als Asylland. Gilt das heute noch? Dazu ein Gespräch mit dem Caritas-Flüchtlingsexperten.

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Zwei Millionen Flüchtlinge seit dem Weltkrieg: Österreich hat ein gutes Image als Asylland. Gilt das heute noch? Dazu ein Gespräch mit dem Caritas-Flüchtlingsexperten.

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FURCHE: Österreich hält sich viel auf seinen Status als Asylland zugute. Besteht dieser Eindruck heute noch zurecht?

FELIX BERTRAM: Ich stehe seit 30 Jahren in der Flüchtlingsarbeit und habe rund um die Uhr ungarischen Flüchtlingen im Jahr 1956 geholfen, ihre Unterlagen auszufüllen, Anträge für die Einwanderung zu stellen. Damals war Österreich von einem Gefühl der Solidarität getragen. Viele meiner Bekannten haben trotz kleinsten Wohnraums Flüchtlinge zu sich aufgenommen. Man hat sich in Schlangen angestellt, um für die Ungarn Blut zu spenden.

Diese unkomplizierte Hilfsbereitschaft war bei der letzten großen Flüchtlingswelle, der aus Polen, nicht mehr vorhanden.

FURCHE: War die Hilfsbereitschaft schon 1968, bei der Krise in der Tschechoslowakei geringer?

BERTRAM: Die österreichische Bevölkerung war auch 1968 noch sehr hilfsbereit. Aber die Situation war anders als 1956. Viele Tschechen waren in einer Abwar- testellung, wie sich die Lage in ihrem Land entwickeln würde, und daher war unsere Bevölkerung weniger herausgefordert. Als aber die Polen gekommen sind, war eine andere Generation herangewachsen, für die die Erinnerung an die Zeit der Besetzung Österreichs nicht mehr so wach war. Und da war auch die Hilfsbereitschaft geringer geworden.

FURCHE: Spielt nicht auch die veränderte wirtschaftliche Lage eine Rolle?

BERTRAM: Der Begriff Wirtschaftsflüchtling hat sich breitgemacht. Und diese Art von Flüchtlingen wird scheel angesehen. Als Osttouristen haben unsere Landsleute erlebt, daß es unseren östlichen Nachbarn wirtschaftlich zwar nicht gerade sehr gut geht, daß man aber leben kann, wenn man nur angepaßt ist.

Nun meinen viele, Flüchtlinge aus dem Ostblock suchten vor allem den höheren Lebensstandard bei uns. Wer aber mit Flüchtlingen zu tun hat, weiß: Den reinen Wirtschaftsflüchtling gibt es nicht. Denn meist sind es jene, die mit dem System Schwierigkeiten haben, denen es auch wirtschaftlich schlecht geht.

FURCHE: Ist also die Suche nach besseren Arbeitsplätzen kein Motiv zur Flucht?

BERTRAM: Niemals das primäre. Sehen Sie sich nur die Situation in der EG an, wo es Freizügigkeit der Arbeitskraft gibt. Da beobachten Sieja auch keinen Exodus aus den Zentren der Arbeitslosigkeit in Großbritannien in die süddeutschen Wirtschaftszentren. Und außerdem: Österreich ist für Flüchtlinge ein Durchgangsland.

FURCHE: Wollen die Flüchtlinge eigentlich weiterwandem oder müssen sie weiter, weil wir sie nicht behalten wollen?

BERTRAM: 92 Prozent unserer Flüchtlinge kommen aus dem Ostblock, der Rest aus Ländern der Dritten Welt. Wer aus Preß- burg kommt, will sich nicht unbedingt in St. Pölten nieder lassen, er geht lieber nach Ubersee. Außerdem haben sich dort starke Sprachgruppen gebildet, die dem neu Zugewanderten eher ein Gefühl des Zuhauseseins vermitteln.

FURCHE: Sind andere Länder bereit,Flüchtlinge aufzunehmen?

BERTRAM: Das Weiterwandem in die klassischen Länder USA, Kanada und Australien ist schwieriger geworden. Dennoch wandern mindestens zwei von drei Flüchtlingen in diese Länder weiter.

FURCHE: Wie spielt sich das ab?

BERTRAM: Freiwillige Hilfsorganisationen helfen, die Flüchtlinge in diese Staaten weiterzuleiten. Sie verschaffen Bürgschaften, stellen finanzielle Mittel bereit und führen die überaus wichtige Beratung durch.

Zum Teil sind es kirchliche Stellen, etwa die österreichische Caritas oder das World Council of Churches, zum Teil sind es Stel-

len, die von Emigranten aus früherer Zeit gegründet worden sind.

FURCHE: Inwiefern fordert dieser Transit nun uns Österreicher heraus?

BERTRAM: Weil diese Vermittlungsfunktion auch etwas kostet Im Jahr handelt es sich um einen Betrag von rund 500 Millionen Schilling. Vor allem müssen die Flüchtlinge bis zur weiteren Auswanderung untergebracht werden, in Lagern und Gasthäusern. Immerhin kommen jährlich 7000 bis 8000 Personen neu ins Land. Ja - und darni muß man an die 20 Prozent denken, die in Österreich bleiben.

FURCHE: Wie lange bleiben die Transitflüchtlinge im Durchschnitt?

BERTRAM: Etwa ein halbes. Jahr." -

FURCHE: Wie kommen die Flüchtlinge nach Österreich?

BERTRAM: Tschechen, Ungarn und Rumänen, jeweils etwa 2000, kommen fast nie direkt aus ihrem Land, sondern über Jugoslawien. Oft sind es Familien.

FURCHE: Und wer bleibt dann bei uns?

BERTRAM: Wer anderswo keine Aufnahme findet hat keine andere Wahl. Allerdings gibt es auch Flüchtlinge, die bei uns bleiben wollen.

FURCHE: Und wie stehen die Österreicher heute zu diesen Flüchtlingen?

BERTRAM: Im allgemeinen steht der Österreicher dem

Flüchtlingsproblem indiffer gegenüber. Er ist ja kaum Flüchtlingen konfrontiert. Je t niger einer allerdings Kont mit Flüchtlingen hat, umso abl nender ist er im allgemeinen.

FURCHE: Aber gab es nicht eine große Hilfsbereitschaft bei den Vietnamflüchtlingen ?

BERTRAM: Ja, aber sie haben dem klassischen Flüchtlingsbild auch nahezu perfekt entsprochen: Lebenseinsatz bei der Flucht, Ankunft mit leeren Händen, zerrissenem Gewand... Da war der Mitleidseffekt viel stärker als bei Ostflüchtlingen, die womöglich mit dem eigenen Auto kommen.

FURCHE: Was sollten wir uns zum Tag des Flüchtlings zu Herzen nehmen?

BERTRAM: Wir sollten erkennen, wie wertvoll es ist, in einem Land mit erträglichen politischen Verhältnissen zu leben. Wir sollten uns auch bewußt machen, daß es nicht leicht ist, seine Heimat zu verlassen und alles aufzugeben, und daher hilfsbereit bleiben beziehungsweise werden.

Und noch etwas: Wir sollten erkennen, daß Flüchtlinge aufzunehmen nicht nur ein Akt der Humanität, sondern auch eine große Chance ist. Welches Kapital stellen doch die 582.000 Flüchtlinge dar, die Österreich seit 1945 integriert hat, davon 100.000 seit 1952!

FURCHE: Und welche Erfahrungen machen nun Flüchtlinge in Österreich?

BERTRAM: Sie schwanken zwischen Ablehnung, vor allem solange es Sprachschwierigkeiten gibt, und auch positiven Erfahrungen. Insgesamt ist dem Ostes** reicher alles, was fremd ist, eher suspekt. Besonders schwerhaben es die Leute in Traiskirchen. Da, gibt es nur eine Sozialarbeiterin auf 1500 Personen! Hier wäre eine Personalinvestition dringend erforderlich - aber auch Privatinitiative könnte viel Gutes tun.

FURCHE‘.Denken Sie daanPa- tenschaften für Flüchtlinge?

BERTRAM: Man könnte eine ähnliche Lösung versuchen wie für die Indochina-Flüchtlinge, ohne daß damit gleich Verantwortung für die Beschaffung von Wohnung und Arbeit verbunden wäre. Pfarren könnten sich aber eines Flüchtlings annehmen, von dem klar ist, daß er hier bleibt, und eine Beziehungsbrücke schlagen. Das wäre einmalig.

Mit dem Geschäftsführer des Kuratoriums für Flüchtlingshilfe sprach Christof Gatpari.

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