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Flüchtlingsland Österreich: Ein guter Ruf wird verspielt

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Irgendwann einmal in den letzten Jahren muß etwas Eigenartiges in Österreich passiert sein. Man kann den präzisen Zeitpunkt nicht orten, aber seit zirka fünf Jahren macht sich in unserer Heimat eine Ausländerfeindlichkeit breit, die bei verantwortungsbewußten Österreichern eigentlich viel Nachdenklichkeit auslösen müßte.

Gemerkt habe ich es erstmals, als rund um die Kriegsrechtserklärung Jaruzelskis in Polen Aggressionen gegen Flüchtlinge aus diesem Land bemerkbar wurden. Dabei hätten wir uns nach 1945 eine gute Tradition erarbeitet und in der Welt einen guten Ruf erwirtschaftet:

Imponierend war die Hilfsbereitschaft der Österreicher 1956 beim Ungarn-Aufstand, als Hunderttausende die Flucht vor den sowjetischen Panzern und den kommunistischen Repressalien ergriffen. Selbst erst seit kurzem frei, hat Österreich damals seine Feuertaufe als neutrales, westlich orientiertes Land mit frisch errungener Freiheit bestanden.

Auch 1968 — nach der Invasion in Prag — war es trotz der historischen Belastung des Verhältnisses zu den Tschechen ähnlich: Viele kamen in unser Land oder fuhren durch unser Land und waren wohlgelitten.

In diesen Jahren hatten wir auch hohe Ausländerstudentenzahlen, als deren Folge sich heute manche wirtschaftliche Kontakte ergeben haben, die wir als exportorientiertes Land gut brauchen können. Auch manche ethnische Gruppe oder religiöse Minderheit hat einen Platz in Österreich gefunden, der heute wieder in Frage gestellt ist.

Was ist passiert? Zuerst hat man die wirtschaftlichen Schwierigkeiten als Argument im Munde geführt, wobei es uns 1956 wirtschaftlich sicher schlechter gegangen ist als heute — alle aktuellen Probleme miteingeschlossen. Außerdem sind wir inzwischen stolz geworden auf die Tatsache, daß gerade Wien ein Schmelztiegel der Nationen und Völker war und dadurch seine politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedeutung gewonnen hat.

Die Enkel dieser Völker wollen wir aber nicht bei uns haben, sonst wäre es nicht möglich, daß ein Innenminister mit tschechischem Namen und ebensolchem Aussehen plötzlich zur Abwehr Asylsuchender aus diesen und ähnlichen Völkerschaften Unterscheidungen zwischen wirtschaftlichen und politischen Flüchtlingen einführt.

Nichts ist schwieriger, als zu unterscheiden, warum jemand geflohen ist. Wer überprüft es?

Eine Novelle zum Wiener Sozialhilfegesetz hat ein übriges dazu getan und alle Hilfen an ausländische Flüchtlinge gestrichen, wenn sie sich nicht im Flüchtlingslager Traiskirchen einfinden. Die Ironie will es, daß weder das Stadtgartenamt, die Müllabfuhr, noch die Bedienerinnen im Rathaus im Personalstand vollzählig wären, wenn es nicht eben diese Flüchtlinge, aus welchen Gründen immer, gäbe.

Welche Angst hat Österreich erfaßt? Haben wir vergessen, daß manche Väter und Mütter von uns 1934 und 1938 auch auf die Großzügigkeit von Gastländern angewiesen waren? Begreifen wir nicht, daß wir an einer sensiblen Stelle der Geopolitik liegen, wo auch wir sehr rasch zu Bedrohten und Flüchtenden werden könnten?

Ist uns nicht klar, daß nur ein vitales Eintreten für Menschenrechte auch im eigenen Land unsere unabhängige Stellung am Eisernen Vorhang erhalten kann?

Zu allem kommt noch der Haß dazu, der einem etwa beim Thema Entwicklungshilfe entgegenschlägt: dabei haben uns Marshall-Plan und ERP-Mittel nach 1945 auf die Beine geholfen.

Als Argument hört man dazu, daß „die“ in der Dritten Welt so schlecht wirtschaften. Na, imponierend ist unser Wirtschaften in der letzten Zeit, insbesondere im öffentlichen Bereich, auch nicht, und Korruption soll es hierzulande auch geben...

Dieser Standpunkt ist nicht sehr populär für einen Politiker, hat man mir schon oft erklärt. Gleichzeitig aber wird immer behauptet, ein Politiker soll nicht immer nur Populäres sagen, sondern auch Grundsätzliches.

Daher glaube ich, daß wir ein Asylland bleiben müssen, das gegenüber dem Flüchtlingselend auf der Welt sehr sensibel und sehr offen ist. Das ist nicht populär — aber menschlich.

Ein Wort noch zu den Christen: Unsere Kirche ist durch das Leid geworden, nämlich dem der Christenverfolgung. Viele Menschen werden auch heute noch deswegen verfolgt, Syrisch-Orthodoxe in der Türkei, Katholiken in der CSSR, Juden in der Sowjetunion, Ba-ha'i im Iran.

Wir Christen sind bereits eine Minderheit in Österreich. Wer wird uns aufnehmen, wenn wir einmal vielleicht wieder verfolgt werden? Eindringliche Ermahnungen zu diesem Thema gibt es in der Bibel genug ...

Darüber darf nicht nur zu Weihnachten nachgedacht werden.

Der Autor ist Vizebürgermeister und Landeshauptmann-Stellvertreter von Wien.

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