Bundespräsident Heinz Fischer im FURCHE-Interview zur Demokratie: Sie sei trotz neuer Herausforderungen stabiler als in der letzen Krise.
Die Wirtschafskrise und enttäuschte Erwartungen gefährden das Vertrauen in die Demokratie. Diese sei aber im Gegensatz zu den Zwanzigern nicht gefährdet, sagt Bundespräsident Heinz Fischer zur FURCHE.
Die Furche: Herr Bundespräsident, einer repräsentativen Umfrage (Die Österreicher-innen. Wertewandel 1990–2008; Anm.) zufolge geht ein Teil der Bevölkerung – etwa ein Fünftel – innerlich auf Distanz zur Demokratie. Wie lautet Ihre Einschätzung dazu?
Heinz Fischer: Ich kenne diesen und ähnliche Befunde. Natürlich ist Demokratie etwas, das jedes Jahr, jede Woche und jeden Tag neu erarbeitet und gefestigt werden muss. Um Demokratie muss man bemüht sein, Demokratie muss man pflegen. Schon in den Sechzigern hat in Österreich verstärkt Demokratie-Kritik eingesetzt. Dem muss man mit guten Argumenten und durch saubere, glaubwürdige Arbeit entgegenwirken. Wir haben manche Probleme gelöst, die damals zu einem gewissen Maß an Demokratiemüdigkeit beigetragen haben. Aber es sind neue Themen dazugekommen.
Die Furche: Sind Zweifel und Kritik an der Demokratie gewissermaßen konstitutiver Bestandteil dieses Systems, und Sie haben keine Sorge, dass die Menschen angesichts der Krise das ganze System grundsätzlich in Frage stellen?
Fischer: Natürlich ist die Wirtschaftskrise ein Faktor, der die Demokratie zusätzlicher Belastung unterzieht oder unterziehen kann. Denn Menschen, die sich um ihre Existenz sorgen und um das tägliche Leben kämpfen müssen, haben eine besondere Sensibilität. Sie fühlen sich oft im Stich gelassen. Das ist wahr. Wenn Sie mich also fragen, ob unsere Demokratie vor neuen Herausforderungen, vor neuen Gefährdungen und Problemen steht, dann sage ich ja. Wenn Sie mich fragen, ob ich dennoch zuversichtlich für die Zukunft der Demokratie bin, dann sage ich auch ja. Denn ich glaube, dass die Österreicherinnen und Österreicher im Prinzip überzeugte Demokraten sind und wissen, dass es zur Demokratie keine sinnvolle Alternative gibt.
Die Furche: In Situationen wie der jetzigen neigen die Menschen noch stärker zu einfachen Lösungen oder dem viel zitierten starken Mann – worauf auch Wahlergebnisse hindeuten. Gibt Ihnen das zu denken?
Fischer: Sie stellen absolut berechtigte Fragen. Zu sagen: „Darüber mache ich mir keine Gedanken“ wäre absurd. Nur glaube ich, dass man zum Beispiel nicht die Situation der späten 20er und frühen 30er Jahre mit heute vergleichen darf. Damals war die Monarchie erst zehn Jahre zuvor untergegangen, wir haben uns in dem neuen Staat, der daraus entstanden war, noch nicht zuhause gefühlt. Die Gesellschaft war unglaublich stark ideologisch aufgeladen, und in der Nachbarschaft hat es totalitäre Regime gegeben, wie Hitler, Mussolini, Horthy. Wir haben heute in vielfacher Hinsicht viel bessere Rahmenbedingungen. Meine Hoffnung und Überzeugung ist, dass wir aus der Geschichte gelernt haben. Aber dass man aufmerksam und sensibel sein muss, steht außer Zweifel. Wir wissen, dass ein Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher, sozialer und politischer Stabilität besteht. Daher sind wir doppelt verpflichtet, um die wirtschaftliche und soziale Stabilität zu kämpfen und uns darum zu bemühen.
Die Furche: Laut der genannten Studie hat das gemessene Vertrauen der Öffentlichkeit in den Nationalrat gelitten. Zu Beginn der 90er Jahre sagten über 40 Prozent: „Ich habe Vertrauen in den Nationalrat“, derzeit liegt der Prozentsatz laut Messung bei 27 Prozent …
Fischer: Ich habe viel Kontakt mit der Präsidentin des Nationalrats und anderen Parlamentariern und weiß, dass man sich im Hohen Haus sehr mit dieser Frage beschäftigt. Wir wissen zum Beispiel, dass es ein großer demokratiepolitischer Fortschritt war, dass sich im Lauf der letzten Jahre die Live-Übertragung der Nationalratssitzungen im Fernsehen durchgesetzt hat. Wir dürfen uns aber nicht wundern, wenn genau das auch zu einem gewissen Absinken der Vertrauensquote beigetragen hätte. Denn das, was man da beobachten kann – das merke ich auch in meiner Post –, löst oft sehr kritische Reaktionen aus. Solche Dilemmata gibt es. Ich werde deswegen nicht dafür plädieren, dass man mit Live-Übertragungen aufhört, denn die Bürger haben ein Recht zu sehen, wie sich ihre Parlamentarier präsentieren. Aber andererseits bin ich mir bewusst, dass die Live-Übertragungen manche Vorbehalte gegen „die“ Parlamentarier nicht abbauen, sondern stärken. Und solche Beispiele gibt es viele.
Die Furche: Kommen wir zum nächsten Themenblock: Europa 1989 und Österreich 2009. Es gab eine ungeheure Euphorie 1989. Diese Euphorie scheint in der Öffentlichkeit ein bisschen verflogen zu sein. Warum, was ist passiert?
Fischer: Zunächst einmal hält eine Euphorie definitionsgemäß nicht unbegrenzt an. Im Jahr 1989 ist etwas Großartiges und historisch Einmaliges gelungen, nämlich dass in einer ganzen Reihe von Staaten Diktaturen fast gleichzeitig auf friedlichem Wege überwunden werden konnten. Das ist natürlich etwas Bewegendes gewesen, aber denken sie an den Satz von Bert Brecht: „Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns, vor uns liegen die Mühen der Ebene.“ Also auf die „Mühen der Gebirge“, nämlich die Diktatur auf friedlichem Wege zu stürzen, folgten die nicht weniger großen „Mühen der Ebene“, nämlich den demokratischen Alltag aufzubauen und zu organisieren. Das ist sehr schwierig. Und da ist es kein Zufall, dass in den meisten osteuropäischen Staaten eine bestimmte Regierung immer nur eine Legislaturperiode im Amt war. Sie ist dann abgelöst worden, weil die Erwartungen der Menschen sehr hoch waren und nicht zur Gänze erfüllt werden konnten. Und die Euphorie ist verflogen. Trotzdem glaube ich, dass Sie in jedem einzelnen dieser Länder feststellen werden, dass man glücklich ist, demokratisch leben zu können, glücklich darüber, dass man Mitglied des europäischen Projektes wurde oder nahe daran ist.
Die Furche: Die Mühen der Ebene scheinen jetzt auch ein bisschen vor uns zu liegen. Geradezu atmosphärisch herrscht in der Bevölkerung eine Art „Roll back“-Stimmung. Es gibt Schlagzeilen wie „Grenzen dichter machen“, „Grenzen schließen“.
Fischer: Die Tatsache, dass wir in bestimmten Bereichen steigende Kriminalität haben, ist nicht zu leugnen. Das darf man auch nicht auf die leichte Schulter nehmen. Zu sagen, wir brauchen bestens ausgebildete Polizei, wir müssen neue Technologien einsetzen und wir müssen mehr Augenmerk auf dieses Problem lenken, ist gerechtfertigt. Wir sind gefordert, das Phänomen „Steigende Kriminalität“ mit vernünftigen, fairen und vertretbaren Mitteln als Herausforderung anzunehmen. Aber einfach zu sagen, die Erweiterung der Europäischen Union war falsch und sollte rückgängig gemacht werden – ich glaube, es ist nur eine kleine Minderheit, die wirklich so denkt.
Die Furche: In diesen Tagen wird das Wahljahr 2010, die Wahl des Bundespräsidenten, durch verschiedene Wortmeldungen aktualisiert. Wann werden von Ihnen persönliche personelle Weichenstellungen im Vorfeld erfolgen?
Fischer: Ich überlege mir ganz nüchtern: Was ist der österreichischen Bevölkerung lieber? Dass die Wahlwerbung für das Amt des Bundespräsidenten möglichst lange dauert oder möglichst kurz? Und ich habe keinen Zweifel daran, wie die Antwort der österreichischen Bevölkerung lautet, nämlich, dass sie eine kurze, faire Wahlwerbung wünscht. Das ist für mich auch der Grund, manche Aufgeregtheiten, die ich momentan registriere, mit Gelassenheit zur Kenntnis zu nehmen. Ich denke mir, das Beste, was ich für Österreich tun kann, ist meine Arbeit unbeirrt und sachlich fortzusetzen und zu sagen: Es wird immer noch genug Zeit sein, sich damit zu beschäftigen, wer am besten geeignet ist, nach der Wahl im April 2010 das Amt des Bundespräsidenten wahrzunehmen. That’s it.
Die Furche: Sie fühlen sich nicht unter Druck gesetzt durch Schlagzeilen der letzten Tage, die irgendwas herbeischreiben wollen?
Fischer: Nein, wir haben Pressefreiheit und kluge Wählerinnen und Wähler.
Die Furche: Es gibt auch Leute von der sozialdemokratischen Partei, die sie auf ein Schild gehoben haben …
Fischer: Das sind erfreuliche und sympathische Reaktionen, ebenso wie positive Reaktionen aus anderen politischen Himmelsrichtungen. Aber die Grundlinie lautet, man soll sich alles in Ruhe überlegen und sich nicht drängen und treiben lassen.
Die Furche: Für Sie besteht die Frage der Wiederkandidatur? Oder ist es eine, die Sie offenlassen möchten?
Fischer: Ich habe meine Prinzipien und dazu gehört, nicht mehr zu sagen, als ich schon gesagt habe. Wir sitzen hier einander gegenüber, ich mache mir ein Bild von Ihren Fragen, Sie machen sich ein Bild von meinen Antworten und von meinen Argumenten – und das berichten Sie Ihren Leserinnen und Lesern.