Demokratie in Gefahr

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Es ist ein äußerst kritischer Befund, den der Politikwissenschafter Anton Pelinka ausspricht: Politik werde auf das Unterhaltende reduziert, die eigentliche Arbeit mache die Verwaltung.

Österreich wird Oklahoma, sagt Anton Pelinka, warnt aber vor mangelndem Respekt für die repräsentative Demokratie. Der Politologe im Interview über die Große Koalition als das Kaninchen vor H.-C. Strache und warum er eine Beamtenregierung für momentan besser hält.

Die Furche: Wie gefährlich ist die steigende Politikverdrossenheit für die Demokratie?

Prof. Anton Pelinka: Wir erleben in Österreich eine abnehmende Wahlbeteiligung, allerdings ausgehend von einem vergleichsweise hohen Niveau, sodass ich diese Entwicklung nicht unmittelbar für bedrohlich halte. Schwieriger wird es, wenn Politikverdrossenheit dazu führt, dass die Grundregeln repräsentativer Demokratie aktiv bekämpft und abgelehnt werden; weil dann repräsentativ demokratische Entscheidungen tendenziell unmöglich werden. Dieses Problem haben wir in Österreich noch nicht, sehr wohl aber in den USA, Stichwort "Tea Party“, oder in Deutschland, Stichwort Bahnhofsbau in Stuttgart. Das populistische "We are the people“ ist eine potenzielle Antithese zur repräsentativen Demokratie. Wenn man den Respekt vor dieser Demokratie verliert, wird es gefährlich.

Die Furche: Die Parteien sind austauschbar geworden, das politische Klima hat sich verändert. Leben wir in einer Postdemokratie?

Anton Pelinka: Ich sehe diese Entwicklung eher als eine logische Folge demokratischer Stabilität, was eben beinhaltet, dass die weltanschaulichen Ecken und Kanten, wie sie die Parteien früher gehabt haben, abgeschliffen werden. Grundsätzlich ist das ja ein Zeichen für den Erfolg der Demokratie - aber die Folgen sind mitzudenken, wenn repräsentative Demokratie dadurch beliebig wird. Aus einer solchen Entwicklung kann - positiv - eine Gegenbewegung innerhalb der Demokratie entstehen, auch in Form einer neuen Partei; oder negativ das bloße Wutbürgertum.

Die Furche: Postdemokratie trifft es nicht?

Pelinka: Der Begriff ist sehr missverständlich, da er den Eindruck erweckt, wir hätten die Demokratie schon hinter uns. Das sehe ich überhaupt nicht. Die Demokratie war noch nie so selbstverständlich wie heute. Man hat sich nur so daran gewöhnt, dass sie bei uns kaum noch jemanden hinter dem Ofen hervorlockt. Das ist in Weißrussland, im Iran oder an der Elfenbeinküste anders. Wir sind schon so an die Demokratie gewöhnt, dass der Eindruck entsteht, sie hat keinen Eigenwert mehr. Das ist es, was beim Begriff Postdemokratie anklingen könnte.

Die Furche: Inwieweit ist in Österreich der institutionalisierte Minimalkompromiss zwischen den Großparteien am Status Quo schuld?

Pelinka: Zur Politik gehören natürlich Kompromisse. Aber es fehlt ja schon der Mut zum Kompromiss in dieser Regierung. Eine Partei blockiert die andere, das sieht man am besten in der Bildungsfrage. Es liegt auf der Hand, dass die SPÖ in der Universitätspolitik endlich ihre Blockade aufgeben müsste, und die ÖVP in der Schulfrage. Die geteilte Schule der Zehn- bis 14-Jährigen - da greifen sich doch alle an den Kopf in Europa, oder der Umstand, dass wir keine Studienplatzfinanzierung haben. Da hätte die Regierung schon eine tolle Lösung, man nennt es Junktim! Das kommt aber nicht, die Parteien sind momentan unfähig zum Kompromiss.

Die Furche: Ist die Große Koalition reif fürs Museum?

Pelinka: Die Große Koalition ist ja keine natürliche Begleiterscheinung der österreichischen politischen Kultur. Aber momentan ist das Problem, dass die einzige Alternative dazu Strache heißt. Als es Zeit gewesen wäre, Alternativen zu schaffen - durch die Einführung des Mehrheitswahlrechts - hat man es nicht getan. Jetzt ist Strache vor der Tür, und um ihn fernhalten zu können, gibt es weiter eine Große Koalition: Das ist der einzige Grund, warum es sie noch gibt.

Die Furche: Erleben wir so gesehen eine Ära politischer Kläglichkeit?

Pelinka: Ja. Es gibt das Bild vom Kaninchen vor der Schlange, und deswegen gibt’s das Kaninchen namens Große Koalition - vor der Schlange namens Strache. Aber wenn das Kaninchen nichts anderes macht, als immer nur gebannt auf Strache zu schauen, wird es einmal aufgefressen.

Die Furche: Das Gegenrezept hieße wahrscheinlich gute Sachpolitik.

Pelinka: Schon, aber mit Mut zu Entscheidungen. Wenn ich nur an diese erbärmliche Budgetklausur denke: Da hat man gedacht, jetzt kommt der große Wurf, und kaum war ein harmloser, kleiner Wurf heraußen, hat man schon "Härten“ abgeschliffen. Dazu brauchen wir aber keine Regierung. Wir sollten uns einmal Belgien anschauen, das ist ein Land, das ganz gut ohne Regierung lebt, wo es de facto nur provisorische Regierungen gibt.

Die Furche: Eine Expertenregierung für Österreich?

Pelinka: Ja, warum nicht. Es läuft ja bereits auf Folgendes hinaus: Die Politik wird reduziert auf das Unterhaltungselement, und die eigentliche Arbeit macht die Verwaltung. Wozu brauchen wir eine Regierung, die nicht regiert, die nicht entscheidet, weil sie offensichtlich strukturell dazu unfähig ist? Ich würde mir erwarten, dass diese Große Koalition endlich den Mut zur Unpopularität zeigt; Konflikte in Kauf nimmt, die echte Konflikte sind, und sich nicht darum drehen, wie hoch ein Minarett sein darf. Dazu braucht man keine Große Koalition, die ohnehin nicht mehr groß ist, und genau genommen auch keine Regierung. Nach dem Gesetz "Keine Wellen schlagen“ können Beamte vielleicht besser agieren.

Die Furche: Droht mit andauerndem Reformstau die Erosion politischer Legitimität?

Pelinka: Dieser These würde ich zustimmen. Die Frage ist nur, was man dann macht. Ich glaube, dass die Demokratie sehr wohl regenerationsfähig ist, denn Vieles, was wir jetzt besprechen, auch diese Demokratiemüdigkeit, haben wir vor 30 Jahren schon diskutiert. Und dann sind die Grünen gekommen. Die Chance ist da, dass aus diesem Reformstau etwas Neues entsteht. Das Positivresultat wäre zum Beispiel eine neue Partei.

Die Furche: Ist das realistisch, in Österreich?

Pelinka: Durchaus. Vielleicht nicht in der unmittelbaren Zukunft. Aber wenn man sich zum Beispiel anschaut, wie ängstlich beide Regierungsparteien versuchen, die Senioren ruhig zu halten; die sind - noch - die loyalsten Wähler der beiden Regierungsparteien. Vielleicht werden die auch irgendwann zornig und sagen: Nur weil der Herr Blecha und der Herr Khol wie Plüsch und Blum auftreten und 0,3 Prozent für uns herausholen, sollen wir auf eine eigenständige, selbstbewusste Seniorenvertretung jenseits von SPÖ und ÖVP verzichten? Es schauen immer alle auf die Jungen, viel spannender sind langfristig aber die Alten.

Die Furche: Peter Sloterdijk meint, im Gegensatz zum spätantiken Rom gelänge es der Demokratie nicht mehr, das Stillhalten der Bürger zu gewährleisten.

Pelinka: Das späte Rom hatte auch eine andere Form der Elitenrotation. Da wurden Kaiser schon einmal von ihrer Palastwache umgebracht. Das würde ich mir heute nicht unbedingt wünschen. Ich sehe den Zustand der Demokratie insgesamt nicht so schlimm. Was beim alten Rom auch völlig fehlte, ist der Globalisierungseffekt; die Tatsache, dass die Regierungen einer Ökonomie gegenüberstehen, die einer globalen Logik folgt, der nationale Staaten nicht immer viel entgegenzusetzen haben.

Die Furche: Müsste man den Leuten neu erklären, was sie von Staat und Demokratie erwarten können?

Pelinka: Die Frage ist, was ist der Staat? Österreich hat weniger Souveränität als vor 30 Jahren. Die USA haben weniger Souveränität als vor 30 Jahren. Staaten vermögen immer weniger. Wenn die Republik in Zukunft Funktionen erfüllt, wird das immer weniger für Österreich und immer mehr für die Europäische Union sein. Die Republik Österreich wird in einem positiven Szenario, zu einem Land wie Oklahoma oder Illinois. Da gibt’s noch eine Menge zu erfüllen, aber kaum noch im Sinne traditioneller Souveränitätsvorstellungen.

Die Furche: Frustriert Sie die österreichische Politik?

Pelinka: Ach, frustriert bin ich nicht. Wenn man so will, mildert sich durch meine Budapester Situation der Blick auf Österreich, in Ungarn ist es doch noch schlimmer.

* Interview: Stefan Müller

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