"Dann kommen Gewalttäter"

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Keine Wende aber notwendige Korrekturen und einen wichtigen Klärungsprozess hat Schwarz-Blau eingeläutet, ist der Philosoph Alfred Pfabigan übezeugt. Peter Kreisky, Wende-Gegner der ersten Stunde, widerspricht vehement und warnt vor der Normalisierung eines modernisierten Rechtsradikalismus.

Die Furche: Mit der Neuwahlankündigung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat die sogenannte Wende zumindest vorläufig ein Ende gefunden. Was hat sich seit dem Februar 2000 in Österreich gewendet?

Peter Kreisky: Vieles ist härter geworden. Der Spielraum für demokratische Wurzelbewegungen oder NGOs - wie immer man sie nennt - ist enger geworden. Verstärkt worden ist auch der Druck in Richtung einer neoliberalen Wende hin zu einer stärkeren gesellschaftlichen Spaltung. Das ist freilich keine neue Entwicklung. Ich will die vorige Koalition und die sozialistischen Alleinregierungen davor nicht heiligsprechen - aber jetzt ist mehr der Eindruck einer Unumkehrbarkeit hergestellt, von Entwicklungen, die die Reichen noch reicher und die Stärkeren noch stärker und aggressiver machen.

Alfred Pfabigan: Zunächst zum Begriff "Wende": dieser ist falsch. Das ist eine Metapher, geschaffen von einer sonderbaren Koalition aus jenen, die Änderungen befürworten und jenen, die sich davor fürchten. Beide Gruppen haben sich darauf geeinigt, den letzten Regierungswechsel "Wende" zu nennen. Wenn man sich aber überlegt, dass dieses Wort im deutschen Sprachraum nach den Ereignissen von 1989 populär wurde, ist es eigentlich eine Frechheit, diesen Begriff jetzt so zu verwenden.

Die Furche: Welche Bezeichnung schlagen Sie vor?

Pfabigan: Es sind Korrekturen vorgenommen worden, die einem internationalen Trend entsprechen. Dahrendorf hat schon in den achtziger Jahren festgestellt, dass das sozialdemokratische Jahrhundert zu Ende sei. Damit hat er nicht diesen Parteien das Sterbeglöckchen geläutet, sondern einem bestimmten Lebensstil, einem bestimmten Vertrauen auf den Staat, der alles organisieren wird, einer Sicherheit des Arbeitsplatzes, einem starren Lebensmodell. Das hat jetzt auch Österreich erreicht. Ich sehe die österreichische Gesellschaft anders als Peter Kreisky. Ich meine, wir leben in einer hochpolitisierten Gesellschaft wie schon lange nicht ...

Kreisky: Entgegen der Intention dieser Regierung und vielmehr als unerwünschte Reaktion darauf ...

Pfabigan: Politische Fragen haben bei uns jetzt einen viel höheren Stellenwert als früher. Schauen Sie sich an, wie langweilig der deutsche Wahlkampf ist. Dasselbe hat für den französischen Wahlkampf gegolten. Hier bei uns aber, habe ich den Eindruck, sind die politischen Probleme in einer sehr interessanten Weise auf dem Tisch.

Die Furche: Sie sagen, bei uns ist es weniger langweilig - das ist eindeutig der Verdienst der FPÖ, ein zweifelhafter Verdienst, meine ich, wenn man schaut, mit welchen populistischen Methoden er zu Stande gebracht wird.

Pfabigan: Es ist für die österreichische Demokratie ein wichtiger Moment gewesen, als Jörg Haider mit seinem Taferl vor der Kamera aufgetaucht ist und das skandalöse Gehalt des Herrn Rechberger öffentlich gemacht hat. Ich habe für keine der beiden Seiten Sympathien: weder für die Raffkes mit ihren zig Gehältern, noch für die Haiders, die damit ihr populistisches Süppchen kochen. Ich finde es nur schade, dass die österreichische Gesellschaft nicht im Stande war, sich der Rechbergers auf andere Weise zu entledigen. Und das ist sehr stark die Verantwortung der Sozialdemokratie.

Das ist immer so: Wenn ein Land sich hartnäckig weigert, die Realität zur Kenntnis zu nehmen, dann kommen die Gewalttäter. Für mich sind die Rechten die, die "mit Gewalt" jene Probleme lösen wollen, deren Existenz die Linken leugnen. Das ist in Österreich zweifellos geschehen. Und da hat - zu meinem Bedauern, denn er steht für sehr viel, was ich an Österreich ablehne - Haider eine positive Funktion gehabt.

Kreisky: Ich rechtfertige diese Missstände nicht. Die Macht- und Geldakkumulierer im öffentlichen Bereich waren keine Einzelfälle, obwohl sie auch nicht die vorherrschende Realität waren. Aber in einer Gesellschaft, in der die Ellbogenmentalität als Leitmotiv spätestens seit dem Ende der siebziger Jahre gepredigt wurde, musste es ja zu solchen Auswüchsen kommen.

Pfabigan: Wo wird die Ellbogenmentalität denn als Tugend gepriesen? Gibt's einen Denker der Ellbogenmentalität?

Kreisky: Auf die Denker kommt es meistens nicht an, es geht mehr um die Praktiker, um die Manager und ihre Spitzengehälter ...

Pfabigan: In den Schulen werden die Kinder zur Solidarität erzogen. Es gibt keine Partei, die nicht Gemeinschaftssinn propagiert. Das mit der Ellbogenmentalität halte ich für eine Phrase.

Die Furche: Verkrustung, Erstarrung, Lähmung - diese Begriffe wurden und werden immer wieder mit dem Österreich der Großen Koalition verknüpft. Haben knapp drei Jahre Schwarz-Blau das alles lösen können?

Kreisky: Schwarz-Blau hat diese kritisierte Verkrustung ja selbst wieder anschaulich gemacht. Diese Regierung, insbesondere die Partei, die als Hecht im Karpfenteich angetreten ist, hat ja ganz rasch die schlechtesten Vorbilder der alten Koalition übernommen. Nicht zu vergessen, die sehr geschickte systematische Postenbesetzungspolitik der ÖVP - die hat in dieser kurzen Zeit der Wende noch viel mehr profitiert. Abgesehen von der FP-internen Auseinandersetzung hat das Unbehagen über die versprochenen aber rasch enttäuschten Erwartungen zu einer klimatischen Änderung der politischen Situation im Land geführt. Bislang sind halt noch die Gegenentwürfe zum schwarz-blauen Gesellschaftsmodell zu wenig präsent.

Pfabigan: Wir sind heute in einer anderen Situation als vor 20 Jahren. Eine Unzahl von neuen Phänomenen - die Globalisierung, die Maastricht-Kriterien ... - zwingen die Staaten, sich in einem Trial-and-error-Prozess zu bewegen, der zögernd ist und wo keiner weiß, was rauskommen wird. Das Verdienst von Schwarz-Blau ist, diesen Trial-and-error-Prozess begonnen zu haben, denn die Große Koalition war dazu nicht im Stande.

Kreisky: Wieso, sie hat doch viele Dinge verändert - vorwiegend halt auch schon in die falsche Richtung. Aber zu sagen, alles war blockiert, nichts sei weitergegangen, ist doch völlig übertrieben. Damit hat sich Schwarz-Blau nur selbst eine Rechtfertigung geschaffen. Das große Legitimationsproblem dieser Regierung war aber, dass sie - zum ersten Mal in Europa - eine braun durchsetzte Partei auf Regierungsebene gebracht hat. Inzwischen hat das in abgeschwächter Form Schule gemacht. Aber noch immer gibt es einen "cordon sanitaire" in Frankreich, in Belgien.

Die Furche: Gerade die Ausgrenzungs-Politik gegenüber Haider habe ihn stark gemacht, wird den Cordon-Anhängern entgegengehalten.

Pfabigan: Auf jeden Fall hat Schwarz-Blau eine Entzauberung der FPÖ bewirkt. Dieser alte Satz von Abraham Lincoln, dass man "some people all the time" und "all the people sometimes", aber niemals "all the people all the time" täuschen kann hat sich wieder einmal bewahrheitet. Die Teilnahme der FPÖ an der Regierung unter gleichzeitigem Ausschluss Haiders hat sehr, sehr klare Verhältnisse geschaffen. Es kann jetzt niemand mehr mit der Keule "Da kommt der Faschismus" um sich schlagen. Und es kann auch niemand mehr sagen, es werden Wunder geschehen, wenn die FPÖ in die Regierung kommt. Da ist ein kollektives politisches Realitätsbewusstsein erobert worden. Auch für Leute, die nicht so hochpolitisiert sind wie wir hier, sind damit die Entscheidungsgrundlagen doch sehr gewachsen.

Die Furche: Hätte die Ausgrenzung der Haider-FPÖ fortgesetzt werden müssen?

Kreisky: Ist vergossene Milch, ich glaube aber schon. Denn nach Berlusconi I gibt es jetzt Berlusconi II. Ich fürchte, dass Österreich der Normalisierung eines modernisierten Rechtsradikalismus den Weg bereitet hat. Die Verharmlosung des Charakters der FPÖ und ähnlicher Parteien ist für mich nicht wegweisend.

Die Furche: Und was ist mit dem Gegenargument: Durch Ausgrenzung macht man sie nur stärker?

Kreisky: Man muss die Probleme, die Wasser auf den Mühlen solcher Parteien und Bewegungen sind, anpacken. Auch wenn es für bestimmte Parteien und darin handelnde Personen unbequem sein kann. Das ist der einzige Weg, der Weg nach vorn.

Pfabigan: Die FPÖ ist über ihre Grenze hinausgegangen, sie ist nach der letzten Wahl stärker gewesen, als es ihr im österreichischen Parteiensystem zukommt. Sie wird jetzt gestutzt werden. Jede populistische Partei hat ein Permanenzproblem, aber das wird nichts daran ändern, dass populistische Bewegungen in Europa weiterhin von den Fehlern der politischen Eliten profitieren werden.

Kreisky: Die Grundprobleme der wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Entwicklung in Europa und der Welt werden in Zukunft ja eher noch größer werden. Und der Bedarf an Sündenbock-Nominierung wird wachsen, genauso das Angstpotenzial - beides ist der ideale Nährboden für jede Form von Populismus.

Die Furche: Abschließend, was ist Schwarz-Blau gelungen, was nicht?

Pfabigan: Die Null-Defizit-Politik ist nicht gänzlich gelungen, aber Schwarz-Blau hat das ernsthaft versucht. Es gibt eine Universitätsreform, die nicht die Reform ist, die ich mir wünsche, aber die die Universität sicher besser machen wird, als sie vorher war. Es gibt eine Unzahl von Dingen, die einfach überfällig waren, und die in den letzten zweieinhalb Jahren geschehen sind - und ich bedauere, dass dieses Experiment abgebrochen wird.

Kreisky: Ich sage ja nicht, dass 100 Prozent der Regierungspolitik völlig verfehlt waren. Ein paar Reförmchen hat es sicher gegeben.

Pfabigan: Was hätte ein fiktives Rot-Grün besser gemacht?

Kreisky: Eine starke Erwartung von mir gegenüber dieser Koalition wäre, dass Österreich seine traditionell schlechte Position bei der Entwicklungszusammenarbeit bessert. Aber die Zeit war bei der letzten Wahl noch nicht reif für Rot-Grün.

Die Furche: Ist sie heute reif?

Kreisky: Ich hoffe ja, und ich sehe Ansätze dazu. Die Zeit ist dann reif, wenn in beiden Parteien die Bereitschaft zum Risiko für eine solche Konstellation vorhanden ist. Das heißt nicht, dass man im Wahlkampf schon eine letztgültige Koalitionsansage machen muss, aber dass man zumindest bereit ist, Rot-Grün als vorrangiges Szenario zu deklarieren.

Das Gespräch moderierte

Wolfgang Machreich.

Bilanz der Wende

Was haben knapp drei Jahre ÖVP/FPÖ-Koalition dem Land gebracht? Welche Erwartungen waren zu hochgesteckt, welche Befürchtungen stellten sich als übertrieben heraus? Alfred Pfabigan, Philosoph an der Universität Wien, und Peter Kreisky, Mitarbeiter bei SOS-Mitmensch und im Republikanischen Club sowie bei der Demokratischen Offensive, jener Organisation, die die Großdemonstrationen gegen Schwarz-Blau veranstaltet hat, nehmen in der Furche-Debatte dazu Stellung. Einig sind sie sich, was die Zukunft betrifft: Eine Neuauflage der Großen Koalition, sprich Rot-Schwarz, fürchten beide "wie der Teufel das Weihwasser".

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