"Enttäuschung wird sich gegen FPÖ RICHTEN"

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Anton Pelinka

Der Politologe und Jurist war mehr als drei Jahrzehnte lang Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Seit dem Jahr 2006 ist er Professor für Politikwissenschaft und Nationalismusstudien an der englischsprachigen Central European University in Budapest.

"Die FPÖ hat Erwartungen geweckt, die im notwendigen Kompromiss-Klein-Klein des Regierungsalltags untergehen werden. Ein neuerlicher Protest à la Knittelfeld ist dann durchaus möglich."

"Sebastian Kurz ist nach den Höhen seines Wahlerfolges in den Niederungen der alltäglichen Regierungspolitik angelangt."

Anton Pelinka spricht über überraschende Minister-Personalien, "Regierungslogik", Staatsreformen und die Frage, ob angesichts von Innen-und Verteidigungsministerium unter Kontrolle derselben Partei nur "höchste Wachsamkeit" oder auch "Alarm" herrschen sollte.

Die Furche: Herr Pelinka, die Bundesregierung ist im Amt. Hat Sie inhaltlich oder personell etwas im größeren Stil überrascht?

Anton Pelinka: Am überraschendsten war wohl der neue Wissenschaftsminister Heinz Fassmann. Für mich ist das sicher keine negative Überraschung, denn er ist im Universitätsbetrieb hochangesehen und nach meinem Wissensstand parteilos. Interessant ist, dass mit Karin Kneissl auch als Außenministerin eine Nicht-Parteiangehörige gewählt wurde. Allerdings wird sie einem Außenministerium vorstehen, dem die entscheidende Kompetenz abhanden kommt: Europa. Sebastian Kurz hat sich dafür zwar keine Richtlinien-Kompetenz, aber eine Zuständigkeit geschaffen, wie sie vor ihm noch kein Bundeskanzler hatte.

Die Furche: Viel wurde debattiert, welche der beiden Parteien sich denn bei den Koalitionsverhandlungen mehr durchgesetzt hat. Ihre Einschätzung?

Pelinka: Die FPÖ hat sich bei Sicherheit und Zuwanderung schon vor den Regierungsverhandlungen faktisch durchgesetzt, weil die ÖVP im Wahlkampf freiheitliche Positionen übernommen hat. Beim Verhandlungsergebnis erkenne ich dagegen mit Ausnahme der Raucherregelung kaum FPÖ-Handschrift. Bei den großen Fragen -Kammer-Pflichtmitgliedschaft, direkte Demokratie -ist die FPÖ mit ihren Forderungen nicht durchgekommen. Aus meiner Sicht hat sich die ÖVP also deutlich mehr durchgesetzt.

Die Furche: Scharfe Kritik gibt es daran, dass Innen-und Verteidigungsministerium nun in der Hand derselben Partei sind, womit sämtliche bewaffnete Uniformierte und Geheimdienstler von der FPÖ kontrolliert werden. Für wie bedenklich halten Sie das demokratiepolitisch?

Pelinka: Das ist abhängig davon, wie man die freiheitliche Partei beurteilt. Denn zwischen 1966 und 1983 waren beide Ministerien immer in Hand einer Partei -zunächst der ÖVP, dann der SPÖ. Und auch in der Schlussphase der Regierung Schüssel waren beide Ressorts ÖVP-geführt.

Die Furche: Mit Ausnahme der vier Jahre unter Schüssel betrifft das allerdings die Zeit schwarzer und roter Alleinregierungen.

Pelinka: Hält man beide Ministerien in Hand einer Partei für bedenklich, ist es das natürlich ebenso, wenn es unter einer allein regierenden Partei der Fall ist. Man könnte Einheitlichkeit auch als Logik des Regierens sehen. Die entscheidende Frage lautet: Ist die FPÖ eine im Mainstream angekommene Normalpartei oder nicht? Ich persönlich wäre nicht extrem beunruhigt, solange die in einer rechtsstaatlichen Demokratie vorhandenen Kontrollen aufrecht sind und sensibel agieren: Medien, die unabhängige Gerichtsbarkeit und die parlamentarische Opposition. Hat man Vertrauen in diese Kontrollmechanismen, muss man sagen: Höchste Wachsamkeit ja, aber noch kein Alarm.

Die Furche: Einen recht direkten Einstieg wird der neuen Regierung die EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 bescheren, die vieles an Ressourcen bündeln wird. Sind größere Reform-und Umbauprojekte erst für die Zeit danach zu erwarten?

Pelinka: Das halte ich für möglich, aber auch für eine Ausrede. Denn die EU-Präsidentschaft ist seit dem Vertrag von Lissabon nicht mehr, was sie einst war. Die Schaltzentrale der Präsidentschaft liegt seither beim EU-Ratspräsidenten in Brüssel. Die rotierende Präsidentschaft ist nur noch von sekundärer Bedeutung.

Die Furche: Josef Moser ist Minister für Justiz und Staatsreform. Welche Pläne für Strukturreformen erwarten Sie und für wie realistisch halten Sie, dass diese im Gegensatz zu vielen bereits gescheiterten Reformversuchen tatsächlich umgesetzt werden?

Pelinka: Das hängt einerseits davon ab, wie sehr Kurz die ÖVP weiterhin dominieren wird. Denn Widerstand dürfte vor allem von den Ländern kommen: Moser hat als Rechnungshofpräsident die Länderrechte immer wieder als dysfunktional kritisiert. Andererseits braucht es zur Umsetzung auch eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat. Den NEOS würde damit also wohl eine Schlüsselrolle zukommen.

Die Furche: Was erwarten Sie in der Medienpolitik? Ein Umbau des ORF ist hier etwa eines der prioritären türkis-blauen Projekte.

Pelinka: Die Frage ist, ob es nur eine Neuorientierung oder eine Schwächung des ORF geben wird. Wer die Monika Lindner des Jahres 2018 sein wird, wird man sehen. Es könnte aber auch Versuche geben, die Rolle des Generaldirektors zugunsten einer eher kollektiven Führung zurückzufahren. Entscheidend wird sein: Bleibt dem ORF eine gesicherte Finanzgrundlage? Und wie pluralistisch wird er weiterhin sein? In dieser Frage geht es um die innere Struktur des ORF, die ja nicht allein mit einem Wechsel an der Spitze beantwortbar ist. Angesichts der generell bescheidenen Innovationen, die im Regierungsprogramm angekündigt sind, rechne ich persönlich aber nicht mit allzu dramatischen Änderungen.

Die Furche: In der ÖVP hat Kurz mit seiner Ministerriege -Vertrauensleute und viele Quereinsteiger -nicht wenige in Ländern und Bünden vor den Kopf gestoßen. Der parteiinterne Druck auf ihn dürfte damit nicht eben abnehmen.

Pelinka: Kurz ist nach den Höhen des Wahlerfolges in den Niederungen der Regierungspolitik angelangt. So lange er auch auf Länderebene als Garant für Wahlerfolge gilt, droht ihm von dort keine Gefahr. Bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr sind die Chancen für die ÖVP, zumindest laut Papierform, ja nicht schlecht. Das Zähneknirschen, das man hört, dürfte also einstweilen noch ohne Konsequenzen bleiben. Ändern wird sich das, sobald der Erfolg, der ja nicht grenzenlos fortsetzbar ist, abebbt.

Die Furche: Die FPÖ dagegen hat alle Parteipromis in Ministerämter gebracht. Eine dominante Frage für die Freiheitlichen dürfte in nächster Zeit eher werden, mit welchen personellen Ressourcen man neben der Regierungsarbeit die Partei managen wird.

Pelinka: Ich glaube nicht, dass das Regierungsteam unter Strache den Fehler gemacht hat, der der FPÖ im Jahr 2000 passiert ist: erkennbar ungeeignete Personen in Regierungsämter zu bringen. Das Problem der FPÖ ist, dass sie als Protestpartei groß wurde, die ihren Oppositionsbonus konsumiert hat. Entscheidend wird sein: Kann sie den in einen Regierungsbonus umsetzen? Die FPÖ hat Erwartungen geweckt, die im notwendigen Kompromiss-Klein-Klein des Regierungsalltags untergehen werden. Ein neuerlicher Protest à la Knittelfeld scheint dann durchaus möglich. Freilich fehlt mit Jörg Haider der irrlichternde Faktor des Jahres 2000, der gleichsam aus einer Landesregierung Opposition gegen die eigene Bundespartei betrieben hat. Aber es gibt eine - weitgehend naive -Erwartungshaltung, dass sich jetzt viel Entscheidendes ändern wird. Stellt man dann fest, dass sich nicht viel Entscheidendes geändert hat, gibt es Enttäuschungen. Und die werden sich vor allem gegen die FPÖ als primären Träger dieser Erwartungshaltung richten.

Die Furche: Die demonstrative Einigkeit war von Beginn an ein wesentlicher Teil der Strategie des türkis-blauen Projekts. Wie lange kann die nach außen getragene Eintracht in einer arbeitenden Regierung anhalten?

Pelinka: Wohl keine fünf Jahre. Wann etwas wirklich Großes aufbricht, wird auch von externen Faktoren abhängen. So weiß etwa niemand, wann die Türkei ihren Pakt mit der EU aufkündigt und wieder große Migrationsbewegungen einsetzen. Was aber das Innenverhältnis angeht: Angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen, in denen beide Regierungsparteien aufgrund einer jeweils niedrigen Startposition kaum schwere Verluste erleiden können, würde ich sagen: Im ersten Jahr wird das Knirschen nur bei genauem Hinhören wahrnehmbar sein. Ab dem zweiten Jahr wird es deutlicher werden.

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