Kurz/Strache - © llustration: Rainer Messerklinger unter Verwendung eines Fotos von APA / Roland Schlager

Strategie­spiele in ­Türkis-Blau

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Die Bundesregierung durchlebt ihre erste nennenswerte Krise. Aber haben die ­Kalamitäten das Potenzial, den Kurs des türkis-blauen Tankers nachhaltig ins Wanken zu bringen? Und was bedeutet der Konflikt für die EU-Wahl? Eine Analyse.

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Die Bundesregierung durchlebt ihre erste nennenswerte Krise. Aber haben die ­Kalamitäten das Potenzial, den Kurs des türkis-blauen Tankers nachhaltig ins Wanken zu bringen? Und was bedeutet der Konflikt für die EU-Wahl? Eine Analyse.

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Die „Liederbuchaffäre“ hat es natürlich auch schon gegeben. Doch bei allen innenpolitischen Wellen im Februar des Vorjahres: Die Causa um das Gesangsbuch einer Burschenschaft mit Textstellen, die den Tatbestand der Wiederbetätigung nahelegten, war bald wieder durchtaucht, ausgesessen, verblasst. Als vor wenigen Wochen eine Spende des Christchurch-Attentäters an die rechtsextremen Identitären publik wurde, entwickelte sich eine deutlich weitreichendere Dynamik. Erster öffentlicher Koalitionsknatsch. Ungewohnt deutliche Äußerungen des Bundeskanzlers. Spürbare Nervosität unter Regierungsmitgliedern. Der entscheidende Unterschied zum Februar 2018: das internationale Echo.


Die FPÖ schlingert seither von Einzelfall zu Einzelfall. Ein „Rattengedicht“ des mittlerweile zurückgetretenen Braunauer FP-Vizebürgermeisters. Antisemitische und antiislamische Hetz-Karikaturen auf einem Flyer der Jugendorganisation RFJ. Ein Vizekanzler, der sich von den Identitären verbal distanziert, nur um wenig später selbst medienwirksam deren rechtsextremen Kampfbegriff vom „Bevölkerungsaustausch“ anzubringen. Unterdessen droht Harald Vilimsky, FP-Generalsekretär und Spitzenkandidat bei der EU-Wahl, ORF-Moderator Armin Wolf nach kritischen Fragen in der ZiB2 „Folgen“ an.

Internationale Medien von Süddeutsche bis Bild, von BBC bis New York Times griffen die gesammelten Causen auf, berichteten breit und stellten die Frage, was denn in diesem Österreich los sei. Aspekte, die dem Bundeskanzler, dessen eigenes Konterfei bereits von mehreren internationalen Magazinen wie Spiegel und Time blickte, nicht egal sein können. Der Druck auf Türkis-Blau ist gestiegen, keine Frage. Aber haben die Kalamitäten das Potenzial, die Regierung Kurz ernsthaft zu gefährden? Und wie groß ist die Unruhe innerhalb der Koalition?


Funktionäre „not amused“


Zunächst ist die aktuelle Regierungskrise eine Krise der FPÖ. Denn wesentliche Teile der Basis sind über die jüngsten Distanzierungen von Vizekanzler Heinz-Chris­tian Strache wenig erfreut. Ein Vizebürgermeister einer Kleinstadt, der sich nach Interventionen des Parteichefs zum Rücktritt gezwungen sieht – auf Druck des türkisen Koalitionspartners? Das sorgt für Unruhe auf Funktionärsebene. „Auf die leichte Schulter nehmen sollte die FPÖ-Spitze das nicht“, sagt Politikberater Thomas Hofer im Gespräch mit der FURCHE. Das„Bevölkerungsaustausch“-Wording wie auch die Drohgebärden Vilimskys gegen Wolf sind folgerichtig als Besänftigungsmaßnahme des Vizekanzlers in Richtung Basis zu werten. „Immer wenn es dort unruhig wird, sucht man vonseiten der FPÖ-Spitze den Außenfeind“, sagt Hofer. Migrantensröme also. Den ORF. Oder Medien im Allgemeinen.

Das deutliche Knirschen innerhalb der FPÖ veranlasst manch politischen Beobachter gar, an ein „neues Knittelfeld“ im Laufe der aktuellen Legislaturperiode zu denken. Ein realistisches Szenario? „Was dazu fehlt, ist Jörg Haider“, sagt die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle gegenüber der FURCHE. Habe der damalige Kärntner Landeshauptmann unter Schwarz-Blau I immer wieder von Klagenfurt aus Unfrieden in Wien gestiftet, fehle es aktuell schlicht an einem parteiinternen Konkurrenten für Parteichef Strache. Und letztlich habe sich der Vizekanzler mit seiner Linie ja durchgesetzt. Hinzu kommt: Am Willen der Parteispitze, an dieser Koalition auch längerfristig festzuhalten, dürfte es kaum Zweifel geben. Nicht nur haben sich die Freiheitlichen bei der Regierungsbildung wertvolle Schlüsselministerien wie das Innen- und Außenressort gesichert. Wahlumfragen legen auch nahe, dass die FP im Falle von Neuwahlen wohl Stimmen an die ÖVP verlieren würde. „Besser kann es für die FPÖ eigentlich kaum werden“, sagt Stainer-Hämmerle.


Plan B bei „stinkerter Leich'“


Die anhaltende öffentliche Aufregung über die zahlreichen Überschneidungen der Freiheitlichen mit den rechten Rändern dieser Republik ist indes auch für die ÖVP äußerst unangenehm. Denn das rechte Brodeln ist die Achillesferse von Türkis-Blau: Auch der Spitze der Volkspartei ist bewusst, dass jederzeit größere „Einzelfälle“ aufpoppen könnten, die ein Aussitzen schwerer machen. „Der Plan B einer Neuwahl ist wohl zumindest latent da“, sagt Hofer. Aber: Solange es Sebastian Kurz gelingt, die innerparteiliche Disziplin und Loyalität zu halten, sei die nicht sehr wahrscheinlich, meint Stainer-Hämmerle. Und die Parteidisziplin ist erfahrungsgemäß stark, solange die Umfragewerte gut sind. Das persönliche Limit des Bundeskanzlers liege im internationalen Ansehen der Regierung, sind sich beide Experten einig.


Attraktive Koalitionsalternativen gibt es für die größere Regierungspartei aktuell ohnehin nicht. Eine neuerliche große Koalition mit der SPÖ hält in der Volkspartei derzeit kaum jemand für erstrebenswert. Zu groß sind die ideologischen Differenzen in Sozial-, Steuer- und Gesellschaftspolitik. Zu tief sitzt der Frust über die zermürbenden Blockaden etlicher rot-schwarzer Jahre. Zu unbeliebt ist die für die Zweite Republik so prägende Regierungskonstellation inzwischen bei der Bevölkerung. Eine alternative Mehrheit mit NEOS und Grünen dürfte sich indes laut Umfragen auch künftig rechnerisch kaum ausgehen.


Bliebe noch eine strategische Idee: Neuwahlen vom Zaun zu brechen, um als vom Wähler gestärkte ÖVP mit einem geschwächten Juniorpartner FPÖ in eine neue Koalition zu gehen. Ein Polit-Kunststück, das Wolfgang Schüssel 2002/2003 bereits gelungen war. Und eine Variante, die für Kurz und seine Parteistrategen wohl nur denkbare wäre, wenn der Druck auf die Regierung enorm anstiege – etwa aufgrund weiterer schwerer rechtsextremer „Einzelfälle“ im Umfeld der FPÖ. „Da müsste schon eine besonders ‚stinkerte Leich‘ in einem Keller auftauchen“, glaubt Politologin Stainer-Hämmerle. Denn das Projekt Türkis-Blau ist in seiner Programmatik deutlich auf Kontinuität und eine gemeinsame Wiederwahl angelegt. Nerven wie strategisches Denken des Bundeskanzlers sind bekannt gut ausgeprägt. Und eine zwischenzeitliche Demütigung des Koalitionspartners durch Neuwahlen würde im Hinblick auf eine neue Regierungskoalition unberechenbare Dynamiken auslösen.

Wahlkampfgeplänkel

Viel der politischen Aufregung der vergangenen Tage ist indes einer so simplen wie unausweichlichen Tatsache geschuldet: Es ist Wahlkampf. Straches Beharren auf dem Begriff „Bevölkerungsaustausch“ sieht Stainer-Hämmerle deshalb auch als Versuch, mit Blick auf die EU-Wahl „in puncto restriktiver Migrationspolitik noch einen Schritt weiter zu gehen als die ÖVP“. Das Alleinstellungsmerkmal einer harten Einwanderungspolitik hatten die Freiheitlichen schließlich aufgrund des Kurses von ÖVP-Chef Sebastian Kurz vor der vergangenen Nationalratswahl verloren.


Wie aber können sich die aktuellen Regierungskonflikte auf das Ergebnis der EU-Wahl auswirken? Aktuelle Umfragen zeigen Verlagerungspotenzial von FPÖ-Wählergruppen zur ÖVP. Poppten Skandale auf, die die FPÖ im Dunstkreis des gewalttätigen Extremismus verortbar machten, schade das der Partei, erklärt Hofer: „Da werden manche Wähler sagen: Kurz ist ja auch rigide bei der Migrationspolitik. Aber so extrem wollen wir das nicht.“ Spitzenkandidat Othmar Karas könne allerdings ein Hemmschuh für die VP sein, weil er – mitunter gegen Regierungslinie argumentierend – die Einheitlichkeit ihrer Botschaft massiv störe.


Zentral werde in jedem Fall die Mobilisierung sein, sagt Stainer-Hämmerle. Die FPÖ habe immerhin das Alleinstellungsmerkmal, die mit Abstand europakritischste Partei zu sein, was entschiedene EU-Gegner an die Urnen locken könnte. Die Strategie der ÖVP mit den zwei gegensätzlichen Marken Karas und Karoline Edtstadler an der Spitze, ergänzt durch das Mobilisierungspotenzial eines offenen Vorzugsstimmenwahlkampfs, hält die Politologin für erfolgversprechend. Die größte Oppositionspartei SPÖ werde in ihren Kampagnen indes auch versuchen, die EU-Wahl zu einer innenpolitischen Denkzettelwahl gegen die Regierung umzufunktionieren. Abseits der Mobilisierung roter Kernwählerschichten sprechen die ungebrochen hohen Zustimmungswerte zur Bundesregierung allerdings nicht für große Verlagerungen von einst türkisen oder blauen Stimmen zur Sozialdemokratie.

‚Immer wenn es an der Basis unruhig wird, sucht man seitens der FPÖ-Spitze den Außenfeind‘, sagt Politikberater Thomas Hofer.

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