Das Jahr, als Haider stürzte

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Wie immer man die ÖVP-FPÖ-Regierung beurteilen mag - eines ist sicher: Jörg Haider wird niemals Bundeskanzler.

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Wie immer man die ÖVP-FPÖ-Regierung beurteilen mag - eines ist sicher: Jörg Haider wird niemals Bundeskanzler.

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Es war ein aufregendes Jahr, das erste Jahr einer schwarz-blauen Regierung in Österreich. Die Zeit ist reif für eine Bilanz. Sie sollte nüchtern ausfallen, auch wenn es anscheinend vielen schwer fällt, die ÖVP-FPÖ-Koalition "sine ira et studio", also ohne Zorn und Eifer, zu bewerten. Denn die vergangenen zwölf Monate waren auch ein Jahr der Polarisierung, der Zunahme zentrifugaler Kräfte in der österreichischen Politik. Dabei ist die heutige Regierung weder so gut, wie das ihre leidenschaftlichen Anhänger, noch so schlecht, wie das ihre eingefleischten Gegner behaupten.

Doch das Verständnis für die jeweils andere Seite hat abgenommen, differenzierte Standpunkte sind verdächtig. Wer an der Regierung ein gutes Haar lässt, wird ins extreme rechte Eck gestellt, wer an ihren Leistungen Zweifel hegt, ins "linkslinke". Und am schwersten haben es jene, die sich mit beiden Seiten anlegen: Wer die Donnerstag-Demons-trierer für chaotische Spinner mit eigenartigem Demokratieverständnis hält, muss mit der "Faschismuskeule" rechnen, und wer beispielsweise die Regierungspolitik gegenüber Ausländern kritisiert, wird rasch jenen "nützlichen Idioten" oder "Gutmenschen" zugeordnet, die ihre Lehrjahre bei der weltfremden Caritas gemacht haben.

Es war nicht nur ein Jahr der Wende, es war auch - nicht nur wegen des Wortspiels mit dem Namen des früheren Bundeskanzlers - ein Jahr des "Klimawechsels". Am Beginn des Kabinetts Schüssel standen ein von Demonstranten belagerter Ballhausplatz, ein unterirdischer Gang, durch den die neue Regierung zur Angelobung schritt, ein eisig blickender Bundespräsident und eine Sanktionen verhängende Front von EU-Partnern.

Zu dieser Eskalation trug vieles bei, manches noch von der jeweils gegnerischen Propaganda hochgespielt: vor allem natürlich die Töne, die aus der FPÖ und da besonders aus dem Mund des damaligen Obmanns kamen; der Wortbruch von ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel, der angekündigt hatte, als Dritter in Opposition zu gehen; der Katzenjammer in der linken Reichshälfte über die verlorene Macht.

Fest steht: Wäre Schüssel wieder Juniorpartner der SPÖ geworden, hätte dort niemand seinen Wortbruch kritisiert. Dass er relativ früh ein Angebot von Haider hatte, gilt als sicher, aber dass er bis zuletzt nur zum Schein mit der SPÖ verhandelte und von Anfang an zum Pakt mit Haider entschlossen war, kann man glauben oder auch nicht. Auch das Bemühen der SPÖ um FPÖ-Unterstützung ist bekannt. Die Alternative Neuwahlen hätte dem Land sicher noch größere Probleme durch eine noch stärkere FPÖ beschert.

So aber wurde es ein Jahr der entzauberten FPÖ. Binnen weniger Monate räumten Michael Krüger, Elisabeth Sickl und Michael Schmid ihre Regierungsämter, der neue Justizminister Dieter Böhmdorfer ist mehr als umstritten, an den Fähigkeiten der neuen Infrastrukturministerin Monika Forstinger ließ sogar Ex-Parteichef Haider Zweifel laut werden. Bei diversen Wahlen in Ländern und Interessenvertretungen kehrte sich der Trend eindeutig gegen die Freiheitlichen, vor der bevorstehenden Wiener Wahl wurde noch rasch der ständig von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen gehüpfte Hilmar Kabas gegen die bereits 61-jährige Helene Partik-Pable ausgetauscht.

Und schließlich war es das Jahr, in dem Jörg Haider seine Kanzlerträume begraben musste. Er wird zwar, so wie unsere Medienlandschaft bis hin zum ORF gestrickt ist, der mit Abstand am meisten präsente Landeshauptmann in Österreichs Medien bleiben, aber das Kanzleramt wird für ihn, selbst wenn ihn die FPÖ nochmals an die Spitze holen sollte, unerreichbar bleiben. So überzogen die EU-Sanktionen waren, von einem haben sie die Mehrheit der Österreicher sicher überzeugt: Mit einem Bundeskanzler Jörg Haider wäre das Land absolut isoliert.

Das erste Jahr einer neuen Regierung bedeutet natürlich auch ein Jahr der - zumindest versuchten - Reformen. Dass einige längst fällige Vorhaben - Pensionsreform, Nulldefizit - angegangen wurden, verdient Respekt, auch wenn einzelne Maßnahmen fragwürdig sind. Positiv zu verbuchen sind sicher auch die zügig zu Ende geführten Verhandlungen über die Entschädigung von NS-Opfern. Eher kurios mutet es dagegen an, wenn nach dras-tischen Sparmaßnahmen und der überfallsartigen Einführung von Studiengebühren der Familienminister mit dem Füllhorn erhöhter Kindergelder winkt. Und selbst wenn man die Neutralität de facto für obsolet hält, muss man deshalb noch lange nicht dem Drängen der Regierung auf NATO-Beitritt zustimmen.

Machen wir uns nichts vor: Es war auch das Jahr des Griffs nach der Macht in verschiedenen Bereichen, und diese Entwicklung - es gab sie auch schon unter anderen Vorzeichen seit der Ära Kreisky - dauert sicher an. Die Debatten um die Führung von ORF und ÖIAG oder darüber, ob Hans Sallmutter Präsident des Hauptverbandes österreichischer Sozialversicherungsträger bleibt, sind symptomatisch. Das für Österreich bisher typische Bemühen um Konsens ist einer gewissen Lust an der Konfrontation gewichen - von allen Seiten. Es war auch das Jahr einer neuen Rolle für die Sozialpartner. Sie geben durchaus wieder Lebenszeichen, aber nicht mehr als eine Art Nebenregierung.

Wie es jetzt ausschaut, dürfte die Regierung von Wolfgang Schüssel und Susanne Riess-Passer länger halten, als erwartet wurde. Die Liberalen sind weg, die Grünen zwar stark, aber die SPÖ hat noch nicht wieder Fuß gefasst. Das letzte Jahr war eindeutig eines der Regierung, nicht eines der Opposition.

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