6828664-1974_26_01.jpg
Digital In Arbeit

FPÖ-Aufwertung

Werbung
Werbung
Werbung

Rudolf Kirchschläger ist Österreichs neuer Bundespräsident. Das überrascht denjenigen nicht, der die Struktur der österreichischen Wählerschaft kennt. Eine zwar wachsende, keinesfalls aber ausgeprägte Mobilität der Wähler (und die Mobilität ist eine Frage des Ost-West-Gefälles!) akzeptiert nicht einen Kandidaten ohne weiteres, den man erst im Wahlkampf bekannt gemacht hat. Daß die geradezu sensationelle Aufholjagd dem ÖVP-Kandidaten immerhin noch ein besseres Ergebnis brachte als 1971 dem heutigen UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim, bestätigt jedenfalls die Kraft und Dynamik der Persönlichkeit des Innsbrucker Bürgermeisters Alois Lugger.

Das Ergebnis spiegelt zwei Tatsachen wieder, die für die zukünftige Innenpolitik relevant sind: erstens gibt es ein stereotypes, ja schablo-nüsiertes Verhalten einer großen Mehrheit der FPÖ-Wählerschaft. Demnach wählt der FPÖ-Wähler eben bei Nationalratswahlen freiheitlich, bei Präsidentschaftswahlen aber den sozialistischen Kandidaten — gleichgültig, wer der ÖVP-Kan-didat auch sein möge. Zum zweiten beweist dieses Wahlergebnis, daß die Kommunisten offenbar insoferne am Ende sind, als die KP-Führung nicht einmal mehr ihr kleines Häufchen bei der Stange halten und zum Nichtwählen überreden konnte. Auch hier zeigen sich eingerastete Gewohnheiten. Wer immer für SP-Kandidaten stimmt, der läßt sich das auch dann nicht ausreden, wenn das ZK der KPÖ es so beschließt. In der Wahlzelle ist eben jeder sein eigener Souverän.

Die Volkspartei ist das Opfer eines Erwartungsstaus geworden. Eine Partei, die jahrzehntelang nie Präsidentenwahlen gewonnen hat und Ermunterung aus Landtagswahlergebnissen erfährt, hofft speziell dann, wenn der Wahlkampf so spektakulär verläuft wie der letzte, daß ein Sieg in der Luft hängt. Daß für eine Wählermehrheit die Tradition von SP-Bundespräsidenten ein gewichtiges Argument ist, mag jene trösten, die sich darüber hinaus über die Vorteile einer lang vorbe-

retteten Kandidatur täuschten — und die glaubten, daß ein amtierender Außenminister keine Vorteile gegen einen Newcomer besitze.

Die Präsidentschaftswahlen haben keinen Aufschluß über Parteienpräferenzen gebracht, die absolute Mehrheiten bei Nationalratswahlen wahrscheinlich machen. Es bleibt bei einer Art Pattstellung der Großen, in der die FPÖ zum Zünglein wird. Damit tritt genau das ein, wovor seit Jahrzehnten Beobachter der innenpolitischen Szene warnen: unser Drei-Parteien-System wertet mangels eines echten mehrheitsbildenden Wahlrechts die dritte Kraft — die rein quantitativ in keiner Relation zu den Großparteien steht — in exorbitanter Weise auf. Weder SPÖ noch ÖVP wagen es heute, die FPÖ auch überhaupt nur zu kritisieren. Jede Großpartei weiß, daß gerade unter einem Bundespräsidenten Kirchsdhläger der FPÖ-Zuschlag ;ia die nächste Regierungsbildung entscheidet.

Schon dje nächsten Wochen werden dies deutlich zum Ausdruck bringen. Die Verhandlungen über die Stabilisierung zwischen den beiden Großparteien scheinen sich bereits im Sande zu verlaufen (siehe auch unseren Beitrag auf Seite 4); vielleicht braucht man in der letzten Stunde wieder die Sozialpartner, die dann neuerlich der Regierung die Arbeit abnehmen dürfen; dafür kann die Regierung um 'so leichter mit der Oppositon um die Stimmen der FPÖ buhlen. Etwa bei der Rundfunkgesetznovelle, wo die FPÖ zwitterhaft zwischen dem Dreieck — gebildet aus Bruno Kreisky, Karl Schleinzer und Gerd Bacher — pendelt. Manches spricht auch dafür, daß der Bundeskanzler mit dem Gedanken einer „kleinen“ Beteiligung der kleinen Oppositionspartei an der Regierung spielte oder noch spielt — etwa durch die Hereinnahme eines einzelnen FPÖ-Vertrauensmannes in die Regierung.

Daß die FPÖ-Wählerschaft aber erstmals doch — wenngleich nur marginal — zwischen West und Ost ein unterschiedliches Wahlverhalten gezeigt hat, läßt jedoch einen Schluß auf veränderte Haltungen innerhalb der FPÖ selbst zu. Zweifellos gibt es heute drei Gruppen in der FPÖ: da sind Wähler und Funktionäre, die „eher rat als schwarz“ votieren; zu ihnen zählt zweifellos Parteichef Peter, dessen Verhältnis zu Bruno Kreisky fast schon als „freundschaftlich“ zu bezeichnen ist, wie Beobachter der letzten Moskaureise des Kanzlers bestätigein können. Eine zweite Gruppe in der FPÖ zielt auf eine Präferenz der ÖVP als Partner der Freiheitlichen. Diese Gruppe fühlt sich durch regionale Bündnisse gestärkt, die die beiden nichtsozialistischen Parteien in Graz, in mehreren Kärntner Gemeinden usw. abgeschlossen haben. Eine dritte Gruppe von Wählern möchte die FPÖ als Oppositon um jeden Preis erhalten wissen: als Partei jener Unzufriedenen und politisch Heimatlosen, die sich in keinem Bündnis wohl fühlen.

Nach dem 23. Juni erwartet Österreich bereits in den nächsten Tagen eine Phase der Konfrontation zwischen Regierung und Opposition — und schon dabei kann vielleicht besser sichtbar werden, wie die Dinge weitergehen — und für wen sich die FPÖ entscheidet. Sie wird jedenfalls ihre Wähler nicht ständig im Ungewissen lassen. Man wählt nämlich keinen Blankoscheck.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung