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Den Wähler stört das Listenwahlrecht

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Die Wahlgänge der letzten Jahre tragen immer mehr „personalistische“ Züge: Der Kanzlerbonus und der Landeshauptmannbonus werden immer plausibler zur Erklärung herangezogen. Und Oberösterreich schoß am 7. Oktober dieses Jahres den Vogel ab: Brachte die Nationalratswahl am 6. Mai - dank Kreisky - das bisher beste Ergebnis der SPÖ und das schlechteste der ÖVP seit 30 Jahren, so war es bei der Landtagswahl im Oktober genau umgekehrt.

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Die Wahlgänge der letzten Jahre tragen immer mehr „personalistische“ Züge: Der Kanzlerbonus und der Landeshauptmannbonus werden immer plausibler zur Erklärung herangezogen. Und Oberösterreich schoß am 7. Oktober dieses Jahres den Vogel ab: Brachte die Nationalratswahl am 6. Mai - dank Kreisky - das bisher beste Ergebnis der SPÖ und das schlechteste der ÖVP seit 30 Jahren, so war es bei der Landtagswahl im Oktober genau umgekehrt.

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Zweifellos dank Ratzenböck erzielte die oberösterreichische Volkspartei mit 51,6 Prozent das beste Ergebnis seit 1949, während die SPÖ mit 41,4 Prozent deutlich schlechter als bei den letzten beiden Landtagswahlen abgeschnitten hat. Daß hier nicht ein plötzlicher Gesinnungswandel der Wähler, sondern der Wandel der Spitzenkandidaten diese krasse Änderung herbeigeführt hat, liegt auf der Hand.

Da die Wahlergebnisse in den anderen Bundesländern, soweit sie vort ÖVP-Landeshauptleuten regiert werden, ähnliche, teilweise weniger krasse, im Falle der Steiermark aber noch deutlichere Unterschiede zwischen Nationalrats- und Landtagswahl zeigen, muß man annehmen, daß wir es auch mit Wechselwählern neuen Typs zu tun haben, die also partielle Stamm wähler je nach Wahltyp sein mögen, aber zwischen den verschiedenen Wahltypen ständig auch verschiedene Parteien - beziehungsweise deren Spitzenkandidaten - wählen.

Auf Oberösterreich gemünzt, heißt das: Ratzenböck und Kreisky in einer Brust!

Der Wähler ist also mobiler geworden und diese Mobilität entzündet sich nicht mehr an Parteien und Programmen, sondern an den Spitzenkandidaten der jeweiligen Parteien. Man könnte darin auch ein Zeichen einer weitgehenden Entideologisierung erblicken, die sicherlich in der pluralistischen Einstellung vieler Wähler ihre psychologische Grundlage hat. Wenn man auf einem festen weltanschaulichen Standpunkt steht, mag man eine solche Entwicklung auch bedauern. Ich halte dies aber trotzdem für ungerechtfertigt.

Wenn die Demokratie nicht nur vom Pluralismus lebt, sondern auch davon, daß Mandatare gewählt werden sollen, die den Willen ihrer Wähler in die politische Wirklichkeit umsetzen und die bei der nächsten Wahl danach beurteilt werden, wie weit sie diesen Wählerwillen verwirklichen konnten, dann ist dies ein ganz wesentlicher Zug echter Demokratie. An der Lagermentalität ist nicht zuletzt die Erste Republik zugrunde gegangen. Freuen wir uns, daß spätere Wählergenerationen hier anders denken.

Damit soll aber nicht einer grundsatzlosen Politik (frei nach Mei nungsforschungsergebnissen) das Wort geredet werden. Der Wähler will vielmehr Persönlichkeiten an der Spitze sehen, die Grundsätze nicht nur predigen, sondern verwirklichen, die also glaubhaft sind. Die Theorie ist gleichsam uninteressant, die Praxis ist entscheidend.

Wer sich ehrlich um den Wähler bemüht, um seine Sorgen und Ängste (was man sehr gut aus christlicher Verantwortung tun kann und soll), der hat auch den Erfolg auf seiner Seite. Für die innere Reform der ÖVP, die viel wichtiger als die äußere ist (ähnlich wie bei der Schulreform), wäre dies wohl der wichtigste Grundsatz.

Hier haben es eben die ÖVP-„Landesfürsten“ leichter, weil man auf Landesebene - und noch mehr auf Gemeindeebene - praktische Politik betreiben kann, bei der der konkrete Mensch im Mittelpunkt steht. Wenn es auch schwerer ist, müßte doch auch die Bundes-ÖVP versuchen, eine glaubhafte und ehrliche Oppositionspolitik zu betreiben.

Man kann nicht immer vom Sparen und von den riesigen Budgetdefiziten reden und gleichzeitig neue, wenn auch sozialpolitisch noch so schöne Forderungen anmelden. Man kann auch nicht von Umweltschutz ■und Energiekrise reden und anderseits zittern, wenn das Wirtschaftswachstum einmal real unter drei Prozent fällt.

Vom Wahlrecht her gesehen, dessen Diskussion wieder vom SPÖ- Klubobmann Dr. Fischer im heurigen Sommer in Gang gebracht wur-, de, bedeuten diese jüngsten Wahlergebnisse ein Signal, Proporz- und Persönlichkeitswahlrecht neu zu überdenken, .wie dies schon 1969/70 einmal geschehen ist. Ich glaube aber kaum, daß es in der heutigen Situa- tion sinnvoU wäre, den Proporz zu schwächen oder gar abzubauen und ein „mehrheitsfreundliches“ Wahl- reicht zu fordern, wie es damals von ÖVP-Seite geschehen jst.

Eine dem Wählerwillen möglichst proportionale Mandatsverteilung wird vom Wähler als durchaus gerecht empfunden. Daß man trotzdem Alleinregierungen zustarideb ringen kann, hat die SPÖ dreimal in diesem Jahrzehnt bewiesen.

Was aber den Wähler, der Persönlichkeiten wählen will, stört, ist das Listenwahlrecht. Es ist zwar für den Proporz unverzichtbar, müßte aber doch (ähnlich wie in der BRD) mit einem Ein-Mann(Frau)-System gekoppelt werden. Hier mag freilich das Bedenken bestehen, daß für die Erststimme vorwiegend „Lokalmatadö- re“ aufgestellt würden, die in den notwendigerweise kleinen Wahlkreisen (etwa Bezirksgröße) erfolgreiche Politiker sind. Sie müßten sich eben auch mit allgemeinen Fragen von nationalem Interesse profilieren können.

Ein anderer Weg wäre das aus Südtirol bekannte Vorzugsstimmensystem, bei dem keine zwei Stimmzettel erforderlich wären und die Kandidatenauswahl aus der Liste durch die Vorzugsstimmenpunkte erfolgt. Da könnte man bei den bisherigen Bundesländer-Wahlkreisen bleiben und brauchte - wie gesagt - keine zwei Stimmzettel.

Wie immer die Lösung aussehen mag, es ist Zeit, sich wieder mit der Personalisierung des Wahlrechts auseinanderzusetzen. Die Vorwahlen, die vor einigen Jahren von der ÖVP vielfach vorgenommen worden sind, waren zweifellos auch ein wertvoller Versuch in dieser Richtung. Sie können aber eine echte Personalisierung des Wahlrechts nicht ersetzen, da ja alle Wähler - und nicht nur, wie bei Vorwahlen meist praktiziert, die Parteimitglieder - die Mandatare bestimmen sollen.

Dr. Herbert Maurer ist Experte für Wahlstatistik und Wahlrechtsfragen und im statistischen Dienst des Amtes der oberösterreichischen Landesregierung in Linz tätig.

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