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Zentralismus - und alpiner Patriotismus

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Die Frage nach der Entwicklung des Föderalismus in Österreich stößt spätestens dann, wenn sie aus der abstrakten Erörterung heraustritt, auf die Realität, daß die politischen Parteien als Machtträger zu den Fragen der bundesstaatlichen Ordnung ganz bestimmte Beziehungen und Verhaltensmuster entwickelt haben. Sowohl die Verfassung und ihre Kompetenztatbestände als auch die konkrete Gestaltung der Beziehungen zwischen Bund und Ländern sind in Österreich ein Reflex der tatsächlichen Machtverhältnisse in und zwischen den Parteien — eben der Spiegel ihrer Vorstellungen vom Bundesstaat. Weshalb die Frage nach dem inneren und äußeren Verhältnis der Parteien zum Föderalismus einen harten Kern jeder Überlegung darstellt, ob und wie die bestehenden föderalistischen Strukturen in Österreich ausgestaltet werden können.

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Die Frage nach der Entwicklung des Föderalismus in Österreich stößt spätestens dann, wenn sie aus der abstrakten Erörterung heraustritt, auf die Realität, daß die politischen Parteien als Machtträger zu den Fragen der bundesstaatlichen Ordnung ganz bestimmte Beziehungen und Verhaltensmuster entwickelt haben. Sowohl die Verfassung und ihre Kompetenztatbestände als auch die konkrete Gestaltung der Beziehungen zwischen Bund und Ländern sind in Österreich ein Reflex der tatsächlichen Machtverhältnisse in und zwischen den Parteien — eben der Spiegel ihrer Vorstellungen vom Bundesstaat. Weshalb die Frage nach dem inneren und äußeren Verhältnis der Parteien zum Föderalismus einen harten Kern jeder Überlegung darstellt, ob und wie die bestehenden föderalistischen Strukturen in Österreich ausgestaltet werden können.

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Die politischen Parteien stehen — was ihre Einbindung in die Verfassung betrifft — in Österreich quasi „auf dem Korridor zur Macht“1. Das ist nicht neu. Gerade in bezug zum Föderalismus aber muß man ausdrücklich daran erinnern, daß die Parteien quasi Organe der Staatswillensbildung sind, wie Rene Marcic sagt2, der hier Kelsen folgt.

Denn die Parteien sind es, die den Staat nicht sozusagen aufsplittern (wie die älteren Staats- und Staatsrechtslehrer meinten3), sondern heute die wichtigsten Integrationsfaktoren des Politischen sind. Sieht man besonders die Zweite Republik in Österreich, muß man den Parteien bei aller aktuellen Kritik bescheinigen, daß sie das eigentlich konstitutive Element bei ihrer Begründung gewesen und weitgehend nach wie vor sind.

Ist Föderalismus nun ebenso wie Demokratie mehr als ein bloßes Organisationsprinzip, sondern eine Haltung, ein Grundsatzverhalten im vielfältigen Zusammenspiel täglicher politischer Entscheidungen, dann wird die Rolle der Parteien bei der Integration des Staates nach iödera-listischen Merkmalen einsichtig. ,

Nun sind politische Parteien Vereinigungen sui generis; sie sind nicht nur den allgemeinen, an alle Vereinigungen gestellten rechtlichen Forderungen unterworfen, sondern müssen darüber hinaus dann gewissen Prinzipien unterworfen sein, wenn sie solche im politischen Prozeß durchsetzen wollen. Parteiengesetze4, wie sie im vergleichbaren westlichen Ausland bestehen, enthalten die Forderung ausdrücklich: die innere Ordnung und Verfassung der Parteien, also die Statuten und auch die in der Praxis vollzogene Übung darf nicht gegen die fundamentalen Grundsätze der Verfassung stehen. (Die Frage ist etwa in den USA aktuell gewesen, wo die Frage der allgemeinen Parteimitgliedschaft — auch für Neger — In den fünfziger Jahren zur Diskussion stand; dies gilt auch für die Zulassung der kommunistischen Parteien in einigen Ländern, deren innere und äußere Verfassung dem Grundgedanken der Demokratie nicht entspricht.)

Deshalb darf man sich auch für Österreich der Forderung anschließen, daß die Parteiverfassungen ein Spiegelbild der demokratisch-rechtsstaatlichen und der föderalistischen Verfassung des Staates sein sollen5; daß niemand von der Willensbildung ausgeschlossen sein soll; daß etwa auch keine weiterreichenden Beschränkungen der Wählbarkeit gelten sollen als jene, die die Verfassung des Staates normiert usw.8.

Einem Prinzip „von unten nach oben“ bei der Willensbildung und beim Nominationsprozeß muß ein Prinzip der territorialen Willensbildung an die Seite treten; der Delegationsprozeß und der Nominationsprozeß von Abgeordneten muß dem föderalistischen Sinn der Bundesverfassung entsprechen; durch innerparteiliche Klauseln und Absprachen darf auch die freie Entscheidung des Mandatsträgers nicht unmöglich , werden, indem dieser Interessen seines Wahlkreises (seit der Nationalratswahlordnung 1971 gibt es nur neun Wahlkreise, die mit den Bundesländern identisch sind7) aus

Parteiräson etwa Forderungen der Bundespolitik unterordnen muß.

Die Frage nach der „föderalistischen“ Struktur der Parteiverfassungen umfaßt aber auch das Problem der Finanzierung der Parteien; es macht, geht man an die Organisationsgesetze der Parteien empirisch heran, einen erstaunlich wichtigen Unterschied, ob die Finanzordnung einer Partei eine Finanzierung der Bundesorganisation durch die Beiträge ihrer territorialen Gliedorganisationen vorsieht oder ob diese sogar von der Parteizentrale aus finanziert werden. Bei immer kostspieliger werdenden Wahlgängen und bei der zunehmenden bundespolitischen Bedeutung auch von Landtagswahlen, ja Gemeinderatswahlen ist die Finanzordnung ein wichtiger Schlüssel zur Gestaltung des „föderalistischen“ Gefüges einer Partei.

Alle statutarischen und organisatorischen Gesichtspunkte müssen aber in den Zusammenhang der eigentlichen und inneren Programmatik der Parteien gestellt werden: ist ihnen der Gedanke des Föderalismus ein Anliegen, ein Grundsatz, aus dem schlüssig selbstverständliche Reaktionen in allen politischen Entscheidungen folgen? Ist Föderalismus der leben der Demokratie gleichwertige Ausfluß der praktischen Politik?

Zweifellos haben die heutigen politischen Parteien in Österreich als Ergebnis einer historischen Herausbildung von „Lagern“8 unterschiedliche Programmvorstellungen zum Bundesstaat entwickelt.

Manfred Welan macht deutlich, daß eine wichtige Verklammerung zwischen den Anliegen des Föderalismus und der Bedeutung der Landesparteiorganisationen besteht. Und er folgert, daß die „Frage des innerparteilichen Föderalismus... für die Frage unseres Bundesstaatensystems jedenfalls von größter Bedeutung“ ist.

Die Parteiorganisation vermittelt im Rahmen dieser etwas komplizierten und komplexen Struktur doch interessante Unterschiede im Stellenwert des Föderalismus innerhalb der Organisationen der Großparteien. Man muß nämlich die Konsequenzen aus den statutarischen Bestimmungen vor Augen haben, um den Sinn zu erkennen:

• Tragende Säule der Organisationshierarchie in der ÖVP sind die Landesorganisationen. Sie haben ihren Platz in allen Gremien und ihre jeweilige Stärke richtet sich entweder nach der Wählerschaft der ÖVP in einem Bundesland oder ist überhaupt fixiert — wobei es gleichgültig ist, ob es sich um ein kleines oder um ein großes Bundesland handelt.

• In der SPÖ entscheidet stets für die Vertretung der durch Bezirksgliederungen hierarchisch „geschwächten“ Landesorganisationen nur die Zahl der jeweiligen Parteimitglieder. Das bedeutet, daß Bundesländer mit sehr starker SPÖ-Mit-gliederschaft überproportional in praktisch allen Gremien der SPÖ vertreten sind; im konkreten Fall ist Wien auch in allen zentralen Parteiorganisationen der SPÖ erheblich überproportional präsent. Kleine Bundesländer haben weniger Chancen als große, jedenfalls gibt es zum Unterschied von der ÖVP in den exekutiven Gremien weder eine entsprechende Gleichberechtigung nocl eine Relation nach bevölkerungs-oder zumindest wählerspezifischen Gesichtspunkten.

• Finanzordnung und Mandantenauswahl sind in der SPÖ nicht Gegenstand des Paktierens zwischen Bund und Ländern wie in der ÖVP, sondern das Ergebnis von Beschlüssen von Bundeseinrichtungen der SPÖ.

Damit wird aber in gewissem Sinne dem Gedanken des Föderalismus — so wie ihn die Bundesverfassung anwendet — widersprochen: die Länder werden durch das SPÖ-Sta-tut nicht als Einheiten sui generis gesehen, die gleichberechtigt nebeneinander und in ihrem Verhältnis zum Bund funktionieren — vielmehr wifd'^ nach quantitativen Kriterien ein bezirksweise gegliederter Ge-' samtstaat dem Modell der Parteiorganisation vorausgegeben. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: mitgliederschwache Landesorganisationen können sich nicht entsprechend zur Geltung bringen, Landesinteressen können vor Gesamtinteressen unter die Räder geraten, die starke Dominierung des Bundeslandes Wien verschärft einen Gegensatz, wo Ausgleich wünschenswert wäre.

Nun ist stets abzuwägen, ob und wie ein Modell in der Praxis funktioniert. Tatsächlich ist es so, daß innerhalb der SPÖ jeweils Persönlichkeiten in den Ländern über Stärke und Schwäche der Landesorganisation entscheiden. Anderseits darf aber auch nicht übersehen werden, daß gerade durch die überragende Rolle, die der derzeitige Bundesparteivorsitzende in der SPÖ spielt, die Länder insgesamt eine Reduzierung ihres möglichen Einflusses hinnehmen müssen. Sowohl in der kürzlich aktuellen Ablöse des Kärntner Parteiobmannes wie des Wiener Bürgermeisters hat der Parteivorsitzende Bruno Kreisky eine sehr entscheidende und ausschlaggebende Rolle gespielt.

Das eigentliche Problem, womit sich eine Analyse des Föderalismusgehalts innerhalb der österreichischen Parteien aber konfrontiert sieht, besteht einerseits in der aktuellen bundespolitischen Situation zwischen den beiden Großparteien, anderseits aber auch in den Entwicklungstendenzen der verschiedenen Elemente in der politischen Struktur Österreichs.

Im Falle von Alleinregierungen, wie wir sie derzeit in Österreich haben, wirkt sich die Föderalisierung wegen der stärkeren Konkurrenz-, Konflikt- und Kontrollsituation stärker aus als bei einer großen Koalition“; in gewissem Sinne wird das Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern durch das Bestehen von Alleinregierung und Opposition im Bund akzeptiert: dies umso mehr, als die derzeitige Opposition in sechs von neun Bundesländern eine Mehrheit besitzt und in

Konflikten mit der Regierung diese Tatsache ausspielen kann. In der Volkspartei ist auch schon sehr früh der Gedanke einer „Länderfront“ gegen die Bundesregierung in Wien aufgetaucht, der sich vor allem auf das anders gelagerte Föderalismusverständnis der Volksparteipolitiker in den Bundesländern stützt10.

Anderseits hat die Bundesregierung einige Male sozialistisch verwaltete Bundesländer um Sukkurs ersucht und einen deutlichen Unterschied in der Behandlung sozialistischer Bundesländer gegenüber ÖVP-Bundesländern bei der Durchführung von Bundesprojekten oder bei der Vergabe von Bundesmitteln gemacht11. Hans Klecatsky jedenfalls meint insbesondere in bezug auf

Wien, daß eine „derart schizophrene Politik Wiens auf die föderale Atmosphäre nur vergiftend wirken kann“1«.

Anderseits zeigt sich auch eine zunehmende Verklammerung von parteipolitisch und bundespolitisch bestimmten Interessen an Landtagswahlen ; ausdrücklich wird Landtagswahlen von vielen Spitzenpolitikern eine bundespolitische Bedeutung zuerkannt, weshalb in Wahlkämpfen in den Ländern bundespolitische Argumente zunehmend eine zentrale Rolle spielen. Daß die Überwucherung von bundespolitischen Gesichtspunkten nicht Sinn von Landtagswahlen sein kann (in denen es um die Zusammensetzung der Ländervertretung geht), liegt auf der Hand: die Länder sollten nicht nur „zeitweiliger Exerzierplatz für Minister und Nationalräte“ sein13.

Weshalb auch zu fragen ist, wo in Hinkunft der Bundesrat zu placieren Ist: als Schmalspurabguß des Nationalrates, in dem gleichfalls nur die Parteizugehörigkeit entscheidet — oder als Willensorgan der Länder. An Vorschlägen fehlt es diesbezüglich nicht.

Schließlich muß aber doch die Frage gestellt werden, ob nicht gewisse Tendenzen in der politischen Struktur Österreichs eine partielle Modifikation der üblichen Föderalismusproblematik nahelegen. Sicherlich ist nicht zu übersehen, daß die technischen Zwänge und die integrierende Wirkung der besseren, intensiveren und schnelleren Kommunikation den Grundgedanken des Föderalismus im Bereich der praktischen Politik nicht eben verstärkt. Wenn Felix Ermacora beklagt, daß die föderalistische Struktur Österreichs weitgehend verschüttet ist und Österreich von Wien organisiert und von Wien regiert wird14, dann ist daran nicht zuletzt eine moderne Verwaltung, eine bessere Verwaltungsökonomie und die leichtere Überwindung von Räumen ausschlaggebend. Man denke nur an Aufgaben wie etwa im Bereich des Umweltschutzes, der Gesundheitspolitik und einer koordinierten Wirtschaftspolitik. Die Versuchung ist groß, zentralistische Wege zu gehen, der Weg zu einem europäischen Regionalismus anstatt zu einem nationalen Zentralismus ist für die politische Routine mühsam.

Auch ist nicht zu übersehen, daß der Gegensatz zwischen Bund und Ländern in Österreich auch gewissermaßen ein Gegensatz Stadt—Land war. Mit zunehmender Urbanisierung wird dieser abgeschwächt. An die Stelle des Gegensatzes tritt zunehmend eine „Politik im Spannungsfeld von Ballungs- und Erholungsräumen“15, die jedenfalls über formale Bundesländergrenzen hinausführt. Es ist festzustellen, daß die wachsenden Gruppen der Unselbständigen primär Konsuminteressen entwik-keln, die Forderungen an die nationale Wirtschaftspolitik aufwerfen.

Landespolitische Probleme müssen sich schließlich noch mit kommunalpolitischen Forderungen konkurrenzieren. Zwischen Gemeinde und Bund bleibt den Landespolitikern ein zunehmend engeres Betätigungsfeld:

Qualität“ jjst drauf“ und^dran, dem Föderalismusgedanken schlechthin arg zuzusetzen.

Bleibt schließlich die Frage offen, ob und wie die politischen Parteien sich die Zukunft des Föderalismus vorstellen: als leere Schale eines Verfassungskorsetts oder als brauchbare blutvolle Einrichtung des aktuellen politischen Lebens, das dem Bürger näher ist als ein ferner Nationalstaat mit seinen zentralen Verwaltungseinheiten.

Auf die Chance, die für politische Parteien eine Revitalisierung des Föderalismusgedankens bedeuten könnte, hinzuweisen, ist jedenfalls notwendig. Der Stellenwert des Föderalismus für den denkenden und wählenden Bürger ist jedenfalls nach wie vor erstaunlich erheblich.

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