Föderalismus für's Gemüt

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Warum in Österreich Bundesstaatsreformen immer wieder scheitern: Es fehlen breite öffentliche Debatten, analysiert Christoph Konrath

Mitte März hat das Bundeskanzleramt einen Entwurf für eine Bundesstaatsreform vorgelegt. Bis Ende Mai wurden fast 70 Stellungnahmen dazu abgegeben - mehr als bei vielen anderen Gesetzesentwürfen -, aber eine öffentliche Debatte ist ausgeblieben.

Noch merkwürdiger ist aber diesmal, dass sich Bundeskanzler Gusenbauer, dessen Expertengruppe den Entwurf ausgearbeitet hat, bald nach Beginn der Begutachtungsfrist davon distanzierte. Gleiches tat Vizekanzler Molterer. Merkwürdig, weil für gewöhnlich der Eindruck besteht, dass eher die Landeshauptleute von neuen Vorschlägen überrascht werden - selbst wenn alle von ihnen Mitglied im Österreich-Konvent waren, oder die Landeschefs Gabi Burgstaller und Herbert Sausgruber (siehe Seite 23) sogar Mitglieder der besagten Expertengruppe sind. Aber damit wird auch schon das Kernproblem österreichischer Bundesstaatsreformen angesprochen: Expertenentwürfe reichen nicht aus, es braucht auch eine fundierte demokratische Auseinandersetzung.

Oh, du mein zersplittertes …

Die Neufassung der Kompetenzverteilung ist seit langem Dreh- und Angelpunkt einer Verfassungs- und Staatsreform in Österreich. Die Kleinteiligkeit, Zersplitterung und Starrheit der Kompetenzbestimmungen wird von vielen als die große Hürde für notwendige Strukturreformen gesehen. Im Zentrum des neuen Vorschlags steht daher der Wunsch nach Vereinfachung. Hinfort soll es nur noch ausschließliche Bundes- und Landeskompetenzen geben. Da aber gewisse Bereiche nicht zweckmäßig "entflochten" werden können, etwa aufgrund der Kleinräumigkeit Österreichs, soll es auch eine "3. Säule" geben, in der Bund und Länder zuständig sein sollen.

Was bislang in vielen "Kompetenztatbeständen" geregelt war, etwa der Bereich Sicherheit, soll nun einfach "Sicherheitsverwaltung" heißen. Bei aller Zustimmung zur Vereinfachung hegen dabei aber die Länder die Angst, dass weite Begriffe letztlich auch mehr Einfluss für den Bund bedeuten, weil sie zu seinen Gunsten ausgelegt werden. Dafür finden sich durchaus internationale Beispiele. Äußerst knappe Erläuterungen im Entwurf werden keine Abhilfe schaffen.

Aber die Probleme liegen tiefer. Die Kompetenzverteilung regelt die Zuständigkeit zur Gesetzgebung und zur Vollziehung. Weil sie von Beginn der Republik an umstritten waren, gehen viele der Begriffe auf die Monarchie zurück, und es gibt bis heute etwa keine Kompetenz "Umweltschutz". Seit 1925, als die noch weitgehend geltende Kompetenzverteilung eingeführt wurde, hat sich eine sehr spezifische Auslegungstechnik entwickelt, die sich oft nur schwer nachvollziehen lässt. Dazu kommt, dass Gesetzgebungskompetenzen streng betrachtet nur Ermächtigungsregeln sind.

Im Zentrum der politischen Debatte steht aber die Frage der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern, die Schaffung von möglichst klaren Leistungs- und Verantwortungsbereichen, die letztlich auch Einnahmen und Ausgaben betreffen. Die damit verbundenen Probleme sind komplex, und die Leistungsgrenzen des Rechts treten schnell zutage. Sprachliche Unbestimmtheiten, unterschiedliche politische, juristische und wirtschaftliche Verständnisse verstärken die Konflikte. Expertenentwürfe alleine können keine Probleme lösen.

Noch schwieriger wird es, weil in Österreich der Bundesstaat immer irgendwie vorausgesetzt wird. Es gibt wenig Auseinandersetzung darüber, warum wir Unterschiede bewahren und fördern wollen - eigentlich der Kern des Föderalismus. Und es gibt nur wenige, die diese Debatten auch führen. Der Stolz auf das eigene Bundesland scheint oft zu genügen. Föderalismus muss nicht mit wirtschaftlicher Effizienz gerechtfertigt werden, Föderalismus für's Gemüt wird aber auch nicht ausreichen.

Auffallend ist, dass in Österreich entweder Experten oder Regierungsvertreter über den Föderalismus streiten. Eine breite Diskussion hat noch nie stattgefunden. Demokratischer Streit um vielfältige Lösungsmodelle, wiederum ein Merkmal von Föderalismus, ist nahezu unbekannt. Stattdessen dominieren die kompliziert verflochtenen Interessen von Bundes- und Landesregierungen und der dazugehörigen Verwaltungsapparate seit Jahrzehnten die Ansätze zu Bundesstaatsreformen. Im Zentrum stehen die Landeshauptleute, die auch jeweils in den Bundesparteien wichtige Positionen einnehmen. Faktische Macht gewinnen sie aber durch ihre starke Stellung in der Verwaltung - paradoxerweise, wenn sie Bundesrecht vollziehen. Anders als in den meisten Bundesstaaten wird nämlich in Österreich Bundesrecht, das Landesrecht bei weitem überwiegt, primär durch die Länder vollzogen. Landesorgane sind dann dem Bundesminister zum Großteil weisungsmäßig untergeordnet. Im Österreich-Konvent haben sich die Landeshauptleute gegen die Reform dieses Systems gewehrt, und im April 2008 haben sie ihre Position bekräftigt. Dessen Komplexität führt nämlich dazu, dass die Landeshauptleute in der Praxis keinem Parlament verantwortlich sind.

… föderales Österreich!

Es ist unbestritten, dass sowohl die geltende Verfassung als auch die Vorschläge für ihre Reform dem Bund ein deutliches Übergewicht, gerade auch in finanzieller Hinsicht, zumessen. Ebenso unbestritten ist die Tendenz, dass, wer immer auf Bundesebene regiert, eine Neigung zur Vereinheitlichung hat. Ein effektives Gegengewicht dazu fehlt, gerade weil die Standpunkte der Länder (Landeshauptleute) in den verschiedenen Politikbereichen oft sehr unterschiedlich sind. Der Bundesrat scheidet dafür bislang rechtlich und faktisch aus. Hier dominieren Partei-, nicht Länderstandpunkte. Folglich sieht der Reformentwurf auch Möglichkeiten für einen neuen Bundesrat vor. Eine davon würde die Landeshauptleute zu Mitgliedern des Bundesrats machen. Gemeinsam mit dem Landtagspräsidenten und einem gewählten Mitglied würden sie ihr Land repräsentieren und eine Stimme haben. In Belangen, für die Bund und Länder gemeinsam zuständig wären, sollten sie so formal in politische Verhandlungen und Entscheidungen eingebunden werden. Dieses Modell würde die faktische Stellung der Landeshauptleute rechtlich legitimieren, zugleich würde es aber zu einer Vermischung von Legislative und Exekutive führen. Aber wer weiß, ob es je soweit kommen wird. Schließlich hat alles in den letzten 90 Jahren auch irgendwie funktioniert.

Der Autor ist Jurist in der Parlamentsdirektion.

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