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Kontrollorgan und Wahrer des Föderalismus

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Die Bedeutung der österreichischen Länder und damit des Föderalismus, der ja ein wesentliches Bauelement unseres Staates darstellt, ist nur erklärbar - auch für die historischen Jahre 1918 und 1945 - aus den Ereignissen der Vergangenheit und nicht zuletzt des Revolutionsjahres 1848. Der Entwurf der Konstitutionsurkunde für die österreichischen Staaten, der im März 1849 fertiggestellt wurde, sowie alle übrigen Überlegungen des sogenannten „Kremsierer- Verfassungsentwurfes“ zielten darauf hin, die Ländergewalten mit der Zentralgewalt in Einklang zu bringen, aber auch gleichzeitig den Begriff der Souveränität der einzelnen Gliedstaaten herauszuarbeiten.

Es ist dabei nicht uninteressant, zu bemerken, wie stark sich der Krem- sierer-Entwurf auf die Bundesverfassung vom Jahr 1920 auswirkte, da man neben den Nationalrat als die eigentliche Volksvertretung den Bundesrat als die Repräsentanz der Bundesländer stellte. In Kremsier ging man sogar so weit, Volks- und Länderkammer einander gleichberechtigt gegenüberzustellen und jeden Gesetzesentwurf von der Zustimmung beider Organe abhängig zu machen. Für den Fall eines minderjährigen oder regierungsunfähigen Herrschers sollte ein Regent durch die vereinten Kammern des Reichstages mit absoluter Stimmenmehrheit gewählt werden - die Urform der Bundespräsidentenwahl durch die Bundesversammlung, wie dies bis 1945 praktiziert wurde.

Die Schwierigkeiten bei der Verfassungsbildung wurden ausführlich geschildert, nicht zuletzt von Kelsen selbst, wobei den Länderkonferenzen in Salzburg vom 15. bis 17. Februar 1920 und vom 20. bis 23. April 1920 besondere Bedeutung zukommt. Neben einer starken Tendenz der Christlichsozialen Partei zum Föderalismus und damit zu einer Vertretung der Länder innerhalb der zukünftigen Verfassung hatte neben den Sozialdemokraten, die stark für das zentralistische Prinzip eintraten, die Großdeutsche Partei ganz andere Vorstellungen, deren Grundtendenzen später bei dem Ruf nach Verfassungsreform vor dem Jahr 1929 immer wieder in Erscheinung treten sollten, Tendenzen, die der Weimarer Verfassung des republikanischen Deutschland entsprachen, wie etwa die Wahl des Bundespräsidenten durch das Volk.

Die Rolle, welche nun dem Bundesrat zugeteilt wurde, deckte sich nur unvollständig mit den Forderungen der Vertreter des Föderalismus. Man hatte zwar erreicht, daß die Länder als selbständige Nachfolger der einstigen Kronländer, mit beträchtlichen Kompetenzen ausgestattet, auftreten konnten, auf der anderen Seite war jedoch nicht zu übersehen, daß der Zentralismus der Parteien selbst ein gewisses Hemmnis darstellte und damit auch der Bundesrat, wie Universitätsprofessor Dr. Oswald Gschließer schrieb, nur das schwache Abbild einer zweiten Kammer darstellt, während in Wirklichkeit der Nationalrat das maßgebende Organ für die Bundesgesetzgebung wurde.

Die kleine Verfassungsnovelle des

Jahres 1925 mit der Übertragung sehr wesentlicher Angelegenheiten auf den Bund, die von Personenstandsangelegenheiten über die Fremdenpolizei, das Waffenwesen, das Kraftfahrwesen, das Wasserrecht bis zum Forstwesen reichte, kündigte an, was 1929 Wirklichkeit werden sollte. Ermacora nennt die Verfassungsnovelle 1929 „einen weiteren Einbruch in die Hoheit der Länder“.

Verständlich ist diese Novelle nur wieder aus historischer Sicht. Der Forderung der bürgerlichen Parteien und der Heimwehren nach einem „starken Mann“ - in diesem Falle sollte dies der Bundespräsident sein -, nach Notverordnungsparagraphen und nicht zuletzt die immer wieder auftretenden Polemiken um den Bundesrat, dessen Ausbau zu einem Ständeparlament zum Vokabular aller „reformistischen“ Gruppierungen, von den Christlichsozialen bis zu den Heimwehren, gehörte, stand realpolitisch der Meister in dieser heiklen Situation gegenüber: Bundeskanzler Dr. Johannes Schober.

Bezeichnenderweise hat 1945 der Föderalismus einen neuen Ansatz gefunden, da sich bei den Länderkonferenzen des Jahres 1945 die Bundesländer - wie Dr. Renner einmal betonte — freiwillig der Provisorischen Regierung unterordnen sollten, einer Regierung, die im Vergleich zu 1919 unter wesentlich schwierigeren Bedingungen ihr Werk begann, allerdings unter der erfahrenen Führung eines Politikers, der schon 1919 der ei gentliche Architekt des staatlichen Neubaues gewesen war.

Soweit die gegenwärtige Lage übersehbar ist, hat der Bundesrat zweifellos - trotz der von vielen Kritikern herausgestellten geringen Einspruchsmöglichkeiten - in hohem Maße eine wichtige Funktion erfüllt. Dies geht nicht zuletzt darauf zurück, daß viele Initiativen des Bundesrates, Entschließungen und Debattenbeiträge von hohem und höchstem Niveau, bei späteren Gesetzesbeschlüssen des Nationalrates berücksichtigt wurden und umgekehrt durch eine stärkere publizistische Berücksichtigung des Bundesrates durch die Massenmedien in den letzten Jahren seine Bedeutung im parlamentarischen Leben Österreichs besser herausgestellt und verstanden wurde.

So hat der Bundesrat in einer entscheidenden Periode der Zweiten Republik, die gekennzeichnet ist durch den schweren Weg vom Wiederaufbau aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges über die erste wirtschaftliche Konsolidierung bis zum Staatsvertrag und von dort zur außenpolitischen Entscheidungsfreiheit im Rahmen unserer immerwährenden Neutralität, eine nicht zu übersehende Rolle gespielt.

Aus einem Artikel des kürzlich verstorbenen Univ.-Prof. Dr. Ludwig JEDLICKA in der Festschrift „30 Jahre Bundesrat 1945-1975“.

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