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Dem Bundesrat eine Chance

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Das politische Schattendasein, das der österreichische Bundesrat führt, ist geradezu schon sprichwörtlich geworden — aber es entspricht durchaus nicht dem Geist der Verfassung. Zwar räumt die Bundesverfassung dem Nationalrat im Gesetzgebungsverfahren ein eindeutiges Übergewicht ein (grundsätzlich besitzt der Bundesrat nur ein aufschiebendes Veto gegen Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates), und die Bundesregierung ist auch nur dem Nationalrat verantwortlich. Aber dem Bundesrat ist an sich eine durchaus eigenständige Funktion zugedacht: die Wahrung des bundesstaatlichen Prinzips. Soll der Nationalrat, der vom Bundesvolk auf Grund von direkten Wahlen bestellt wird, den Souverän, eben das Volk, in dessen ungegliederter und ungebrochener Ganzheit vertreten, so soll im Bundesrat das politische Wollen des Volkes mittelbar und nach Ländern gegliedert zum Ausdruck kommen und so den Interessen der Länder dienen.

Bedeutungslos

So ist die Rolle des Bundesrates gedacht. Aber die Realitäten sind anders: Der Bundesrat spielt schon lange eine so unbedeutende Rolle, daß er aus der österreichischen Politik weggedacht werden könnte, ohne daß sich etwas Wesentliches ändern würde. Von seinem Recht auf Gesetzesinitiative machte der Bundesrat seit 1945 überhaupt noch nie Gebrauch, und von seinem Recht auf suspensives Veto auch nur aus formalen oder wirtschaftspolitischen Gründen, nie jedoch wegen einer Verletzung der Länderinteressen.

Der Grund für diese Bedeutungslosigkeit des Bundesrates ist, daß seine politische Struktur von der des Nationalrates nicht verschieden ist: In beiden Kammern sind die gleichen politischen Parteien im selben Stärkeverhältnis vertreten, die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat können vom Nationalrat praktisch nicht verschieden sein. Die Bundesräte sind primär Vertreter ihrer Parteien und nicht ihrer Länder, der Bundesrat spiegelt in seiner Realität so wie der Nationalrat das Bundesvolk in dessen parteipolitischer Gliederung wider und nicht in dessen Gliederung nach Ländern. Friedrich Koja („Bundesstaat ohne Bundesrat", „Forum“ 110 1963) hat diese Situation des Bundesrates treffend beschrieben: „Solange die Abgeordneten von den Landtagen nach dem Verhältniswahlsystem entsendet werden und die einzelnen Länder je nach Einwohnerzahl über eine verschieden große Zahl von Mandaten verfügen, ist die Zweite Kammer eine Wiederholung und kein Gegengewicht der Ersten Kammer."

Modellfall Schweiz

Die Gesetzgebung der Schweiz, dem Vorbild aller bundesstaatlichen Demokratie, beruht ebenfalls auf dem Zweikammernsystem. Aber der Ständerat, der in der Eidgenossenschaft die Interessen der Kantone wahrzunehmen hat, ist schon von seiner Struktur her stärker als der österreichische Bundesrat: In den Ständerat entsendet jeder Kanton, unablpngig von seiner Größe, zwei Abgeordnete (in Österreich: jedes Land, je nach Größe, drei bis zwölf Bundesräte); die Kantone selbst können über die Art der Bestellung der Abgeordneten entscheiden (entweder unmittelbare Volkswahl oder Entsendung durch die kantonalen Parlamente; in Österreich muß die Bestellung der Bundesräte durch die Landtage erfolgen); beide Kammern, der Nationalrat und der Ständerat, müssen einer Gesetzesinitiative zustimmen, der Ständerat besitzt also ein absolutes Vetorecht; für den Fall der Nichteinigung beider Kammern ist ein Verständigungsverfahren vorgesehen. Durch die verschiedenen Arten der Bestellung, die im Ständerat möglich sind, und wegen des arithmetischen Prinzips (jedem Kanton zwei Abgeordnete) ist eine Strukturverschiedenheit zwischen dem in direkter Wahl bestellten Nationalrat und dem Ständerat gegeben, verschiedene Mehrheitsverhältnisse sind durchaus möglich.

Andere Wege ging man beim Auf-

bau des Bundesrates der Bundesrepublik Deutschland: Der westdeutsche Bundesrat wird nicht von den Landesparlamenten, sondern von den Landesregierungen beschickt; jedes Land stellt zwischen drei und fünf Abgeordnete, die Stimmen eines Landes können nur einheitlich abgegeben werden; die Mitglieder des Bundesrates sind an die Weisungen ihrer Landesregie

Möglichkeiten der Reform

Einer Aufwertung des Bundesrates werden oft die Bedenken entgegengehalten, wie sie auch Kelsen formuliert hat, daß nämlich eine zweite, nicht unmittelbar vom Volk bestellte Kammer das demokratische Prinzip abschwächen könnte. Diesem an sich legitimen Einwand wurde und wird man aber gerecht, indem man der ersten, unmittelbar bestellten Kammer den Schwerpunkt der legislativen und auch die kontrollierende Tätigkeit zuteilt — anders wäre es in einer parlamentarischen Demokratie auch kaum vorstellbar. So hat auch die Verfassung der 5. Französischen Republik, deren Väter ursprünglich an ein System mit zwei wirklich gleichberechtigten Kammern gedacht hatten, die zweite Kammer, den Senat, mit der Nationalversammlung zwar grundsätzlich gleichgestellt, aber in einem komplizierten Vermittlungsverfahren mußte dennoch der Nationalversammlung ein Übergewicht gegeben werden. Andernfalls hätte man es riskiert, daß die beiden Kammern in einer Patt-Stellung einander aufheben können — eine Situation, die für eine parlamentarische Demokratie besonders gefährlich ist.

Was also der österreichische Bundesrat braucht, um der ihm zugedachten Funktion gerecht zu werden, ist nicht eine Abkehr vom

rungen gebunden. Dadurch, daß der westdeutsche Bundesrat, ein Organ der Legislative, von den Exekutiven der Länder beschickt wird und daß die Abgeordneten en bloc, nach Ländern, abstimmen, ist der Bundesrat von vornherein anders strukturiert als die erste Kammer, der Bundestag, und somit keine Wiederholung, sondern eine wirkliche Ergänzung desselben.

Grundsatz des bloß suspensiven Vetos. Dem Bundesrat wäre aber mit einer Reform gedient, die seinen Aufbau verändern und von dem des Nationalrates grundsätzlich verschieden macht:

• Die Besetzung des Bundesrates nach dem arithmetischen Prinzip — für jedes Land, unabhängig von der Einwohnerzahl, die gleiche Zahl von Mandaten. Eine solche Reform würde die vom Verfassungsgesetzgeber beabsichtigte ländermäßige Gliederung gegenüber der parteimäßigen (die im Nationalrat ihren Platz hat) in den Vordergrund rücken.

• Es sollte jedem Land überlassen bleiben, auf welche Weise es seine Bundesräte auswählt (durch die Exekutive, durch die Legislative oder auch durch das Landesvolk). Dadurch könnte die Hauptursache für die völlige Bedeutungslosigkeit des Bundesrates beseitigt werden, der Bundesrat würde dann aufhören, nur eine Neuauflage des Nationalrates zu sein.

• Die Landesfraktionen sollten im Bundesrat en bloc abstimmen; dadurch würde die ländermäßige Gliederung besonders herausgehoben werden, es wäre auch die Möglichkeit zu einer vom Nationalrat verschiedenen Mehrheitsbildung gegeben.

• Das Recht des Bundesrates auf Gesetzesinitiative müßte verstärkt werden. Nach der gegenwärtigen Regelung ist der Nationalrat nicht verpflichtet, eine Gesetzesvorlage des Bundesrates auch nur zu behandeln: eine Bestimmung, die das Initiativrecht des Bundesrates völlig aufhebt.

Nötige Impulse

Aber nicht nur durch institutionelle Reformen könnte dem Bundesrat die ihm zustehende Bedeutung gegeben werden. Es liegt auch am Bundesrat selbst, mehr von den ihm zustehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Auch in seiner gegenwärtigen Situation kann der Bundesrat durch eine verstärkte Aktivität ein lebendiges Instrument der Demokratie und des Föderalismus werden. Aber auch die Entsendung profilierter Landespolitiker wäre ein wichtiger Impuls für unsere zweite Kammer. Wien und die Steiermark sind hier bereits mit gutem Beispiel vorangegangen und haben ihre Landeshauptleute in den Bundesrat entsandt, und der Vorsitzende des Bundesrates, Jörg Iro, hat in einer vielbeachteten Rede vor kurzem erst der Erwartung Ausdruck gegeben, diesem Beispiel sollten andere Länder folgen.

Dem österreichischen Parlament kommt durch die Änderung im Regierungssystem, durch das Vorhandensein einer starken Opposition, eine vermehrte Bedeutung zu. Gerade im Interesse eines verlebendigten Parlamentarismus sollte von der so gern zitierten „Aufwertung des Parlaments“ nicht nur der Nationalrat profitieren, dem natürlich weiterhin das Hauptgewicht politischer Effektivität gebührt, sondern auch das Aschenbrödel des Parlaments, der Bundesrat.

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