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Trend zu Bürgerlichen?

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Die Schweizer sind Urnengänge gewohnt. Mehrmals jährlich haben sie auf eidgenössischer, kantonaler oder kommunaler Ebene über eine Reihe von Sachgeschäften zu befinden und auch Wahlen bis hinunter zu Schulräten und Bezirksrichtern zu tätigen.

Alle vier Jahre aber steigt das politische Barometer. Die Erneuerungswahlen des 246köpfigen

Bundesparlamentes ragen aus der Routine der Wahrung direkter demokratischer Rechte hinaus. Vor allem die Parteistrategen werden nervös — und mit einem rechten Aufwand an Werbemitteln wird um die Gunst der Wählerschaft gebuhlt.

Dabei zeigt das Wählerverhalten der Schweizer einen starken Hang zur Stabilität. Der Anteil der vier großen Parteien (oft „Re- gierungskartell” genannt), die in einer seit 1959 geltenden „Zauberformel” den Bundesrat als Landesregierung stellen, zeigt Abweichungen von ganz wenigen Prozenten.

Etwas weniger ruhig verlaufen dieWähler kurvenkleinerer

Gruppierungen und Splittergruppen, die oft Ausdruck sind von punktuellen aktuellen Fragen (z. B. Überfremdung) und die so je nach momentaner „Stimmungslage” einige Prozente zulegen können — oder in der Versenkung verschwinden.

Betrachten wir den Wähleranteil der vier Großen bei den letzten fünf Wahlgängen seit 1963. Die Sozialdemokratie (SP, zwei Bundesräte stellend), schwankte zwischen 22,8 (1971) und 26,6 Prozent (1963). Die Freisinnigen (FDP, zwei Bundesräte) hatten mit 21,5 (1971) ihr tiefstes und mit 24,1 Prozent vor vier Jahren ihr bestes Ergebnis.

Als dritte Partei mit zwei Bundesratssitzen bewegte sich die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) zwischen 21,0 (1971) und 23 Prozent (1963). Schließlich die Schweizerische Volkspartei (SVP, früher hieß sie ihrer Stammwählerschaft entsprechend Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei), die 1975 bisher erstmals mit 9,9 Prozent unter die

10-Prozent-Marke absackte, dafür vier Jahre später mit 11,6 Prozent ihr bestes Ergebnis in der beobachteten Zeitspanne aufwies.

Insgesamt ergab das für die Regierungsparteien der Koalition jeweils einen Anteil von über 80 Prozent aller zu vergebenden Sitze. Und wenn man den Anteil der Sozialdemokraten abzieht, die hie und da mit dem Auszug aus der Regierung liebäugeln und im Parlament vielfach opponieren, gibt das immer noch eine komfortable Mehrheit für die drei starken bürgerlichen Parteien, die auch noch auf Sukkur s kleiner Gruppen zählen können.

Auch für diese Wahlen erwartet man keinen „Erdrutsch”, wohl aber einige Verschiebungen innerhalb der Regierungskoalition. So sind die Freisinnigen bei der derzeitigen Großwetterlage — wo wenig Neigung zum Aufbrechen nach neuen Ufern besteht — auf dem besten Weg, ihr bestes Resultat seit Kriegsende zu erzielen.

Gegenpol des zu beobachtenden Trends sind die Sozialdemokra ten, die in letzter Zeit fast durchwegs auf die Verliererstraße gedrängt wurden und deren interne Flügelkämpfe ihre Stammwählerschaft verunsicherten.

Die CVP, in jüngster Zeit deutlich nach rechts gerückt, hat ihre treuen Stammlande in katholischen Gebieten und dürfte die Wahlen mit ganz leichten Verlusten überstehen, während die SVP eher im Aufwind ist.

Von den kleinen Parteien ist mit einem guten Abschneiden der erstmals so richtig kandidierenden (wenn auch gespaltenen) Grünen zu rechnen. Ökologie ist im übrigen das Wahlkampfthema Nummer eins. Letzte Woche überboten sich in der Parlamentsdebatte über das — auch in der Schweiz verheerende Ausmaße annehmende — Waldsterben die Parteivertreter mit umweltschützerischen Bekenntnissen, die den zuständigen Bundesrat zur Bemerkung veranlaßten, es säßen nun lauter ökologisten im Rat.

Aber auch das Thema „Mehr Freiheit — weniger Staat” (Wahl-*

slogan der Freisinnigen) beherrscht die politische Auseinandersetzung, wobei die SP sich gegen jeden Abbau des Sozialstaates zur Wehr setzt und damit diese beiden Parteien zu Hauptkontrahenten werden.

Gewählt wird der 200köpfige Nationalrat als Volksvertretung, in der die Kantone nach ihrer Bevölkerungszahl repräsentiert sind, wobei den kleinsten Kantonen ein Sitz zusteht. Diese Wahlen werden im Proporzverfahren durchgeführt.

Der Ständerat besteht aus je zwei Vertretern der 23 Kantone. Hier wird im Majorzverfahren gewählt, was bedeutet, daß die starken Regierungsparteien praktisch unter sich sind.\

Beide Kammern haben dieselben Kompetenzen. Gesetze müssen von beiden Kammern durchberaten werden. Entstehen zwischen Erst- und Zweirat Differenzen, so wird das Thema so lange hin und herberaten, bis man sich in Kompromissen gefunden hat.

Die Vereinigte Bundesversammlung aus National- und Ständerat wählt den siebenköpfigen Bundesrat. Im Dezember wird das die erste Amtshandlung des neugewählten Parlamentes (man rechnet mit einer personellen Erneuerung von rund 25 Prozent) sein.

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