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„Bürgerblock“ vor Spaltung?

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Der Wahlkampf vor den Parlamentswahlen vom 16. September war unter der alles andere übertonenden Frage geführt worden, ob Schweden weiterhin von Sozialisten regiert oder ob die mehr als vierzig Jahre währende Epoche sozialdemokratischer Regierungen durch eine Regierung der verbündeten Rechtsparteien abgelöst werden sollte.

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Der Wahlkampf vor den Parlamentswahlen vom 16. September war unter der alles andere übertonenden Frage geführt worden, ob Schweden weiterhin von Sozialisten regiert oder ob die mehr als vierzig Jahre währende Epoche sozialdemokratischer Regierungen durch eine Regierung der verbündeten Rechtsparteien abgelöst werden sollte.

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Man möge sich nicht dazu verleiten lassen, in Fragen wie Höhe der Besteuerung, Art der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder Umfang der Sozialfürsorge die großen Gegensätze in den Anschauungen und Zielen der beiden politischen Lager zu suchen. Gewiß gibt es hier verschiedene Auffassungen, nicht nur zwischen rechts und links, sondern auch zwischen den einzelnen Parteien, aber diese Auffassungen unterscheiden sich nicht so sehr voneinander, daß man sich nicht in wesentlichen Dingen hätte zusammenraufen können, was man ja tatsächlich auch schon viele Male getan hat. Die Sozialdemokraten hätten nicht so lange Zeit regieren können, wenn sie nicht wichtige Beschlüsse mit Hilfe der einen oder anderen Partei oder mit Hilfe mehrerer anderer Parteien hätten durchführen können. Doch in dieser Wahl ging es nicht mehr um Nuancen in der zu führenden Politik, sondern ganz einfach um den Wechsel an den Schalthebeln der Macht. Die Siegesaussichten für die bürgerliche Front erschienen größer als jemals zuvor in den letzten 40 Jahren. Alle drei Rechtsparteien verfügen über kluge und geschickte Führer, die bereit waren, auf die Aufnahme kontro-versieller Fragen zu verzichten, wenn sie nur dadurch eine einige Rechtsfront schaffen konnten. Auf der anderen Seite hatten die Sozialdemokraten durch eine unsoziale Steuerpolitik — vor allem durch die hohen Verbrauchersteuern auf die Lebensmittel — viele ehemalige Anhänger gegen sich aufgebracht. Man muß hier daran erinnern, daß bei einer der vielen Meinungsbefragungen mehr als 30 Prozent aller befragten Sozialdemokraten erklärten, daß sie zwar keine bürgerliche Regierung, wohl aber ihrer eigenen Partei einmal eine gehörige Wahlniederlage wünschten. Der Anlauf der geeinten bürgerlichen Front gegen die sozialdemokratische Regierungsfestung erfolgte also unter denkbar besten Voraussetzungen. Doch die bürgerliche Argumentation und die zur Schau getragene Siegessicherheit (einschließlich der voreiligen Verteilung aller Regierungsposten) führte zu einem anderen Resultat.

Der Rückgang von 45,4 Prozent der Wählerstimmen auf 43,7 Prozent mag für die Arbeiterpartei bitter sein, der damit verbundene Verlust von sieben. Mandaten und der Mehrheit im Parlament nicht minder, doch erhöhten die Kommunisten ihre Mandate von 17 auf 19. Sogar dann, wenn die bereits angeordnete nochmalige genaue Überprüfung des Wahlergebnisses zum Verlust eines weiteren Mandates und zu einer bürgerlichen Mehrheit von 176 zu 174 Mandaten führen sollte, kann von keinem überwältigenden Sieg der Rechtsfront gesprochen werden. Wahrscheinlich aber wird sich eine an Haupt und Gliedern gelähmte Minderheitsregierung der Arbeiterpartei bis zum Beginn des nächsten

Jahres von einem zweitrangigen Beschluß zum anderen im Parlament hinschleppen, auf die Gunst Fortu-nas vertrauend und auf die Gelegenheit wartend, da sie unter günstig erscheinenden Umständen das Parlament auflösen kann. Auch eine Regierung unter der Leitung der Zenterpartei könnte bei Stimmengleichheit im Parlament nicht viel anders handeln. Die Wahrheit ist, daß keine Partei bei einem Verhältnis von 175 zu 175 regieren kann. Nach Annahme der neuen Verfassung, die durch das neugewählte Parlament erfolgen müßte, könnte eine solche Situation nicht mehr eintreten, da diese eine Verminderung der Mandatszahl von 350 auf 349 vorsieht.

Auf der Strecke geblieben ist jedoch nicht nur die sozialistische Mehrheit, sondern auch das „Blockdenken“ im bürgerlichen Lager. Es zeigte sich, daß der enge Zusammenschluß aller Rechtsparteien noch lange nicht genügt, um die Arbeiterregierung überzeugend zu schlagen. Und eine dieser Parteien, die Liberale Volkspartei, hat den relativen Wahlerfolg der Gesamtgruppe mit einer vernichtenden Niederlage bezahlt. Nach einem Verlust von 24 ihrer bisherigen 58 Mandate muß diese Partei überprüfen, ob sie die Blockpolitik weiterhin mitmachen kann. Einige Stimmen aus diesem Lager fordern bereits die Verfolgung eines eigenen, liberalen Weges. Es gibt zudem auch viele neutrale Beobachter, die meinen, daß ein liberales Element in der Regierung für alle Beteiligten nur von Nutzen sein könnte. Im sozialdemokratischen Lager schweigt man zwar auf dahingehende Fragen, doch man schließt ein Umdenken und das Betreten neuer Bahnen nicht aus. Ein liberaler Einfluß an Stelle des kommunistischen könnte sogar ohne eine direkte Beteiligung an der Regierung wirksam werden. Weiterhin auf eine harte Konfrontation der beiden Lager zu setzen, kann sich nur zum Schaden aller auswirken. Ein sozialliberaler Kurs erscheint zur Stunde für Schweden der vernünftigste!

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