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Selbstmord der äußersten Linken

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Das auffälligste Resultat der norwegischen Stortingswahl war wohl die schwere Niederlage der „Sozialistischen Linkspartei”. Statt mit 16 ist sie in der neugewählten Volksvertretung nur noch mit zwei Abgeordneten repräsentiert. Das linkssozialistische Debakel war keine norwegische Einzelerscheinung. In ganz Skandinavien bringt sich die äußerste Linke durch Uneinigkeit und internen Streit selbst um ihren Einfluß.

Die Sozialdemokraten gelten in Skandinavien als Partei der Mitte, eine Einschätzung, die eher auf die Wählerschaft zutrifft als auf ihre Parteiprogramme. Doch als Dänemarks Staatsminister Anker Jörgensen vor vier Jahren auf einem Parteikongreß den Standort seiner Fraktion „links der Mitte” sah, führte diese Aussage zu stürmischen Protesten, zum Ausbruch des prominenten Parteimitglieds Erhard Jacobsen, der daraufhin die ziemlich rechts-orientierte Partei der „Zentrumsdemokraten” gründete, und in logischer Konsequenz zu einem katastrophal schlechten Wahlergebnis der Sozialdemokraten. Im vergangenen Februar hingegen belohnten die Wähler denselben Anker Jörgensen für eine politische Kehrtwendung und eine - von der Gewerkschaftsführung heftig kritisierte - Zusammenarbeit mit einigen bürgerlichen Parteien mit dem Gewinn von zwölf Mandaten. Da die sozialdemokratischen Wähler also eine pragmatische Kooperationspolitik befürworten, ist für weiter links stehende Parteien einiger Spielraum vorhanden. Doch diese Gruppen waren in den letzten Jahren in keinem der nordischen Länder in der Lage, eine Alternative zur traditionellen Politik darzustellen. Der Versuch, eine „Volksfront” zu bilden, die die „Interessen der Arbeiterklasse” vertreten sollte, erschöpfte sich in leeren Schlagworten.

In Norwegen war bei den Stortings- wahlen 1973 die Zusammenarbeit der Linken am weitesten gediehen. Die vorangegangene Abstimmung über einen Beitritt Norwegens zur Europäischen Gemeinschaft hatte in der sozialdemokratischen „Arbeiterpartei” eine tiefe Kluft aufgerissen. Die Linke erkannte ihre Chance. Die alte „Sozialistische Volkspattei” und die Kommunisten stellten sich mit einigen Ausbrechern aus der Arbeiterpartei als „Sozialistischer Wahlverband” den Wählern. Das Ergebnis: 250.000 Stimmen - gegenüber nicht einmal 100.000, die die Teilnehmer der neuen Allianz bei der vorangegangenen Wahl gemeinsam geholt hatten - und 16 Mandate. Die linke Einigkeit dauerte indes kaum ein Jahr. Als ein Kongreß daranging, aus dem Wahlverband eine Partei zu machen, da waren die Kommunisten wieder von der gemeinsamen Plattform verschwunden; auf Wunsch Moskaus, wie man in Oslo munkelte. Die verbliebenen Linkssozialisten gründeten zwar die „Sozialistische Linkspartei”, aber schon die Aufstellung eines Partei programmes ließ die Neugründung unstabü wie ein schlechtgebautes Fertigteilhaus aus- sehen. Die Wähler wandten der Linkspartei schnell wieder den Rücken. Schon bei der Gemeindewahl 1975 wurde die Stimmanzahl der neuen

Partei halbiert Im September 1977 schließlich kam das endgültige Debakel: zwei Mandate im Storting; die Rückkehr zu jener „Größe”, die die Linkssozialisten schon vor ihrem Flirt mit den Kommunisten gehabt hatten. Daneben schienen in den Wahlresultaten - und nur dort, nicht im öffentlichen Leben - die Kommunisten und eine „rote Wahlallianz” auf, beide mit je einem halben Prozent der Stimmen.

Freilich haben die beiden linkssozialistischen Mandatare im Storting eine günstige Position, ist doch die Arbeiterpartei auf ihre Unterstützung angewiesen. Aber schon in den letzten vier Jahren haben die Sozialdemokraten ihr Parteiprogramm durchgezogen, obwohl sie auf eine wesentlich größere Fraktion auf der Linken hätten Rücksicht nehmen müssen. Odvar Nordli verließ sich darauf, daß er die Unterstützung auch ohne Kompromisse bekommen würde, da die Linkspartei sich hüten würde, einer bürgerlichen Regierung in den Sattel zu helfen. Und er hat recht behalten.

Die sozialistischen Reformen bringt der eigene linke Flügel der Arbeiterpartei mit Parteiführer Reiulf Steen an der Spitze ins Programm. Die Sozialistische Linkspartei ist über die Zuschauer-Rolle nie hinausgekommen.

In Schweden hatte sich Olof Palme seinerzeit enger an die Kommunisten binden müssen, um sich die Mehrheit im Reichstag zu sichern. Aber auch dort hat der Spaltpilz die Linke befallen. Nach den letzten Wahlen, bei denen die Kommunisten zwar im Reichstag repräsentiert blieben, aber durch den bürgerlichen Sieg dort jeden Einfluß verloren, kam es zum Bruch, der vorher mühsam hinausgeschoben worden war. Eine moskautreue Gruppe verließ die Partei der „Linkspartei-Kommunisten”, die dann auf einen „eurokommunistischen” Kurs einschwenkte. Eine maoistische SKP ist die dritte im erstrittenen Bunde. Die Folge ist eine Zersplitterung des linken Wählerpotentials. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß Lars Werners Gruppe die Vier-Prozent-Hürde überspringen kann, die für den Einzug in den Reichstag gefordert ist. Die beiden anderen Fraktionen haben keine Chance. Das bedeutet aber, daß nun die Sozialdemokraten allein die Mehrheit gewinnen müssen, wenn sie Thorbjöm Fälldins Koalitionskabinett wieder fällen wollen.

In Dänemark sind im Folketing gleich drei Parteien links von den Sozialdemokraten repräsentiert - begünstigt durch die niedrige Sperrgrenze von nur zwei Prozent. Die doppelt so hohe Marke des benachbarten Schweden hätte keine der drei bei den letzten Wahlen geschafft. Für die übrigen Parteien sind sie keine Gesprächspartner. Bei der letzten Krisengesetzgebung trafen sich die drei Gruppen der Linken mit Mogens Glistrups Steuerrebellen von der äußersten Rechten in trotziger Opposition gegen das Programm, das die Sozialdemokraten mit den Bürgerlichen ausgehandelt hatten. In Dänemark ist die Sozialdemokratie gar nicht der Versuchung ausgesetzt, die Hilfe von links für die Verwirklichung ihres Programmes in Anspruch zu nehmen. Denn Mehrheit hätte sie auch so keine.

Der parlamentarische Einfluß der drei Parteien ist faktisch nicht vorhanden. Doch die „Linkssozialisten”, die sich selbst stolz als revolutionärmarxistisch und als links von den Kommunisten einstufen, gehen einen erfolgreichen,.Marsch durch die Institutionen”. Auf den Hochschulen hat die Partei, die die kleinste der elf im Folketing vertretenen ist, etwa ein Drittel der Studenten als Anhänger und besonders in den Lehrer- und Pädagogenseminarien hat sie ihre Hochburgen. Dort beginnt der Jange Marsch” durch die Institutionen.

Finnland ist wieder einmal die Ausnahme der skandinavischen Polit- Szene. Dort haben die Kommunisten nicht nur Einfluß auf parlamentarischer Ebene, dort sind sie sogar an der Regierung beteiligt; in einer breiten Koalition, die auch Sozialdemokraten, Liberale und das bäuerliche Zentrum umfaßt. Doch auch in Finnland droht der Linken die Spaltung. Die „Volksdemokraten”, wie die Kommunisten offiziell heißen, zerfallen in drei Gruppen: eine linkssozialistische und zwei kommunistische, von denen nur die eine in der Regierung sitzt. Die andere will von einer Zusammenarbeit mit „revisionistischen Kräften” nichts wissen und wartet in der Opposition auf die Revolution. Finnlands Präsident Kekkonen sieht die Kommunisten gerne an der Verantwortung beteiligt. Daß er damit den Spaltpilz in die Reihen der KP pflanzt, kommt dem weisen Politiker dabei nicht ungelegen.

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