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WachablOse nach 44 Jahren?

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Gerade rechtzeitig vor den Reichstagswahlen am 19. September haben die drei bürgerlichen Oppositionsparteien unerwartete, aber höchst willkommene Wahlhilfe durch zwei der international bekanntesten Schweden erhalten. Neben Ingmar Bergman, der sich auf seiner Flucht vor einer „machtbesessenen Bürokratie, die wie ein Krebsgeschwür wächst“ inzwischen in Bayern niedergelassen hat, ist es vor allem die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren, die mit ihrem modernen Steuer-Märchen „Pomperipossa in Monismanien“ und immer neuen offenen Briefen aktiv in den Wahlkampf eingegriffen hat und ihre Mitbürger zur Abwahl der sozialdemokratischen Minderheitsregierung ihres früheren Parteifreundes Olof Palme aufruft

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Gerade rechtzeitig vor den Reichstagswahlen am 19. September haben die drei bürgerlichen Oppositionsparteien unerwartete, aber höchst willkommene Wahlhilfe durch zwei der international bekanntesten Schweden erhalten. Neben Ingmar Bergman, der sich auf seiner Flucht vor einer „machtbesessenen Bürokratie, die wie ein Krebsgeschwür wächst“ inzwischen in Bayern niedergelassen hat, ist es vor allem die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren, die mit ihrem modernen Steuer-Märchen „Pomperipossa in Monismanien“ und immer neuen offenen Briefen aktiv in den Wahlkampf eingegriffen hat und ihre Mitbürger zur Abwahl der sozialdemokratischen Minderheitsregierung ihres früheren Parteifreundes Olof Palme aufruft

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Die Stimmung in Schweden für einen Regierungswechsel am 19. September scheint stärker denn je. In iden sieben Jahren, seit der Ernennung Olof Falimes zum Ministerpräsidenten haben die Sozialdemokraten in zawei Wahlen sieben Prozent der Wählerstimimen verloren und mußten 1973 mit 43,6 Prozent das schlechteste Wahlergebnis seit ihrer Machtübernahme 1932 einstecken. Dennoch gelang es Patae, sich mit den 156 Sitzen seiner eigenen Partei, und dem stillschweigend akzeptierten Stimmenpaket der 19 Kommunisten für weitere drei Jahre an der Regierung zu halten, tai Schwedischen Reichstag besteht jedoch seither eine Pattsituation.

Mit je 175 Sitzen für die Sozialdemokraten und Kommunisten auf der einen Seite und den drei bürgerlichen Oppositionsparteien, der Zentrumspartei unter Thorbjörn Fälldin, den Konservativen unter Gösta Böhman und den Liberalen unter Per AhlLmark auf der anderen Seite wurde der Zufall des Losentscheids zum bestimmenden Faktor in der schwedischen Politik. Eine Politik aus einem Guß war auf dieser Grundlage keinem der beiden Lager möglich. Mit seltener Einmütigkeit' stimmten daher alle Parteien für eine Reduzierung der. Sitze im künftigen Reichstag von derzeit 350 auf 349, um so in Zukunft klare Mehrheiteverhältnisse sicherzustellen.

Die Hauptthemen in der öffentlichen Diskussion zwischen den Parteien sind zur Zeit:

•'die Steuerpolitik, die nicht mehr nur die selbständigen Unternehmer und die Spitzerwerdiener, sondern in zunehmendem Maße auch den normalen Arbeitnehmer und Durchschnittsbürger mit Steuersätzen in astronomischer Höhe belastet;

•die bedrohlich ansteigende Arbeitslosigkeit, von der die Jugendlichen und Hochschulabsolventen besonders hart betroffen werden;

•die zunehmende Bürokratisierung des öffentlichen Lebens, zu deren Einschränkung und Abbau Olof Palme schnell noch vor der Wahl eine Untensuchunigsikomimission eingesetzt hat;

•die Beteiligung der Arbeitnehmer an den Unternehmensgewinnen nach einem System kollektiver Arbeit-nebimerfonds, die von den Gewerkschaften verwaltet werden sollen und in die die Unternehmen zwangsweise etwa 20 Prozent ihres Gewinnes abzuführen hätten;

•die seit einigen Jahren anhaltende Stagnation der Wirtschaft mit einem praktischen Nullwachstum des Bruttosozialprodukts und einer jährlichen Inflationsrate von durchschnittlich 12 Prozent;

•die Diskussion um den Bau von Kernkraftwerken, die von einem großen Teil der Bevölkerung wegen der radioaktiven Gefährdung energisch abgelehnt werden.

Über diese Sachfragen hinaus und für ds Wählervolk teilweise noch interessanter, erregen verschiedene persönlich gefärbte Skandale und Affären, besonders um den langjährigen Finanzminister Gunnar Sträng und den Schatzmeister der Sozialdemokratischen Partei Nils Gösta Darrtberg, die Gemüter der Öffentlichkeit. Von' allen Seiten angegriffen — von den bürgerlichen Oppositionsparteien, von den stillen Teilhabern an der Regierungsgewalt,den Kommunisten, und insbesondere von dem übermächtigen Schwedischen Gewcrksohaftsbund LO —* führt Olof Palme seine Partei in diesem Wahlkampf aus einer Position der Rundumverteidigung. Ein absoluter Wahlsieg wie in den guten alten Zeiten unter seinem Vorgänger Tage Erl-ander ist nach den jüngsten Umfrageergebnissen kaum zu erwarten. So hängt der Fortbestand der derzeitigen Regierung entscheidend davon ab, ob die innerlich stark zerrissene Kommunistische Partei, die bei den letzten Wahlen nur knapp über die Vier-Prozent-Hürde kam, auch im neuen Reichstag wieder vertreten sein wird. Andere mögliche Koalitionspartner sind für Palme kaum in Sicht.

Zwar war die bäuerlich orientierte Zentrumspartei in den 44 Jahren der sozialdemokratischen Regierung mehrere Male Koalitionspartner und betont noch heute immer wieder, daß sie in den, wichtigen sozialen Reformen seit Jährzehnten mit den Sozialdemokraten einig sei. Auch mit den Liberalen verbindet Olof Palme bis in die jüngste Vergangenheit hinein eine enge und kompromißbereite Zusammenarbeit in manchen politischen Fragen. Beide Parteiführer, sowohl der nordschwedische Landwirt und Viehzüchter Thorbjörn Fälldin als auch der junge Parteiführer der Liberalen, Per Ahlmark, haben jedoch alle Spekulationen über eine mögliche Koalition oder still schweigende Zusammenarbeit mit Olof Palme nach dem 19. September entschieden zurückgewiesen. So einig sich beide Parteien mit dem Dritten im Bunde der bürgerlichen Opposition, -den Konservativen unter Gösta Bohman, in der Ablehnung jeglicher gemeinsamen Regierungsarbeit mit den Sozialdemokraten sind, so wenig ist es ihnen doch bis zum heutigen Tag gelungen, - konkrete Absprachen und Vorstellungen für eine gemeinsame Wahltoampfführung oder gar über den Wahltag hinaus zu entwickeln.

Die bürgerlichen Parteien sind nach wie vor untereinander gespalten und verbrauchen wertvolle Kräfte in einem Wählkampf gegeneinander. Das Ringen um jede einzelne Wählerstimme wird gerade untereinander mit besonderer Härte geführt, wobei Zentrumspartei und

Astrid Lindgren: Pippi Langstrumpfs Mutter flieht Liberale keine Gelegenheit auslassen, die Konservativen anzugreifen und zu isolieren. Alte politische und persönliche Gegensätze scheinen hier die entscheidende Rolle zu spie-eln. Sellbst wenn die Konservativen, die Liberalen und die Zentrumspartei gemeinsam die absolute Mehrheit erringen können, ist eine bürgerliche Dreiparteien-Regierung keineswegs selbstverständlich. Die Zeichen für die Wirtschaft in Schweden zeigen auf eine Krise, und in dieser Situation drängt es offenbar weder Thorbjörn Fälldin noch Gösta Bohman besonders, das Ruder einer bürgerlichen Koalitionsregierung zu übernehmen, in der auch der andere mitbeteiligt ist.

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