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Aufbruch ins Ungewisse

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Von den neuen Machthabern in Schweden ist Per Ahlmark mit seinen 37 Jahren nicht nur der jüngste, sondern zweifellos auch der energischeste und erfolgreichste Politiker, der sich eine einflußreiche Position erkämpfen konnte. Verglichen mit ihm macht der Führer der Zentrumspartei den Eindruck der Unsicherheit und Unentschlossenheit, der besonders bei Konfrontationen mit dem politischen Gegner erkennbar wird.

Ahlmark, der Philosophie studierte und durch mehrere Jahre als Journalist bei der Boulevardzeitung „Expressen“ tätig war, zeigte frühzeitig eine sehr vielseitige Begabung. Er wurde mit wenig mehr als zwanzig Jahren Vorsitzender des Liberalen Jugendverbandes, wurde als 30-jähriger Mitglied des Reichstages, publizierte ein Buch über die Arbeitsbedingungen schwedischer Politiker und ein anderes über die Umweltprobleme, die durch den Öltransport in Tankschiffen entstehen können, vor allem anderen aber engagierte er sich im Kampf für Israel. Neben seinem früheren Eintreten für eine NATO-Mitgliedschaft Schwedens und seiner positiven Einstellung zur Atomrüstung des Landes, prägte dieses Engagement Ahlmarks die außenpolitische Seite des Charakters dieses ungewöhnlich dynamischen und kampfbereiten Politikers.

Die Sozialdemokratie hätte wahrscheinlich die Möglichkeit gehabt, durch eine entgegenkommendere Haltung gegenüber dem früheren Leiter der Liberalen Volkspartei, Dr. Gunnar Helen, diesem eine festere Stellung in seiner eigenen Partei zu geben und dadurch den raschen Vormarsch Ahlmarks (den die liberale Zeitung „Dagens Nyheter“ einmal einen „skrupellosen Politiker“ nannte), zu verhindern, aber wie in so vielen anderen Fällen unterschätzte die Regierungspartei die Gefährlichkeit ihres jungen Gegners gründlich, und bezahlte das mit dem Verlust von fünf Mandaten.

Seiner ausgeprägten pro-israeli-schen Haltung entsprechend, ist Per Ahlmark schon seit 1970 Vorsitzender der Schwedisch-Israelischen Gesellschaft. Er war von 1971 bis 1976 Stellvertreter im Europarat und in dieser Institution Berichterstatter über die Situation der Juden in der Sowjetunion. Es besteht kein Zweifel daran, daß dieser vielseitige Politiker eine der stärksten Persönlichkeiten der bürgerlichen Koalitionsregierung sein wird.

Das politische Schweden steht nunmehr vor der Aufgabe, in vielen Bereichen Standortbestimmungen und Richtungsänderungen vorzunehmen, für die ihm noch die Erfahrungen fehlen. Man erkennt plötzlich, daß eine durch viele Jahrzehnte sich erstreckende Regierungsführung ein und derselben Partei den gesamten Staatsapparat in einen Zustand der Erstarrung versetzen kann, aus dem weder die durch lange Zeit regierende, noch auch die sich in Dauer-Oppositionstellung befindliche Partei so leicht herausfinden können. So ist fürs erste Ratlosigkeit das Merkmal der neuen Stunde Null in Schweden.

Am deutlichsten ist diese Ratlosig-kei im Lager der Sozialdemokraten erkennbar, die den Wahlschock noch nicht überwunden haben. Die so lange währende vollständige Identifizierung der Parteiführung mit der Regierungsmannschaft führte dazu, daß man nicht einmal eine funktionierende Parteizentrale besitzt, von der aus man eine wirksame Oppositionspolitik führen könnte. Nun versucht man in aller Hast, Arbeits- und Direktionsräume im (provisorischen) Reichtagsgebäude einzurichten, zur selben Zeit, da auch die stärker gewordenen bürgerlichen Parteien Anspruch auf mehr Arbeitsräume erheben, weil sie nun über eine größere Zahl von Abgeordneten verfügen. Die Arbeiterpartei empfindet nun doppelt schmerzlich das Fehlen einer eigenen Presse, das sie bisher durch die der Regierung zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten wenigstens teilweise kompensieren konnte.

Auf die drei Rechtsparteien, die im neuen Reichstag über eine Mehrheit von elf Mandaten verfügen, kommt ebenfalls eine Fülle von Problemen zu. Die Industrie verlangt eine Verminderung der Steuern, Verminderung der Arbeitsgeberabgaben, eine Pause in den sozialen Reformen und eine Beendigung der Kampagne gegen die Kernkraftwerke. Die Klein-Unternehmer gaben der neuen Regierung eine Frist von 100 Tagen, um die Wünsche des industriellen Mittelstandes zu erfüllen. Außerdem ist bereits ein harter Kampf um die Besetzung der hohen Beamtenstellen in der Staatsverwaltung entbrannt, da außer den Mitgliedern der bisherigen Regierung mindestens 80 hohe Beamte die Staatskanzlei verlassen werden. All das muß für die neue Regierung Startschwierigkeiten mit sich bringen, die es erst zu überwinden gilt, bevor man überhaupt an die Durchführung eines eigenen Pro-grammes denken kann. Die Zukunft der „Regierung Fälldin“ ist ebenso vom Nebel umhüllt wie die Zuknuft der noch schlaftrunkenen Opposition!

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