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Tage Erlander räumt auf

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Nach den schweren Verlusten der Arbeiterpartei bei den Kommunalwahlen im vergangenen September wurde verständlicherweise sofort die Frage laut, wer für dieses katastrophale Ergebnis verantwortlich gemacht werden könnte. Die gegebenen Antworten liefen darauf hinaus, daß eine allzu große Selbstzufriedenheit in den führenden Parteischichten, der Mangel an Kontakt mit der

Wählerschaft, das geflissentliche Überhören der Volksmeinung und eine zähe und schwerflüssige Parteipolitik überhaupt die Hauptursachen sein müßten. Erlander selbst wollte man in der Stunde der Niederlage nicht zur Zielscheibe einer harten Kritik machen, zumal man mit seinem baldigen Rücktritt von der Politik rechnete; um so härter kritisierte man einige seiner Parteifreunde, die

— Stufe für Stufe die Parteileiter aufwärts kletternd — in endlich erreichter Regierungsstellung sich bequem zurechtgesetzt und einen guten Teil ihrer Herkunft vergessen hatten. Die Parteiopposition scheute sich nicht, die Namen von fünf oder sechs Personen zu nennen, deren Entfernung aus der Regierung man wünschte. Erlander lehnte zwar die Beistellung von Sündenböcken ab, versprach jedoch gewisse Änderungen in der Regierung, die zu einer Steigerung der Arbeit führen sollten.

Alles in Bewegung

Zu Beginn des Jahres 1967 aber ist In der Regierung Erlander alles in voller Bewegung. Nach der Wahlniederlage auch der dänischen Sozialdemokraten hat man in Stockholm begriffen, daß die nächste Par-lamenltswahl — genauso wie es die Kommunalwahlen angezeigt haben

— zum Verlust der parlamentarischen Mehrheit auch in Schweden führen muß, sofern man nicht zu einem radikalen Umbau und Neuaufbau der Regierung findet. Diese Umordnung ist das Ziel der umfassendsten Rekonstruktion der Regierung, die bisher in Schweden vorgenommen worden ist, die zudem Hand in Hand mit einer Neuverteilung aller wichtigen Regierungsarbeiten geht. Das Wort „eine stromliniengeformte Regierungsarbeit“ kann man in diesen Tagen in Stockholm häufig hören. Ohne schmerzliche Amtsenthebungen geht es dabei nicht ab.

Nach Weihnachten gab das einzige weibliche Mitglied der Regierung Erlander, Frau Ulla Lindström, bekannt, daß sie wegen der ausgebliebenen Erhöhung der Regierungsbeiträge für die Entwicklungsländer aus der Regierung ausscheiden werde.

Es besteht in Schweden bereits seit langem ein besonders von den Gewerkschaften und den Jugendorganisationen hart verfochtener Prinzip-beschluß, ein Prozent des Nationaleinkommens für die Entwicklungshilfe in den unterentwickelten Ländern aufzuwenden Die heutigen Zuwendungen liegen zwischen 0,3 und 0,4 Prozent des Nationaleinkommens. Früher nahm man diese langsame Steigerung hin, nun aber liegen weitgehend ausgearbeitete Hilfsprogramme der Organisation SIDA vor, die größere Zuschüsse verlangen. Als der Rotstift des Finanzministers 83 Millionen Kronen für die Durchführung solcher Projekte strich, war die Geduld der Frau Ulla Lindström zu Ende, und sie erklärte im Fernsehen, daß sie in der Regierung weder die Unterstützung Tage Erlanders noch eines anderen Regierungskollegen gefunden habe und deshalb nach zwölf Jahren der Regierungstätigkeit zurücktrete.

Regieruns im Umbau

Dieser Austritt löste den lange fälligen umfassenden Umbau der Regierung aus. Erlander teilte mit, daß der Staatssekretär Krister Wickman vorerst im Finanzministerium und später in einem eigenen Departement sich nun ausschließlich mit Wirtschaftsfragen beschäftigen werde. Damit hat Schweden den seit langem dringend benötigten Wirtschaftsminister erhalten.

Der jetzige Handelsminister Lange hat ebenfalls viele Gegner, seine Verdienste als Kontaktmann in Europamarktfragen sind jedoch unbestritten. Erlander wählte hier den Ausweg der Bildung eines Ministerium für Außenhandels- und

Europamarktfragen, dem nun Gun-nar Lange vorstehen wird; einen großen Teil seiner bisherigen Aufgaben mußte er jedoch abgeben. Der neue Europaminister wird gemeinsam mit dem neuen Wirtschaftsminister die Annäherung an die EWG vorzubereiten haben, die nach der Entschärfung einiger politischer Postulate in der EWG für Schweden nicht mehr so unmöglich erscheint wie vor einigen Jahren.

Eine klare Verstärkung des Kabi-nettes Erlander bedeutet zweifellos die Einbeziehung der Alva Myrdal, der bisherigen Botschafterin Schwedens bei der Abrüstungskonferenz in Genf. Frau Myrdal wird Minister für

Abrüstungsfragen werden, wodurch die Bedeutung dieses Problems für Schweden wieder unterstrichen wird.

Völlig überraschend für die meisten Beobachter kommt die Hereinnahme einer jungen Wissenschaftlerin aus Lund in die Regierung. Camilla Odhnoff (38), soll sich in der Regierung ausschließlich mit Familienfragen und dem so schweren Jugendproblem befassen, das bisher viel zuwenig beachtet worden ist. Da Frau Odhnoff selbst Mutter von vier Kindern ist, bringt sie hier allerlei praktische Erfahrungen mit.

Der jetzige Verkehrsminister Olof Palme, der lange Zeit hindurch engster Mitarbeiter Erlanders gewesen war, gibt sein jetziges Ressort ab und wird stellvertretender Staatsminister. Auch ein solches Amt hat es bisher in Schweden nicht gegeben. Mit dieser Ernennung ist auch die Frage nach der Nachfolge Erlanders beantwortet. Olof Palme wird sofort einen Teil der Pflichten Erlanders übernehmen.

Darüber hinaus wird in Stockholm noch davon gesprochen, daß sich der Regierungschef mit dem Gedanken trägt, den Staatssekretär Dr. Sten Moberg (47), den Abgeordneten und Advokaten Bo Martinsson (44) und den Abgeordneten Ingemund Bengtsson (47) in die Regierung hereinzunehmen. Für diese Nachwuchsminister sollen die Ministerien für das Schulwesen, das Justizministerium und das Sozialministerium freigemacht werden.

Auf der Liste der „Versager“

Außer der schon genannten Ulla Lindström sollen aus der Regierung noch Minister Rune Hermansson, der Justizminister Kling, der Sozialminister Aspling und der Schulminister Edenman ausscheiden. Alle Genannten standen auf jener Liste der „Versager“, die von der Parteiopposition nach den unglücklichen Septemberwahlen veröffentlicht worden war. Unter den Abgängen fehlt lediglich der Verteidigungsminister Andersson, den man wahrscheinlich deswegen im Amt beläßt, weil er eben eine Verminderung der Verteidigungskosten durchsetzen will und dadurch den Wünschen der Opposition entgegenkommt.

Justizminister Kling wurde in der letzten Zeit wegen der Tätigkeit der ihm unterstehenden schwedischen Sicherheitspolizei scharf angegriffen und machte dabei im Parlament einen direkt hilflosen Eindruck. Es verlautet, daß Erlander ihm als Pflaster auf die Wunde den angesehenen Posten des Präsidenten des Hof gerichtes anbieten will.

Abweisung der Kommunisten

Die Umbesetzungen werden nicht zu gleicher Zeit erfolgen können, da auch eine weitgehende Umverteilung der Aufgaben innerhalb der Regierung stattfindet. Zuerst werden wohl die ernannten zwei Frauen Alva Myrdal und Camilla Odhnoff und Krister Wickman in das Kabinett eintreten. Auch Olof Palme wird so bald als möglich seinen einflußreichen Posten in der Regierung einnehmen.

Es ist klar erkennbar, daß so gut wie alle Umbesetzungen deshalb erfolgen, weil man der internen Opposition den Wind aus den Segeln nehmen und eine Entwicklung wie in Dänemark — hin zu einer starken linkssozialistischen Partei — verhindern will. Gestützt auf die verjüngte Regierung hat auch Tage Erlander sofort ein Zusammenarbeitsangebot der Kommunisten abgewiesen, mit den von früher her bekannten und keineswegs auf eine Sinnesänderung hinweisenden Worten, daß die Einheit der Arbeiterklasse am einfachsten durch die Auflösung der schwedischen KP erfolgen könnte. Ob diese Haltung genügt, um die Machtpositionen zu bewahren, werden spätestens die nächsten Wahlen zeigen!

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