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Wohin nun, Suomi?

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Die vom Sozialdemokraten Mauno Koivisto (47) geführte Koalitionsregierung war die 22. Regierung Finnlands nach Beendigung des zweiten Weltkrieges; sie war eine Fortsetzung der von Rafael Paasio im Jahre 1966 gebildeten Regierung. Die Parteienkoalition, auf die sie sich stützte, hielt trotz vieler Meinungsverschiedenheiten durch vier Jahre. Zum erstenmal erlebte Finnland eine von einer Parteiengruppe vom Anfang bis zum Schluß der Wahlperiode durchgehaltene Zusammenarbeit. Alle beteiligten Parteien hatten Vorurteile überwinden, überalterte Ressentiments beseitigen und Eigeninteressen zurückstellen müssen, um das Land wirtschaftlich wieder auf die Füße zu stellen. Das ist der Regierung Koivisto auch gelungen: Finnland hat durch zwei Jahre eine aktive Außenhandelsbilanz verzeichnen können, die Preissteigerungen waren die niedrigsten in Europa, einzelne Industriezweige — wie die Metallindustrie und die Textilindustrie — konnten große Fortschritte erzielen, und die Zukunftsaussichten waren, nach Verlängerung des Stabilisierungsgesetzes, als gut zu bezeichnen. Die Regierungsparteien, denen diese Entwicklung zu verdanken ist, haben am 15. und 16. März eine schwere Wahlniederlage erlitten: Die Sozialdemokraten verloren vier Mandate (nun 51), die Kommunisten sechs Mandate (36), die Linkssozialisten, auch Simoniten genannt, verloren alle ihre sechs Mandate und sind . im Parlament überhaupt nicht mehr vertreten, und die Zentrumspartei des Präsidenten Kekkonen reduzierte sich von 50 auf 37 Mandate! Sieger sind die konservative Sammlungspartei, die von 26 auf 37 Mandate kam, und die Landvolkspartei des Zolldirektors Veikko Vennamo (57), dessen Einmanngruppe im Parlament auf 18 Mandate anschwoll, wobei bei den Kontrollzählungen sogar noch ein oder das andere Mandat dazukommen kann, da mitunter weniger als zwanzig Stimmen zu diesen Mandaten fehlten.

Das ist also die Situation nach dem 16. März 1970. In den Reihen der ehemaligen Regierungsparteien herrscht- tiefe Verwirrung und Ratlosigkeit. Der Führer der Konservativen, Juha) Rihtniemi (43), hat bereits die Bildung einer bürgerlichen Mehrheitsregierung verlangt, in der seine Partei natürlich eine Hauptrolle spielen soll. Die den Konservativen politisch sehr nahestehende Landvolkspartei erscheint dabei als der gegebene nächste Verbündete. Mit mindestens 55 Mandaten wäre diese Gruppe tatsächlich die stärkste im Parlament und könnte mit Leichtigkeit der Regierungspolitik ihren Stempel aufdrücken, zumal die Zentrumspartei von ihrem schweren Verlust tief getroffen ist und keine Lust zeigt, in einer kommenden Koalition — so wie in allen vergangenen Jahren — die erste Geige zu spielen.

Doch große Koalition?

Zur Ratlosigkeit in den Reihen der Regierungsparteien trägt auch der Umstand bei. daß viele ihrer führenden Politiker die in Finnland so wichtige Position im Parlament verloren haben: Aus dem Parlament hinausgewählt wurden der Parlamentspräsident und frühere Regierungschef, der Vizepräsident, der Industrieminister, einer der wirklich starken Männer in der Arbeiterpartei. Auch der sozialdemokratische Finanzminister Raunio, der Verteidigungsminister und der linkssozialistische Justizminister sind aus dem Parlament verschwunden. An ihre Stelle kamen viele fast völlig unbekannte junge Leute, von denen niemand sagen kann, welchen Kurs sie einschlagen werden. Finnlands Politik war seit jeher stark vom Charakter der handelnden Personen geprägt. Von Mannerheim bis Kekkonen und Koivisto gibt es dafür viele Beispiele.

Eine Rechtsmehrheit von 113 zu .79 Mandaten ließe, auf den ersten Blick, eine Rechtsregierung als die gegebene Folge dieser Wahl erscheinen. Ein näherer Blick auf die Zusammensetzung der Fraktionen im neuen Parlament, auf die Geschichte der beiden siegreichen Parteien und auf die besondere Stellung Finnlands zwischen Ost und West, läßt den Beobachter jedoch zu einem anderen Schluß kommen. Die Landvolkspartei Vennamos wird in Finnland als eine nahezu halbfaschistische Partei betrachtet, und die Sammlungspartei repräsentierte in Finnland seilt jeher eine militante antisowjetische und prowestliche Linie. Ebenso wie die sozialdemokratische Partei von 1959 bis 1966, wurde auch die Partei der Konservativen von 1944 bis 1958 als überhaupt nicht regierungsfähig betrachtet. Auch nach 1958 war der Regierungseinfluß dieser Partei äußerst gering. Mit der Wahl Rithniemis zum Parteivorsitzenden im Jahre 1965 begann eine schrittweise Modernisierung und, wenn man so sagen darf: Demokratisierung der Partei, die zweifellos neue Möglichkeiten eröffnet, aber doch erst von allen anderen Parteien als gegeben anerkannt werden muß. Es ist jedenfalls sehr bemerkenswert, daß Rihtniemi nach seinem Wahlsieg erklärt hat, daß er sich eine sozialdemokratische Führung der nächsten Koalitionsregierung durchaus vorstellen könne. Eine Erklärung dieser Art wäre vor vier Jahren noch unvorstellbar gewesen. Unvorstellbar aber erscheint auch zur Stunde eine Koalition aller Parteien rechts von der Sozialdemokratie. Eine solche Koalition müßte immerhin gegen 70 „Linke“ und gegen die gesamte Gewerkschaftsbewegung regieren, in einer außenpolitischen Situation voll von Gefahren. Als die natürlichste Lösung erscheint deshalb trotz allem eine Wiederbelebung der bisherigen Koalition, die in der Hauptsache von den Agrariern, den Sozialdemokraten und den Volksdemokraten getragen ist. Diese drei Parteien haben zusammen 124 Mandate, mit der schwedischen Volkspartei hätten sie 136. Das müßte genügen, um die wirtschaftliche Aufbaupolitik Finnlands weiterzuführen, wie stark oder wie laut sich die Opposition auch geben sollte. Aber auch diese Opposition ist ja auf dem Wege zu einer verantwortungsbewußten Politik, wie man nicht nur annehmen, sondern durchaus hoffen darf.

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