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Die Stunde der Wahrheit ist da...

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Für Spanien ist nunmehr die Stunde der Wahrheit gekommen. In den Monaten März und April hatte das iberische Land einen politischen Terminkalender einzuhalten, der an dramatischen Daten seinesgleichen sucht.

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Für Spanien ist nunmehr die Stunde der Wahrheit gekommen. In den Monaten März und April hatte das iberische Land einen politischen Terminkalender einzuhalten, der an dramatischen Daten seinesgleichen sucht.

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Die allgemeinen Wahlen Spaniens vom 1. März waren die ersten, die nach der neuen demokratischen Verfassung abgehalten wurden. Der Partei des Ministerpräsidenten Suärez UCD ist es bekanntlich gelungen, nach einer nicht gerade leidenschaftlichen Wahlkampagne und bei einer eher alarmierenden Stimmenthaltung von 33 Prozent der Wahlberechtigten, die absolute Mehrheit im Senat und die relative im Abgeordnetenhaus zu halten, mit einigem Abstand gefolgt von den Sozialisten und von den Kommunisten.

Von kleinen Verschiebungen abgesehen, blieb es also beim bisherigen politischen Spektrum. Überraschend waren lediglich das Abwandern der konservativen Stimmen von der Rechten zur Mitte und das Aufblühen der autonomistischen Parteien in Katalonien, Andalusien, auf den Kanarischen Inseln und im Baskenland. Hier sogar mit Hüfe einiger Mandatare, die der radikalen ETA nahestehen, was auf eine direkte oder indirekte Unterstützung durch Bevölkerungsgruppen schließen läßt, die der marxistisch-leninistischen Terrororganisation angehören.

Nach dem Triumph der Zentrumsunion und den üblichen Gesprächen mit allen übrigen Parteien stellte König Juan Carlos dem Parlament Adolfo Suärez als seinen (neuen, alten) Regierungschef vor. Niemand zweifelte zwar an der Bestätigung des Kabinetts durch eine absolute oder relative Mehrheit der Abgeordneten, doch tauchten im letzten Augenblick Zweifel an der Haltung des Cortes-Präsidenten Dr. Landelino Lavilla (Zentrumsunion) auf.

Lavilla war Justizminister im letzten Kabinett Suärez gewesen und es sah so aus, als wolle er, nach Verlesung des Regierungsprogramms, keine Debatte darüber zulassen und unmittelbar zur Abstimmung schreiten. Die Investitur der Regierung verlief daraufhin einigermaßen bewegt, obgleich das Regierungsprogramm im allgemeinen über Gemeinplätze und Absichtserklärungen nicht hinausging und schließlich mit 183 gegen 149 Stimmen eine eindeutige Mehrheit erhielt.

Der zwar nicht ungesetzliche, aber doch undemokratische Trick, ohne Diskussion abstimmen zu wollen, erzielte einen Bumerang-Effekt und rief eine völlig unerwartete Aggressivität von seiten der Opposition hervor. Begreiflicherweise sind daher die Beziehungen zwischen der Regierung und den unterlegenen Parteien fürs erste belastet.

In einem mit Spannung aufgeladenen politischen Klima gingen dann am 3. April die Gemeinderatswahlen Über die Bühne, die ersten demokratischen Gemeinderatswahlen seit 1931. Das Ergebnis jener Gemeinderatswahlen von 1931 mit ihrem eindeutigen Linksruck hat bekanntlich zur Proklamierung der Zweiten Spanischen Republik, zu einer katastrophalen Verhärtung der politischen Fronten und in der letzten Folge zum Bürgerkrieg geführt.

1979 hoffte man nun auf die Zugkraft der Kandidatur von Einzelper-sönlichkeiten, befürchtete aber gleichzeitig - und mit Recht - eine gewisse Wahlmüdigkeit der Stimmbürger, die während der vergangenen drei Jahre nicht weniger als fünfmal zu den Urnen gerufen worden waren.

Die Wahlenthaltung war denn auch noch größer als erwartet und erreichte 40 Prozent. Die Wähler hatten genug von der Politik. Wieder blieb es, mit einigen Abweichungen, beim bereits bekannten politischen Spektrum. Die Zentrumsunion erhielt nur in 32 Provinzen die absolute Mehrheit und in allen Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern triumphierte die Linke.

Um die Zentrumsunion in den größeren Gemeinden und in etlichen Provinzen schlagen zu können, hatten die Sozialisten mit den Kommunisten ein Wahlbündnis geschlossen. In den autonomen Gebieten, wie etwa im Baskenland, in Andalusien und auf den Kanarischen Inseln, war der Stimmengewinn regionalisti-scher Parteien auffallend.

Als Ergebnis der Cortes-Wahlen wie der Gemeinderatswahlen, befinden sich somit die Exekutive und die zentrale Legislative eindeutig in Händen der Zentrumsunion, während die Lokalgewalten ein uneinheitliches Bild mit einem unübersehbaren Uberhang der Linken in den Industriezonen und in den Provinzhauptstädten darbieten, wobei die Kommunisten mit Hilfe der von ihnen beherrschten Gewerkschaften die stimmenstärkeren Sozialisten zu überspielen vermögen.

Diese Machtverteilung spiegelt ziemlich genau die politischen Realitäten Spaniens. Um damit fertig zu werden, wird es von Regierungsseite einer starken Dosis von demokratischer Reife bedürfen, und Ministerpräsident Suärez wird in den kommenden vier Jahren seine Fähigkeiten als Staatsmann unter Beweis stellen müssen, um die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme zu bewältigen, die sich einem Land stellen, in dem etwa neun Prozent der Arbeitskräfte ohne Arbeit sind.

Dazu kommt die Ausarbeitung eines definitiven Autonomiestatuts für die Katalanen ebenso wie die Verhandlungen über die Autonomie des Baskenlandes, wo der ETA-Terrorismus schon zur Alltagserscheinung geworden ist, wo nun aber auch die eher doppelzüngige und schillernde baskische Nationalistenpartei an Gewicht gewonnen hat. Wird das seit Jahrhunderten an zentralistisches Regieren gewohnte Madrid imstande sein, umzudenken?

Die dritte Kabinettsliste seit 1976 brachte keine großen Überraschungen. Im Grunde handelt es sich lediglich um eine Umbildung des Kabinetts. Interessant ist lediglich die Übernahme der Lahdesverteidigung durch eine zivile Persönlichkeit und die Aufnahme zweier Militärs in die Regierung. General Gutierrez Meilado ist nun stellvertretender Ministerpräsident und verantwortlich für die nationale Sicherheit. General Ibänez übernimmt das Innenministerium.

Zweiter Stellvertreter des Ministerpräsidenten wurde der Wirtschaftsfachmann Fernando Abril, dem die Ministerien für Wirtschaft, Industrie, Handel und Tourismus unterstellt sind, an deren Spitze jeweils sozialdemokratische Minister stehen. Das neu geschaffene Ministerium für „territoriale Verwaltung“, dem die Probleme der Regionen zur Lösung anvertraut sind, erhielt Dr. Antonio Fontän, ein Mann des Opus Dei, bisher Senatspräsident, der Sympathien in Katalonien, Andalusien und im Baskenland genießt. Von den übrigen Ministern läßt sich sagen, daß sie mehr oder weniger eindeutig dem katholischen Lager zuzuzählen sind.

Das neue Kabinett Suärez ließe sich am besten als ein Kreis miteinander befreundeter, gemäßigter und disziplinierter Technokraten definieren, der mit uneingeschränkter Unterstützung der konservativen Rechten und kritischer Reserve der Linken rechnen darf. Für diesen Kreis ist jedoch die Stunde der Wahrheit gekommen. Ihm obliegt es, ein demokratisches Spanien mit einer ernstzunehmenden und eher euphorischen Linken zu regieren, dessen Bevölkerung, wahlmüde und erschöpft, in nächster Zeit von Urnengängen jeder Art verschont bleiben möchte.

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