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Lokalwahlen werden Klärung der innenpolitischen Lage bringen

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Das Jahr 1978 ist im wahrsten Sinne ein Wahljahr für die Spanier: Gewerkschaftswahlen haben seit der Jännermitte in nahezu allen Betrieben begonnen, und was sich bis jetzt abzeichnet, sind es die Kommunisten mit ihren Comisio-nes Obreras (CC.OO) und nicht die Sozialisten mit ihrer Union General de Trabajadores (UGT), die bei den spanischen Arbeitnehmern mehr Vertrauen genießen. Den übrigen Gewerkschaften kommt wenig Gewicht zu.

Die Regierung mit ihrem Partido Centrista tritt auf Gewerkschaftsebene so gut wie gar nicht in Erscheinung, beobachtet aber die regional differierenden Resultate der Gewerkschaftswahlen sehr aufmerksam. Ein Gleichgewicht der Kräfte innerhalb der Arbeitnehmerschaft wäre für das regierende Zentrum nur von theoretischem Wert Vom praktischen Standpunkt aus gesehen, muß die Union des Demokratischen Zentrums (UCD) vielmehr den Abschluß eines haltbaren Sozialpakts zwischen Kapital und Arbeit anstreben. Ein Ziel, das nur dann zu erreichen sein wird, wenn die stimmenstärkste Gewerkschaft auch tatsächlich für einen beträchtlichen Teil der Arbeiterschaft zu sprechen, Disziplin zu halten und am Aufbau der Wirtschaft mitzuwirken vermag.

Geht es bei den Gewerkschaftswahlen um Gegensätze innerhalb der Linken, so geht es bei den auf diesen Frühsommer angesetzten Lokalwahlen bereits um eine echte Entscheidung zwischen Regierung und Opposition. Beide Parteien, UCD (Zentrum) und PSOE (Sozialisten) haben mit den Vorbereitungen zum Wahlkampf begonnen, noch bevor die Kandidatenlisten aufgestellt waren und das Gesetz über Lokalwahlen verabschiedet wurde. Den Sozialisten geht es deshalb um eine Vorverlegung der Wahlen, weil sie von der augenblicklichen Schwäche des Regierungslagers zu profitieren hoffen. Auf der anderen Seite kann das Zentrum damit rechnen, daß ein hinausgerückter Wahltermin Vorteile bringen wird, vor allem wegen einer bis dahin zu erwartenden Gesundung der Wirtschaft. Zugunsten der Regierung schlägt des weiteren das wachsende außenpolitische Prestige Spaniens an, die Uneinigkeit und das Fehlen von Führungskräften im sozialistischen Lager, nicht zuletzt aber auch das allgemeine Bedürfnis der Bevölkerung nach mehr Ordnung und Sicherheit.

Wie bei der jünsten Regierungsumbildung bewährte sich die Geschicklichkeit des Regierungschefs Suärez auch in der Frage des Wahltermins für die Lokal wählen. Jedenfalls wird der Umengang erst nach den Auseinandersetzungen über die neue Verfassung stattfinden. Eines der Argumente, die dabei am meisten zum Tragen kamen, dürfte gewesen sein, daß der Verfassungsentwurf die Herabsetzung des Wahlalters auf achtzehn Jahre vorsieht. Die Sozialisten glauben, die Jugend stehe auf ihrer Seite; das Zentrum hingegen verläßt sich auf seine unleugbaren Erfolge im Zuge der Demokratisierung, hinter denen auch die enorme Popularität des Königs steht.

Wie bekannt, soll der Verfassungsentwurf nach seiner Behandlung durch die beiden Kammern des Parlaments einem Volksentscheid unterworfen werden. Vorläufig befassen sich noch die parlamentarischen Ausschüsse mit den einzelnen Verfassungsartikeln. Die öffentliche Meinung sowohl wie die Kritik der Fachleute halten das Verfassungswerk in seiner derzeit vorliegenden Version für das komplizierte und nicht gerade sehr elastische Produkt zahlloser Kompromisse zwischen den streitenden politischen Parteien. Wenn man etwas an dem ganzen Verfassungsprojekt als feststehend und wesentlich bezeichnen kann, so ist es die Autonomie der einzelnen Nationalitäten innerhalb des einen, untrennbaren spanischen Staatsverbands ebenso wie die allgemeine Einigung über das Unterichts-wesen.

Was die Autonomie der Regionen anlangt, so hat die Regierung eine sehr detaillierte Studie über die durchaus verschiedenen Wünsche der Regionen ausgearbeitet, die eine Autonomie anstreben. So wünscht das Baskenland, dessen provisiorisches Autonomiestatut bereits ausgehandelt und von den Zuständigen approbiert wurde, die Eingliederung der Region Navarra.

Auf dem Gebiet des Unterrichtswesens wieder steht der sozialistischen Forderung nach einem Monopol der kostenlosen und obligatorischen staatlichen Schule der kirchliche Standpunkt gegenüber, der das Recht der christlichen Bevölkerung auf eine konfessionelle, finanziell nicht diskriminierte und jedenfalls nicht klassenelitäre Schule verteidigt. Leicht auszumalen, daß sich auf diesem Sektor eine ernste Konfrontation 'abzuzeichnen beginnt und daß dabei die bisher so innigen Beziehungen zwischen der katholischen Hierarchie und den Sozialisten auf dem Spiel stehen könnten.

Trotz dieser erbitterten Auseinandersetzungen auf unterer und mittlerer Ebene herrscht in obersten Rängen zwischen Regierimg und Opposition ein durchaus urbanes Gesprächsklima. In den Nordprovinzen freilich scheint sich die öffentliche Ordnung von Tag zu Tag mehr aufzulösen, und die Nachrichten von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Polizei und bewaffneten Terroristen mehren sich. Die politische Rechte verfehlt nicht, die permissiv demokratische Taktik der Regierung dafür verantwortlich zu machen, obgleich es sich dabei ja nicht gerade um ein typisch spanisches Phänomen handelt Für die sehr junge, sozusagen neu geborene spanische Demokratie jedoch stellen Auflösungserscheinungen dieser Art allerdings eine ernste Gefahr dar. MANUEL ALCALÄ, MADRID

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