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Erst jetzt geht es um Sein oder Nichtsein der Demokratie

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Kein Zweifel, der Rhythmus des politischen Lebens in Spanien hat sich beschleunigt Wie bekannt, hat Ministerpräsident Suärez nach seinem spektakulären Wahlsieg vom 15. Juni das Kabinett weitgehend umgestaltet, nicht mehr nach eigenem Gutdünken allerdings, wie dies noch vor genau einem Jahr der Fall war. Diesmal mußten der Regierungsbildung eingehende Verhandlungen mit all jenen Parteien und Gruppen vorangehen, aus denen sich das Demokratische Zentrum zusammensetzt.

Sechs Minister, die sich während des •vergangenen Jahres das besondere Vertrauen des Königs erworben hatten, blieben im Kabinett, unter ihnen vor allem Oreja (für die auswärtigen Angelegenheiten) und Lavilla (für die Justiz). Dagegen tauchten dreizehn neue Männer auf, sämtlich Vertreter der gemäßigten Mitte und der Generation des Ministerpräsidenten. Genannt seien davon der Sozialdemokrat Francisco Fernändez (Landwirtschaft), Pio Cabanillas von der Volkspartei (Kultur) und der Jurist Manuel Jimėnez (Arbeit). Nicht unbemerkt blieb die Zusammenlegung der bisherigen drei Ministerien der Armee zu einem einzigen, das von dem (gemäßigten) General Manuel Gutiėrrez geleitet wird. Gutiėrrez ist zugleich erster Stellvertreter des Ministerpräsidenten. Zweiter Stellvertreter und Wirtschaftsminister wurde Prof. Enrique Fuentes. Klugerweise wurden die schwierigen Volksgruppenprobleme weder einem Katalanen noch einem Basken, sondern dem Andalusier Manuel Clavero anvertraut.

Die Regierungserklärung ließ auf recht eindeutige Weise den neuen Stil erkennen. Suärez rechnet mit der Opposition des Partido Socialista Obrero und hofft auf eine Lösung des brennendsten unter allen spanischen Problemen, der bisher von staatspolitischen Fragen überschatteten Wirtschaftskrise.

Dem Wahlergebnis zufolge war der Vorsitz in beiden Kammern des Parlaments an die Zentrumsunion gefallen. Zum Präsidenten des Senats wurde daraufhin, wie von den Massenmedien bereits gemeldet, Prof. Antonio Fontän vom Opus Dei, zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer der Christdemokrat Fernando Alvarez gewählt. In seiner Thronrede zur Parlamentseröffnung rief der König, von allen Volksvertretern, auch den linken, stehend und mit Ovationen begrüßt, zur Einigkeit unter allen Spaniern auf.

Wie aus der hier veröffentlichen Tabelle klar hervorgeht, besitzt die Zentrumsunion im Senat eine unbestrittene Mehrheit, während ihr im Abgeordnetenhaus elf Stimmen fehlen. Sie wird sich also um die Mitarbeit der katalanischen und baskischen Volksvertreter bemühen müssen, die ihrerseits wieder verschiedenen weltanschaulichen Richtungen angehören. Keine Quadratur des Zirkels zwar, doch immerhin eine nicht leicht zu bewältigende Situation.

Geich zu Beginn ihrer Tätigkeit hatte Sich die neue Regierung mit der Legalisierung des Partido de Trabajo zu befassen, einer links radikalen Organisation, die lediglich durch ihren Einfluß aufdie Gewerkschaften politisches Gewicht besitzt, wie auch mit der Legalisierung der von Hugo und Marie-Thėrėse Parma ins sozialistische Fahrwasser gelenkten Carlistenbewegung. Wichtiger allerdings waren die anstehenden wirtschaftlichen Probleme. Die Peseta wurde abgewertet, flankierende Sparmaßnahmen mußten in die Wege geleitet werden.

Die politischen Parteien haben auf alle diese Maßnahmen bisher erstaunlich vernünftig reagiert; wie die große Masse der Bevölkerung sie aufnehmen wird, steht noch abzuwarten. Zu bedenken ist dabei, daß die Linksparteien zwar mandatsmäßig in der Minderheit und überdies heillos untereinander zerstritten sind, daß sie aber auf dem Umweg über die Gewerkschaften einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Industriearbeiterschaft und auf die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer ausüben.

Wie überall, so bringen die Hochsommerwochen auch in Spanien einen parteipolitischen Waffenstillstand zu-s wege - eine Atempause, die denn auch von der Regierung für die Ausarbeitung der wirtschaftlichen und der dringendsten sozialen Reformen durchaus benötigt wird. Gelingt es ihr, das Bestreben nach Hebung der sozial schwächsten Schichten glaubhaft zu machen, so dürfte damit die Entscheidungsschlacht zugunsten der Reform gewonnen sein, deren verfassungsmäßige Untermauerung soeben studiert wird.

Sollte jedoch der Ausgleich zwischen den Sozialpartnern nicht zustande kommen und sollten sich die Arbeitskonflikte in der bisherigen Form fortsetzen, so bestünde, trotz spektakulärer Ereignisse nach Art und Weise der Juni-Wahlen, ernste Gefahr für den Bestand der jungen spanischen Demokratie. Für sie geht es erst jetzt um Sein oder Nichtsein.

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