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Entwurf der neuen Verfassung nimmt allmählich Gestalt an

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Allmählich nimmt der Entwur) einer neuen spanischen Verfas sung, die nach den Parlaments und Gemeinderatswahlen den Demo kratisierungsprozeß krönen soll, Ge stalt an. Die „Comisiön Consti.tucio nal“, der Mitarbeiter aus allen im Par lament vertretenen Parteien angehö ren, hat es tatsächlich fertiggebracht die von den Abgeordneten und der Senatoren eingereichten Abände rungs- und Ergänzungsvorschläge ii den Entwurf einzubauen. Die Debatte über das Resultat dürfte, wie mai hofft, Ende April, Anfang Mai im Un terhaus der Cortes beginnen und wirc voraussichtlich nicht vor Oktober be endet sein; kein Wunder, wenn mai bedenkt, daß der relativ umfangreich« Verfassungsentwurf (159 Artikel) de: Quadratur des Zirkels gleichkomm und derart extrem verschiedenen An

sichten gerecht zu werden versucht, wie dem Kapitalismus und dem Sozialismus, dem Marxismus und dem Personalismus. Dabei bereitet die Mischung aus monarchischen und republikanischen Elementen, wie die europäische Erfahrung lehrt, noch am wenigsten Schwierigkeiten.

Einer realistischen Berechnung zufolge könnte das Referendum über den Verfassungsentwurf noch vor Abschluß der Debatte, etwa im September, und könnten die Neuwahlen auf Grund der dann neuen Wahlordnung im Dezember stattfinden. (Es würde sich dabei nicht nur um allgemeine, sondern neuerlich auch um Gemeinderatswahlen handeln.) Damit wäre dann allerdings der Demokratisierungsprozeß in Spanien binnen zweier Jahre abgeschlossen, sofern man als Ausgangspunkt für diesen Prozeß das Referendum von 1976 annimmt, dessen Resultat dem Regimewechsel grünes Licht gab.

^Festzuhalten ist jedenfalls, daß sich d^Regimewechsel in Spanien ohne Revolution, Umsturz oder Gewalt vollzog und lediglich diverse Pannen der politischen Logik zu überwinden hatte. Kennzeichnend für diese Art von Pannen war etwa der jüngst erfolgte Austritt des sozialistischen Abgeordneten Gregörio Peces aus der verfassungsgebenden Parlamentskomis-sion. Peces bekennt sich gleicherweise als praktizierender Katholik und gemäßigter Marxist. Die Niederlegung seines Mandats zur verfassungsgebenden Kommission erfolgte, wie er vor wenigen Wochen verlauten ließ, aus Gründen der Parteidisziplin und stellte für die Fertigstellung des Verfassungsentwurfs keine geringe Gefahr dar. Vier Überlegungen wären dabei ausschlaggebend: die ausdrückliche Nennung der katholischen Kirche im Artikel 16 des Entwurfs, der die freie Religionsausübung garantieren soll; der Wortlaut des Artikels 2, in dem von der Einheit Spaniens unter Berücksichtigung der verschiedenen Volksgruppen die Rede ist; das Problem der konfessionellen Privatschulen, auf das sich Artikel 28 bezieht; und schließlich ein Satzteil des Artikels 32, der das Wort „Aussperrung“ im Rahmen einer Definition der sozialen Marktwirtschaft enthält. Wie man sieht, handelt es sich in allen diesen Fällen sowohl um ideologische wie um wirtschaftliche Frage, bei deren Behandlung die Sozialisten ein Minithum ihrer Verstaatlichungstheorien durchzusetzen versuchten. Ihr in seinen Ursprüngen marxistisches Konzept widersteht seinem Wesen nach einer ausdrücklichen Nennung der katholischen Kirche in der Verfassung ebenso wie einer Förderung der Privatschulen, die in sozialistischer Sicht als unsozial gilt.

Trotz des Burgfriedens zwischen Regierung und Opposition darf 'man sich auf hitzige Debatten über den Verfassungsentwurf gefaßt machen. Dies aber bringt wieder den Vorteil mit sich, daß die aus solchen Wortgefechten hervorgehende Verfassung dann tatsächlich von allen Spaniern anerkannt werden kann. Allen vorangegangenen Grundgesetzen des 19. und 20. Jahrhunderts haftete ja das Odium an, das Resultat von Bürgerkriegen oder zu-

mindest von Mächtkämpfen innerhalb der Bevölkerung zu sein. Daher auch ihre relative Kurzlebigkeit. Was Spanien nunmehr braucht, ist innerer Friede und eine „Verfassung für alle“.

Ähnliches läßt sich auch auf anderen Gebieten feststellen. Die spanische Bischofskonferenz (75 Bischöfe) hat soeben Kardinal Dr. Vicente E. Tarancön zum dritten Mal als ihren Vorsitzenden bestätigt Der Kardinal und Erzbischof von Madrid gilt, unbeschadet seiner 70 Jahre, als der aufgeschlossenste und gemäßigtste Mann der Kirche Spaniens, die er mit beispielhafter Geschicklichkeit, zugleich aber kompromißlos, durch die Endphase der Franco-Ära gesteuert hat. Die Stellungnahmen der Bischöfe zum Verfassungsgerichtsentwurf war bisher sehr diskret und zurückhaltend, doch läßt sich annehmen, daß sie nach wie vor ohne Aufsehen, aber mit aller Energie die Rechte der Privatschulen verteidigen und deren Diskriminierung aus wirtschaftlichen Gründen als undemokratisch bekämpfen werden.

Was die spanischen Kommunisten betrifft, die bisher erstaunliche Mäßigung bewiesen haben und die sich nunmehr auf ihren Triumph bei den Gewerkschaftswahlen berufen können (35 Prozent aller Stimmen gegenüber 22 Prozent Sozialisten und 18 Prozent Unabhängigen), so steht zu hoffen, daß sie bei ihrem IX. nationalen Kongreß, der demnächst stattfinden soll, auf die Bezeichnung „Marxistisch-Leninistisch“ verzichten werden. Der mehrheitlich vorgeschlagene Name der Partei würde sodann „Demokratisch-revolutionäre Kommunistische Partei Spaniens“ lauten, was einer zumindest äußerlichen Betonung ihrer Abgrenzung gegenüber der Sowjetunion und anderen radikaleren

kommunistischen Parteien in aller Welt gleichkäme. Bei der Durchsetzung dieser Bezeichnung rechnet die Parteiführung mit der Disziplin aller Mitglieder, auch der radikaleren, zugleich aber auch mit der Schützenhilfe des gesamten Eurokommunismus.

Die Regierung ihrerseits setzt unterdessen den Ausbau der regionalen Autonomien im Hinblick auf deren demnächst zu erwartende Bestätigung durch die neue Verfassung fort. Dieser Prozeß ist in Katalonien und im Baskenland nahezu abgeschlossen und wird derzeit in Galizien, auf den Kanarischen Inseln und in Aragon begonnen. Die übrigen Regionen sollen folgen. Offen bleiben dabei lediglich noch wirtschaftliche Probleme und die Frage der Selbstbestimmung unter so völlig verschieden gelagerten Umständen in jeder einzelnen der in Frage stehenden Regionen.

Bei all dem bleibt die Wirtschaft überhaupt eine große Unbekannte. Die Zahl der Arbeitslosen (6,6 Prozent) konnte nicht gesenkt werden, Und auf der Unternehmerseite sieht man noch immer keinen Konjunkturaufschwung. Nach wie vor bleibt die Börse lustlos. Und das alles, obgleich das Auslandskapital sein Vertrauen durch Investitionen beweist und obgleich der Fremdenverkehr Rekorde aufzählen kann. Einige Anzeichen einer beginnenden wirtschaftlichen Gesundung lassen sich allerdings feststellen. Die Devisenreserven sind auf 6,694 Millionen Dollar gestiegen, was einem Silberstreifen auf dem düsteren Horizont der spanischen Wirtschaft gleichkommt. Das schwierigste Problem, mit dem die junge spanische Demokratie zu kämpfen hat, ist jedoch nach wie vor der Terror im Baskenland.

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