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Iberische Wehen

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Spaniens mühsamer Weg von der Diktatur zur stabilen Demokratie ist geglückt, wenn auch der Bruch in Raten den Preis der Erschöpfung innerhalb des spanischen Volkes und einen hohen Blutzoll durch den linken und rechten Terror gefordert hat. Die 87,79 Prozent Ja-Stimmen, die am 6. Dezember für die neue Verfassung abgegeben wurden, zeigen deutlich, daß die Mehrheit der Spanier sich zur Demokratie bekennt.

Daß sich aber nur 67,66 Prozent an der Abstimmung beteiligten, zeigt auch den politischen Kräfteverschleiß an, den der langwierige Ubergang zur Demokratie seit dem Tod Francos im November 1975 im Land mit sich gebracht hat. Aber immerhin: die lange und schwierige Geburt der spanischen Demokratie ist doch im wesentlichen geglückt, während beim spanischen Nachbarn Portugal die Geburtswehen seit mehr als vier Jahren anhalten. Denn in Portugal scheint die Krise prolongiert zu sein, ein Funktionieren der parlamentarischen Demokratie in weiter Ferne.

Die Freude vieler Spanier über ihre neue Verfassung war echt. Die Zuversicht in die demokratische Zukunft des Landes auch. Dennoch gibt es die „beiden Spanien“ noch immer - das starre, auf der Tradition beharrende auf der einen, und das ständig nach Erneuerung, Umbruch und Wechsel strebende auf der anderen Seite. Und zu viele dem Spanien Francos nach wie vor verhaftete Bürger des Landes wollen es noch immer nicht wahrhaben, daß es König Juan Carlos I., die Regierung und die Parteien ernst gemeint haben, als sie die Aussöhnung der Bürgerkriegsgegner von einst in die Wege leiteten.

Offenbar sind viele Anhänger dieses alten Spanien noch nicht bereit, dem neuen, demokratischen Spanien über die Gräben hinweg die Hände zu reichen; Gräben, die drei Bürgerkriege im 19. Jahrhundert, eine kurzlebige Republik - in der die politischen Parteien allerdings niemals zur Zusammenarbeit bereit waren, sondern sich immer als erbitterte Gegner gegenüberstanden - und schließlich einer der grausamsten Bürgerkriege der Weltgeschichte, vom Juli 1936 bis April 1939, in Spanien aufgerissen haben.

So eindeutig die Mehrheit der Spanier für die Verfassung und für die Demokratie in Spanien gestimmt haben, so eindeutig stellen sich radikal eingestellte Minderheiten im Land

gegen diese Entwicklung: Es sind dies einerseits die 200.000 Antidemo-kratien der „Fuerza Nueva“ („Neue Kraft“), die vor Wochen den Madrider Schloßplatz füllten und mit gestreckten Armen die Falange-Hymne sangen, anderseits die baskischen Terroristen in den drei Nordprovinzen, die mit jedem Mord und Bombenattentat die Demokratie schwächen und-den Rechtsradikalen Leute in die Arme treiben.

Die Terrormorde an Polizisten und Offizieren haben aber auch jene Kraft des Landes wieder verstärkt in den Vordergrund gerückt, die sich bisher eher im Hintergrund gehalten hat: die spanischen Streitkräfte. „Die Armee ist ein schlafender Löwe, aber merken sie sich: sie ist ein Löwe“, hatte General Torres, Chef der Fallschirmjägerbrigade, unverhohlen parlamentarische Abgeordnete bei einem Besuch gewarnt.

Daß dieser Löwe nicht einmal schläft, sondern nur ein Auge zugemacht hat, mit dem anderen aber um so mißtrauischer das politische Geschehen beobachtet, wurde klar, als die Putschpläne einiger Offiziere aufflogen, die mit ihrem „Unternehmen Milchstraße“ einen Handstreich auf Ministerpräsident Adolfo Suärez geplant hatten. Die Armee ist bisher nicht mehr auf der politischen Bühne des Landes aufgetreten, weil sie in sich selbst tief gespalten ist.

Es ist das Verdienst von König Juan Carlos und Ministerpräsident Adolfo Suärez, daß der Ubergang von der Diktatur zur Demokratie relativ reibungslos verlief. Die „Revolution von oben“ wäre allerdings nicht so glatt verlaufen, hätte das spanische Volk nicht diese demokratische Reife, die politische Führung nicht diese Mäßigung gezeigt und eine widersprüchliche Gesetzgebung der Dik-

tatur nicht eine Erneuerung aus sich selbst heraus zugelassen.

Anders die Situation in Portugal: Dieses Land befindet sich seit dem 25. April 1974, als die militärische „Bewegung der Hauptleute“ mit einem Putsch der Diktatur ein Ende bereitete und den demokratischen Kräften ein Wirken in der Öffentlichkeit ermöglichte, in einer politischen Dauerkrise. In Betracht ziehen muß man allerdings auch eines:

Beim Sturz der Diktatur wußte der Großteil der portugiesischen Bevölkerung nicht, wie eine Demokratie funktioniert und welche Bedeutung etwa Parteien haben. Nur wenige Portugiesen kannten die demokratischen Einrichtungen der Ersten Republik (1910 bis 1926). Und dieses Fehlen einer demokratischen Tradition wirkte sich hemmend beim Aufbau einer demokratischen Gesellschaftsordnung aus.

In der ersten Phase des Überganges von der Diktatur in die Demokratie herrschte das Chaos. Radikal wurden sämtliche politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen des Landes in Frage gestellt, von den Ideen und Institutionen der Diktatur möglichst weit abgerückt. Richtungskämpfe innerhalb der regierenden Militärs trugen das ihre zur inneren Unruhe des Landes bei.

Die zweite Phase brachte ein Ende der Militärbewegung und eine Konsolidierung der Großparteien. Doch allein und wirkungsvoll regieren konnte keine der Großparteien. Die Sozialisten um Mario Soares, mit 38 Prozent der Stimmen die größte Partei, mußten sich im Parlament von Fall zu Fall immer auf die Unterstützung einer der anderen Großparteien verlassen, man sprach von der „Politik der wechselnden Mehrheiten“. Und da Portugal keine entwickelte Demokratie ist, konnte anscheinend auch eine „Große Koalition“ nicht funktionieren.

Mit Mota Pinto als Chef wurde vor kurzem die nunmehr zehnte Regierung seit der Revolution 1974 vereidigt. Sie ist gleichzeitig die dritte in diesem Jahr, nachdem im Juli die Koalition zwischen Sozialisten und dem Zentrum gescheitert war, der parteilose Ingenieur Nobra da Costa die Nachfolge von Ministerpräsident Soares angetreten hatte, im September dann allerdings schon wieder gestürzt wurde.

Wie lange Professor Mario Pinto regieren wird, weiß niemand - zu labil ist Portugals Parteiendemokratie. Viel hängt für Portugals Zukunft aber auch davon ab, wie lange Staatspräsident Eanes seine Kameraden in den Streitkräften zur Zurückhaltung bewegen kann.

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