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Portugals Scheideweg

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In Portugal ereignete sich der seltene und immer seltenere Fall eines Militärputsches unter internationaler Akklamation. Wie Portugal in einem Jahr aussehen wird, ist weitgebend offen, aber die ersten Schrittr-der Junta weisen unübersehbar in eine bestimmte Richtung. Und zwar in Richtung zum parlamentarischen Mehrparteienstaat mit Pressefreiheit und vollen bürgerlichen Rechten sowie politischer Bewegungsfreiheit für die Opposition.

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In Portugal ereignete sich der seltene und immer seltenere Fall eines Militärputsches unter internationaler Akklamation. Wie Portugal in einem Jahr aussehen wird, ist weitgebend offen, aber die ersten Schrittr-der Junta weisen unübersehbar in eine bestimmte Richtung. Und zwar in Richtung zum parlamentarischen Mehrparteienstaat mit Pressefreiheit und vollen bürgerlichen Rechten sowie politischer Bewegungsfreiheit für die Opposition.

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Die große, noch kaum zu beantwortende Frage ist dabei nicht die, wie ehrlich es die Führer des Ar-meeputsohes und der neuen Regierung mit Demokratie, Parlamentarismus, Freiheit meinen, nicht die nach der Mentalreservation, dem insgeheimen Entschluß, das Wahl-glüok zu korrigieren, wenn die Dinge nicht im Sinne der Junta laufen sollten.

Nach allem, was die Junta in den ersten Tagen nach dem Putsch gezeigt hat, wird Portugals Schicksal vielmehr eines nahen, vielleicht sogar schon sehr nahen Tages davon abhängen, ob die vom Druck einer ebenso allmächtigen wie lästigen politischen Polizei und einer rigoros gehandhabten Gängelung der Meinungsfreiheit befreiten politischen Kräften bereit sind, im demokratischen System ihrerseits ohne Mentalreservationen mitzuspielen.

Die Tatsache, daß Portugal die Demokratie noch kaum kennengelernt hat, die Caetano für einen Grund hielt, auch weiterhin antidemokratisch zu regieren, könnte, ganz im Gegenteil, der Demokratie in Portugal ihre große Chance geben. Denn nur in wenigen Diktaturen setzt die unterdrückte Opposition so große, so naive, fast mythische Hoffnungen auf den Parlamentarismus, der in diesem Land, im Bewußtsein der unterdrückten Farben im politischen Meinungsspektrum Portugals, in keiner Weise diskreditiert ersoheint. Wenn irgend/wo in einem Entwicklungsland, dann könnte in Portugal jene Entwicklungsperiode des Parlamentarismus möglich sein, in der bürgerliche und sozialistische Gruppierungen, gemeinsam freigeworden, eine gemeinsame Plattform zur Reform des Landes finden. Nur so kann sich die Demokratie in Portugal einwurzeln.

Aber Portugals große politische Gleichung hat zwei Unbekannte. Die eine Unbekannte ist die extreme Linke. Niemand kann heute abschätzen, ob die marxistischen Symbole auf den während der ersten Freudenkundgebungen nach dem Sturz Caetanos gezeigten Fahnen ein Bekenntnis zum parlamentarischen Pluralismus oder eine Kampfansage an ihn bedeuten. Sollte es jenen Kräften, denen es nicht um Freiheit, Fortschritt, Demokratie in Portugal geht, sondern um die Revolution, respektive das, was sie darunter verstehen, nämlich ihre Revolution, ihre Diktatur, gelingen, Portugal zu polarisieren, könnte der neugeborenen Demokratie im „Armenhaus Europas“ ein früher Tod beschieden sein.

Niemand vermag heute zu sagen, wie stark die extreme Linke ist; sie wird jedenfalls versuchen, starken Einfluß in einer künftigen legalisierten Linken geltend zu machen.

Wieweit ihr dies gelingt, dürfte von der zweiten großen Unbekannten albhängen — von den Plänen der Generäle in Afrika. Wer erwartet hat, sie würden unmittelbar nach ihrer Machtübernahme das Ende des portugiesischen Überseereiches verkünden, beweist seine Naivität. Anderseits aber weiß niemand in Portugal und in der Welt so genau, wie es um die afrikanischen Besitzungen in Afrika wirklich steht und wie schwer der Ballast dieses Krieges am Mutterland zerrt, als gerade General Spinola und seine Gefolgsleute. Es ist längst nicht mehr die Frage, ob ein Rückzug Portugals aus Afrika eine Katastrophe für Südafrika und Rhodesien wäre, nicht die Frage, ob Angola und Mocambique unter schwarzer Herrschaft glücklicher und reicher sein werden als unter weißer Herrschaft — es ist nur noch die Frage, ob diese Provinzen „gehalten“ werden können, wie lange das in einem Zeitalter des unwiderruflich zu Ende gehenden Kolonialismus möglich ist und ob nicht ein schreckliches Mißverhalten zwischen Aufwand und Effekt besteht.

General Spinola, seine Mitverschwörer, seine Minister haben, wie einst de Gaulle mit Algerien, etwas Zeit, ihre wahren Absichten zu enthüllen — aber nicht allzuviel. Ein unentschlossener Kurs könnte sich allzu schnell neuerlich festgelegt finden.

Und es steht zu befurchten, daß Portugal an einem Scheideweg steht, der-nur zwei Wege offenläßt — den Weg in eine demokratische Zukunft, frei vom Ballast eines mörderischen Krieges, und auf der anderen Seite den Weg in ein neues, verstärktes afrikanisches Engagement, der jeden demokratischen Konsensus im Mutterland sprengen müßte und nur in eine neue Diktatur nach Caetano-Muster oder aber in eine Revolution von links münden könnte.

Nach allem, was man von Mario Soares, dem nach Portugal heimgekehrten Sozialistenführer, weiß, kann man große Hoffnungen hegen, daß er bereit ist, in einem Zusammenwirken mit Spinola Portugal auf einen Pfad der Entwicklung zu führen, der durch revolutionäre Erschütterungen nur gefährdet werden könnte. Soares dürfte zu Kompromissen bereit sein — solange sie nicht die Konsensus seines eigenen politischen Lagers apren gen $ d. h., daß ein Ja zum weiteren Krieg in Afrika von den Sozialisten wohl kaum zu haben sein wird. Eine schaumgebremste Demokratisierung anderseits dürfte wiederum, wie die Dinge heute in Portugal liegen, von keiner politischen Gruppierung akzeptiert werden.

Auf dem Bild „Las Lanzas“ von Velazquez sieht man einen Vorfahren des Grafen von Spinola bei der Übergabe der Schlüssel von Breda. Spinolas Vorfahr übernahm die Schlüssel aus den Händen der Besiegten. Wird er selbst die Schlüssel der afrikanischen Besitzungen aus der Hand geben wollen — und aus der Hand geben dürfen?

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