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Politische Ethik als Erfolgsrezept..."

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Aus einem spannenden Wahlkampf, den die Spanier durch Massenzustrom und starken Enthusiasmus bei allen Veranstaltungen geradezu als Jubelouvertüre für den nachfolgenden Papstbesuch zelebrierten, ging der Sozialist Gonzalez als strahlender Sieger aus den Wahlen des 28. Oktober hervor. Er vermehrte die Zahl seiner Kongreßabgeordneten von 125 auf 202 und errang mit 47 Prozent der Wählerstimmen die absolute Mehrheit mit einem Polster von 26 Sitzen und damit den Stuhl des Regierungschefs.

Manche Eingeweihte aber bezeichneten Fraga Iribarne als den „moralischen" Sieger der Wahlen: er steigerte die Zahl seiner Alianza Popular-Abgeordneten von sieben auf 106, machte seine Partei von der viertgrößten zur zweitgrößten im Parlament und nimmt nun den Platz des Oppositionsführers ein, den bisher Gonzalez innehatte. Uber diese Optik hinaus zeigt sich zwischen beiden noch viel anderes: Gegensätzliches, Gemeinsames, Komplementäres.

Wenige Wochen vor den Wahlen erschienen im Verlag Argos Vergera (Barcelona) in der Form von Gesprächen mit erstrangigen Publizisten zwei Bücher: von Felipe Gonzalez „Un estilo etico", von Manuel Fraga Iribarne „El canon giratorio". Mit ihren wesentlichen Aussagen haben hier die beiden spanischen Spitzenpolitiker viel Bemerkenswertes ihren Wählern, vor allem aber ihren Mitarbeitern und wohl auch allen Politikern und Publizisten in den näheren und ferneren Nachbarländern Spaniens offengelegt.

Beiden geht es in erster Linie um eine Politik mit Grundsätzen, um den Vorrang der politischen Verantwortung, um Ethik und Moral im öffentlichen Leben — und um den „cambio", der von dem einen als friedliche Veränderung in Staat und Gesellschaft schlechthin, vom anderen als permanente Reform, von keinem der beiden aber als bloßer Machtwechsel verstanden wird.

Fraga holte sich Titel und Motto für sein Buch aus einem Gespräch, das Metternich nach seiner Flucht aus Wien 1848 mit dem jungen Donoso Cortes führte, in dessen Verlauf er sagte: „Schauen Sie, wichtig ist, daß man einige gute Grundsätze hat, nicht ein System, nicht ein Programm.

Grundsätze haben dieselbe Überlegenheit wie ein drehbares Geschütz (canon giratorio) vor einem anderen, mit dem man nur durch eine Schießscharte, nur in einer Richtung schießen kann."

Für Fraga ist dieses Buch die Zwischenbilanz eines bald Sechzigjährigen nach einer langen, er-folgs- und erfahrungsreichen Karriere als Gelehrter, Minister unter und nach Franco, Botschafter, liberal-konservativer Parteigründer und -führer. Vor drei Jahren hörte ich ihn in einem überfüllten Kinosaal in Las Palmas sagen, Spanien befinde sich nicht in einer beliebigen Krise, wie man sie in der neueren und gegenwärtigen Geschichte schon öfter erlebt habe, sondern „darüber hinaus machen wir diesmal eine sehr tiefgreifende Krise durch, welche die familiären, moralischen, kulturellen und religiösen Fundamente unseres Gesellschaftslebens berührt".

Auf die Frage nach seiner Beziehung zu Gott sägt er in seinem Buch, daß für ihn „die Verankerung in der Welt des Ewigen, in der Welt der Moral höchst wichtig" sei. Immer wieder hebt er in Versammlungen, Vorträgen und Interviews die Notwendigkeit einer ethischen Erneuerung der Gesellschaft hervor und verurteilt den Ubelstand, daß Politiker die Kräfte des Ressentiments und des Neides aufstacheln, statt sittliche Lösungen vorzuschlagen.

Der knapp vierzigjährige Gonzalez setzt an einer anderen Stelle an, um sich aber denselben Werten und Zielen zuzuwenden. Sie lauten: friedliches Zusammenleben in Freiheit und Gerechtigkeit — und politische Ethik. In glaubwürdiger und stetsv mitreißender Weise hat er auch im Wahlkampf seinen „ethischen Stil" vertreten und die Wahlen damit haushoch gewonnen.

Aus einer sozialistischen Vor-stadtbauernfamilie in Sevilla stammend, im katholischen Cole-gio Padre Ciaret erzogen, in der katholischen Jungarbeiterbewegung JOC und dann in der sozialistischen Jugendbewegung sozial ausgerichtet, wurde er in einer für dieses Alter typischen religiösen Krise sechzehnjährig zum Agnostiker und fand seinen politischen Weg zwischen Reformismus und Revolution.

Diese Polemik bot ihm keine Lösung. Auch scheint es ihm unerläßlich, „nicht in emem kurzatmigen Pragmatismus zu verharren". Als ein einziges richtiges Ziel schwebt ihm eine gerade jetzt fällige Politik in Staat und Gesellschaft vor, die den historischen Rhythmus als Grundbedingung für eine friedliche und in diesem Sinne auch menschliche Veränderung, „ohne den Preis der Gewalt, der immer höher ist als ihr Gewinn".

Daher sein politisches Credo: „Es ist möglich, daß ich von einer Idee beeinflußt bin, die ich als Politiker mit Verantwortung an die erste Stelle meiner Prioritäten setze: das Zusammenleben im Frieden. Der Friede, schlußendlich."

Das Stich- und Zauberwort für diesen historischen Wahlkampf und seinen Ausgang hieß bei Gonzalez „cambio", bei Fraga „so-luciones". Beides läßt sich nicht einfach mit „Wechsel" und „Entscheidungen" übersetzen.

Um die Wende der sechziger zu den siebziger Jahren, als sich das Ende der Ära Franco schon abzeichnete und in Spanien drei politische, Strömungen aufgekommen waren — eine reaktionäre („Alles soll bleiben, wie es ist"), eine revolutionäre („Alles muß umgestürzt werden") und eine technokratische („Alles wird durch Wirtschaft und Technik bewältigt") -, setzt sich Fraga an die Spitze einer Reformergruppe mit dem Ziel einer politischen Erneuerung.

Selbstverständlich verlangte auch diese den „cambio", aber nicht total- und hochstilisiert wie bei Gonzalez, sondern als eine durchaus natürliche, den technischen Fortschritt und die großen Verbesserungen im Kommunikationswesen nutzende Veränderung durch Schaffung von „Zwischenstrukturen" in Staat und Gesellschaft auf dem Wege zu einem demokratischen Spanien.

Als wichtigste dieser Strukturänderungen propagierte er seit Jahren ein Zweiparteiensystem, in welchem der von ihm angestrebten „natürlichen Rechten" eine entscheidende Rolle zukommen sollte — als Oppositions- oder als Regierungspartei.

Aber nicht nur um Strukturänderungen geht es: i.Mir scheint, daß dieses das große Drama der Politik ist ... Das Grundproblem der politischen Führung besteht darin, daß diese mächtigen Phä-, nomene in eine Entwicklung zum Guten gebracht werden." Veränderungen zum Guten kann aber an dem Guten, was uns die Vergangenheit überliefert, nicht vorbeigehen; daher sind Geschich-te.Tradition, Kulturerbe und Religion von Veränderungen nicht auszuklammern.

Für Gonzalez bedeutet der „cambio" in erster Linie persönliche Ethik in allen öffentlichen und privaten Dingen. Dann erst, sozusagen als Frucht davon: Freiheit, Gerechtigkeit, Friede. Als die überraschendste, wichtigste (und schönste!) Stelle in seinem Buch finde ich jene, wo er gefragt wird, ob der politische Weg, den er und die PSOE gehen, nicht in eine Art Schizophrenie zwischen einer revolutionären Ideologie und einer reformistischen Praxis ausarten könnte. Er gesteht: „Wir betreten da ein schwieriges Gebiet. Vor allem in den Zeiten der Krise, die die ganze Welt, nicht nur Spanien durchlebt. Es ist unmöglich, eine Idee oder ein Projekt des .cambio' vorzulegen, wenn einer nicht bereit ist, sich selbst zu ändern."

Auffallend, wie in diesen Tagen, weltweit ähnliche Stimmen aus ähnlichem Anlaß zu vernehmen sind: so z. B. aus den Regierungserklärungen des neuen japanischen Ministerpräsidenten Naka-sone oder des neuen mexikanischen Präsidenten De la Madrid. Der Letztere sagte da: „Die moralische Erneuerung der Gesellschaft wird Verpflichtung und Norm des ständigen Verhaltens meiner Regierung sein. Ich will dabei persönlich mit gutem Beispiel vorangehen".

Der Autor war Finanzminister (1961-63) und Bundeskanzler (1966-1970) von Osterreich.

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