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Viele Schönheitsfehler

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In Portugal halt sich ein Machtkampf abgespielt: hinter den Kulissen ist Präsident Spinola von den linken Militärs unter Ministerpräsident Concalves entmachtet worden. Das erleichtert freilich nicht die Situation in den afrikanischen Besitzungen Portugals, wo sich tausende Weiße insbesondere aus Mocambique auf der Flucht nach Südafrika befinden.

Es ist von zahlreichen Toten die

Rede, von Menschen, die von der aufgebrachten Menge in Lourenęo Marques gesteinigt worden sein sollen.

Die Zeichen stehen also auf Sturm. Dies gilt keineswegs nur für die Weißen, die sich von Lissabon verraten glauben und die nun Zusehen müssen, wie sie sich eine neue Existenz aufbauen können, was nicht so einfach ist, da ihnen das Mutterland wegen der eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten keine Hoffnungen machen kann. Mocambique selber, das heißt, jener Teil der Farbigen, der nun vom „Joch des Kolonialismus’ befreit ist, um dem Banner des Frelimo zu folgen, geht einer höchst unsicheren Zukunft entgegen. Die Wirtschaft ist weitgehend zusammengebrochen, weiße Ärzte, Professoren, Techniker und Verwaltungsbeamte haben scharenweise das Land verlassen.

Ist das der Tribut, der zu zahlen ist bei der Liquidation der Reste des portugiesischen Reiches, zu dem einst — vor mehr als einem halben Jahrtausend — Dom Henrique, der „Seefahrer’, den Grundstein legte?

Die Lage ist vielschichtiger. Vor allem darf man eines nicht vergessen: Die Regierung in Lissabon hat sich in dem Bestreben, möglichst rasch die „koloniale’ Bürde loszuwerden, selbst unter Zeitdruck gesetzt. Angestachelt von dem Wunsch, unter die 13 Jahre Krieg in den afrikanischen Provinzen so schnell wie möglich einen Schlußstrich zu ziehen, und schnell den Makel der „Fremdherrschaft’ zu tilgen, hat man nicht viel Federlesens gemacht bei der Übergabe des historischen Erbes an die Schwarzafrikaner. General Spinola selber hatte zunächst offenbar andere Vorstellungen, dachte wohl an die Bildung einer Föderation der betroffenen afrikanischen Territorien mit Portugal. Er wurde aber unter Druck gesetzt von der Linken im eigenen Lande, der er Konzessionen machen mußte. So fielen denn „längerfristige’ Lösungen unter den Tisch.

In der Eile machte man sich denn auch nicht so viele Gedanken über die Konsequenzen der Parole afrikanischer „Selbstbestimmung’. Me. akzeptierte, daß die Frelimo-Führer wissen, was die Einheimischen in Moęambique wollen. Soares selber meinte, Wahlen seien überflüssig. Der Frelimo selbst, das heißt jene Führer, die mit Lissabon verhandelten (es gibt andere Leute cfieser Organisation, die zu ihnen in Opposition stehen), beanspruchen, im Zuge von Regional wählen ein Mandat der Bevölkerung erhalten zu haben. Aber wie man weiß, hat diese Bewegung bisher nur Teile von Mocambique kontrolliert, und auch dort hatten ja die Schwarzen keine Möglichkeit, für andere als „offizielle’ Frelimo- Kandidaten zu votieren. Auf „demokratische Kinkerlitzchen’ war, nebenbei gesagt, auch im Falle Guinea- Bissau verzichtet worden. Amilcar Cabral, der als Chef der PAIGC dem neuen unabhängigen Staatswesen vorsteht, leitet seine „Legitimität’ daraus ab, daß im Jahre 1972 in dem von dieser Bewegung überwachten Gebiet die Leute für ihn gestimmt hätten. Dabei handelt es sich allerdings nur um ein Zehntel der einheimischen Bevölkerung, und es gab natürlich wiederum eine Art Einheitsliste.

Nun läßt sich freilich sagen, derartige politische Schönheitsfehler seien unter afrikanischen Bedingungen unvermeidlich. Doch wird hier immerhin ein Stück doppelte Moral der militanten „Antikolonialisten’ enthüllt. Ein Blick auf die afrikanisehe Landkarte zeigt, daß in 15 der 34 Staaten derzeit Militärregierungen am Ruder sind. Nur in einem der übrigen 19, nämlich in Gambia, existiert so etwas wie ein Mehrparteiensystem. In vielen Fällen wird das politische Leben nach wie vor von Stammesgesetzen diktiert. Weitgehend fehlt jenen Ländern ein Gefühl für nationale Identität, das allein geeignet wäre, stabile politische Strukturen zu begründen. Die, die an der Macht sind, beziehen ihre Legitimation immer noch vielfach aus einer lautstark proklamierten Kampfstellung gegen den „Kolonialismus’. Hinzu kommt die Unfähigkeit vieler jener Länder, soliden wirtschaftlichen Boden unter die Füße zu bekommen. Daran sind nicht nur die Industrieländer schuld, die man immer wieder der ökonomischen Ausbeutung der Dritten Welt bezichtigt. Oft spielen hier auch fruchtlose sozialistische Experimente eine negative Rolle. Und dann gibt es da auch die gefährliche Such nach Prestige.

Amilcar Cabral zum Beispiel, dessen armes Land bisher in reichem Maße von Lissabon wirtschaftlich

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