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Die Seiltänzer der Macht

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Über die seit 1967 bestehende Militär-Diktatur in der griechischen "Wiege der Demokratie", seine Vorgeschichte und seine Folgen.

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Über die seit 1967 bestehende Militär-Diktatur in der griechischen "Wiege der Demokratie", seine Vorgeschichte und seine Folgen.

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Gleich hinter der US-Botschaft bildet Athens feudale Sofiastraße eine kleine grüne Insel. Unter den Bäumen am Straßenrand: einige Kaffeehaustische. Es ist November 1971 in Athen, und nur zwei Männer sitzen auf den kühlen Sesseln. Sie tun es den ganzen Tag und flüchten sich nur am Abend in ein wärmendes Auto. Denn gegenüber dem Parkcafe wohnt Panayiotis Kanellopoulos, der letzte Ministerpräsident einer verfassungsgemäß bestellten Regierung in Griechenland, Symbol des Widerstandes gegen ein Regime, das seit dem 21. April 1967 Revolution spielt und unter den Augen westlicher Demokratien am Fuß der Akropolis Freiheit und Menschenwürde tagtäglich — und das schon seit mehr als vier Jahren — verletzt.

Viele fragen sich innerhalb und außerhalb von Griechenland deshalb auch immer öfter, wie diese Diktatur existieren kann und ab es vielleicht schon so etwas wie eine (anderswo beispielsgebende) Mediterran-Diktatur prototypisch darstellt. Ist Griechenland nur ein nach Westen programmiertes nahöstliches Militärregime?

Bleibt die Tatsache zu registrieren, daß Griechenland nicht nur das Land ist, in dem ein Aristoteles und Platon das abendländische Demokratie- ideal begründeten, sondern in dem nach dem Sturz des oströmischen Imperiums immerhin durch mehrere Jahrhunderte orientalische Despotie unter grausamer Osmanenherrschaft wütete. Das machte aus Griechenland, jenem Königtum mit importiertem Regenten und einer kopierten Verfassung und Verwaltung, die degenerierte Levante zwischen Balkan und Nahem Osten, in der quasi im Vorhof zum Orient unausrottbare Übel im menschlichen Zusammenleben stecken.

Das fatale Erbe der Geschichte

So kennzeichnen das geistliche Leben Griechenlands nach der Befreiung von den Türken im Jahre 1821 schrankenloser „Kopismus“ und romantisierende Vergangenheitssehnsucht. In beiden geistigen Strömungen blieb wenig Platz für die moderne Demokratie, wie sie sich gleichzeitig in Westeuropa und am nordamerikanischen Kontinent auszuformen begann.

Die von fremden Einflüssen überlagerte Tradition bildete die Grundlage der politischen Entwicklung im vorigen Jahrhundert. Die Erstarrung löste sich stets nur in Revolutionen und Gegenrevolutionen. Als kleinste selbständische Kulturgemeinschaft mit der ältesten Sprache des Kontinents,. sogar mit eigener Schrift, kämpften stets zwei Elemente im griechischen Lebensgefühl: eine am Westen orientierte Intelligenz, die mit den sozialen Gegebenheiten nicht übereinkam und in bis zur Anarchie gesteigertem Individualismus reagierte; zum anderen ein orthodoxer Konservativismus, der sich an der Tradition orientierte, ohne sie in das moderne Leben der Industriegesellschaft zu integrieren.

Karl Pfeffer, ein scharfsinniger Griechenlandkenner, erklärt aus dieser Spannung das Entstehen eines Klientelsystems, das die eigentliche tragende Säule der nach westlichem Muster etablierten Parteien bildete. Eine aufgepfropfte Verfassung in einer weitgehend noch vorindustriellen Gesellschaft zwang zur Parteienbildung, obwohl damit nur Nepotismus und Günstlingswirtschaft etabliert wurden.

Erst im Laufe der sozialen und wirtschaftlichen Erstarkung des Landes nach dem zweiten Weltkrieg wuchs auch in Griechenland ein soziales Gefühl und ein demokratisches Selbstverständnis. Zwar kam erst jetzt die Spannung zwischen agrarischem Land und der Ausbeutung durch die wachsenden Städte stark zum Tragen, wie Pipinelis meint, aber das Vorhandensein eines doch weitgehend intakten demokratischen Systems im Funktionalen bis zum April 1967 ist eine unbestrittene Tatsache.

Griechische Demokratie war und ist nicht mit der Elle eines aufgeklärten Liberalismus wie in Westeuropa zu messen; aber sie war bis 1967 ein kostbares Pflänzchen auf einem vorgeschobenen westlichen Posten Europas. Und die Tatsache, daß auch in Mitteleuropa die Demokratie erst vor nicht einmal 30 Jahren eine echte und starke Chance erhielt, macht erst klar, was die sogenannte Revolution eines Offiziersklüngels mit angemaßter Wichtigkeit eigentlich wirklich war: die Unterbrechung einer vielversprechenden Weiterentwicklung zu gerechteren und demokratischeren Formen; die Zerstörung eines mühsamen Aufbauwerkes von überzeugten Demokraten — und nicht zuletzt die Begradigung einer Front der europäischen Demokratie gegen den antidemokratischen Anspruch aus dem Osten.

Die „verratene Revolution“

Heute, nach mehr als fünf Jahren Obristenregime, glaubt niemand mehr, daß die Putschisten des 21. April 1967 nur eine kurze Episode darstellen. Das Regime hat sich äußerlich stabilisiert und zuwege gebracht, quasi als Garant einer vermeintlichen Stabilität Normalität vorzutäuschen. Eine erstaunliche Informationsverformung im Westen hat die Gegenwart verzerrt. Und eine gerade hysterische Sorge der NATO-Mächte um die Südostflanke schenkt den Minidiktatoren in Attika vorerst äußere Ruhe.

Die innere Realität in Griechenland sieht allerdings anders aus, als sie der Tourist aus dem Sight- Seeing-Bus und NATO-Offiziere aus dem Hubschrauber sehen. Tatsächlich ist das Obristenregime nämlich morscher denn je; tatsächlich ist die Fortsetzung der Juntaherrschaft nur noch mit noch härterer Gangart zu erkaufen; und jede sogenannte „Demokratisierung“ ist vorgetäuschte Stärke. Denn — so der ERE-Führer und letzte Ministerpräsident Kanel- lopoulos: „Es gibt kein historisches Beispiel, daß sich eine Regierung von der Diktatur zur Demokratie entwickelt hat.“

• Da ist die heutige Regierung selbst: Bei Paraden und Empfängen demonstriert sie Einheit; in Wirklichkeit ist die Solidarität des Putsches geschwunden. Ministerpräsident Papadopoulos ist nicht allein primus inter pares. Als Außen- und Verteidigungsminister ist er nach der letzten Regierungsumbildung zum alleinbestimmenden Faktor geworden. Sein Bild hängt nun dort, wo das des Königs zu finden war. Einem Akrobaten gleich, wußte er tjei dieser Kabinettsumstellung jeden gefährlichen Kontrahenten entweder abzuschieben oder durch Gleichgewichte innerhalb der Regierung abzubauen. Wirtschaftliche Interessen haben Frontbildungen vollzogen. Der ehemalige mächtige Wirt- sdiaftsminister Makarezos galt als Freund bestimmter Reederinter- essen; jetzt ist er entmachtet; Papa- dopoulos-Stellvertreter Pattakos ist von seinen Anhängern in der Armee getrennt.

Das aber nährt die Spannungen innerhalb der Regierung. Regierungsmitglieder wie der Zivilist und Umversitätsperofessor Demetrius Tsakonas kritisieren selbst öffentlich den Kurs der Regierung. Und Rivalitäten der neuen Klientel machen die Regierung auch nicht eben stabiler: sie sind Seiltänzer der Macht.

• Da ist die Stimmung im Land. Die Bauern, für die eine „linke“ Landreform einiges einbrachte, sehen mit ihrer konservativen Grundhaltung skeptisch der Entwicklung zu. Die Intelligenz in den Städten, Händler und Gewerbetreibende, kann man nur am Abend in den Tavernen bei einem Glas Retsina murren hören. Aber sie lehnen offensichtlich das Regime heute Stärker ab als noch vor zwei oder drei Jahren.

• Und da ist schließlich die Armee: War der Putsch des 21. April 1967 im gewissen Sinn der Putsch der Obersten gegen die Generäle, so ist heute in Griechenland eine Situation entstanden, die eine Revolte der „Majore“ gegen die Obersten nicht ausschließt. Von ihnen, also von den jüngeren Offizieren, droht Papadopoulos und seinen Getreuen die größte Gefahr. Die „Majore“ werfen dem Staatschef ganz offen den „Verrat“ der Revolution vor. Und gerade dieser Vorwurf weist die Vereinfachung der politischen Zustände Griechenlands durch eine westliche Trivialpresse zurück. Die Obersten traten 1967 als „Linke“ an, jedenfalls als Reformer mit stark sozialem Impetus; sie revoltierten gegen Griechenlands „Establishment“, gegen die Reichen, die Monarchie, die Auslandsgriechen mit US-Paß und Kommerzbeziehungen zum Mutterland; gegen die Parteien mit ihrem Klientelsystem. Und Papadopoulos? Das war der kleine „Nasser“, wie ihn seine Kameraden auch scherzhaft bezeichn eten.

Seither aber haben sich die Sozialrevolutionäre des 21. April 1967 gewandelt. Sie sind heute, vier Jahre nach dem gelungenen Putsch, Verbündete des „Establishment“, zwar ohne Hof und Parteien, aber mit den Reedern, den US-Kaipiitalisten mit griechischem Großvater, den Vermögenden in Athen und der Kirche. Sie haben — so sagen die „Majore“ — die Revolution verraten. Und es fehlt nur an einem Führer, um den Unmut zu kanalisieren.

Vier Divisionen rund um Athen: sie schützen heute noch Papadopoulos und die Seinen vor dem möglieben Sturz durch die Armee. Wann aber rollen die Panzer wieder? Niemand wagt es in Athen und Thessaloniki, in Larissa oder Patras zu sagen. Papadopoulos und die Seinen jedenfalls schlafen schlecht.

Die Opposition steht rechts

Der Faschismus „rechter“ Militärs gegen eine drohende Machtergreifung der Linken in Griechenland — der Vorwand und die Rechtfertigung des Staatsstreiches — ist jedenfalls eine Erfindung vereinfachender westlicher Korrespondenten und emotioneller Linksintellektueller im Gefolge der Familie Papandreou im Ausland. Weder war der Putsch im Anfangsstadium „rechts“ — was selbst Andreas Papandreou (in seinem kürzlich in deutscher Sprache erschienenen Buch „Griechische Tragödie“) nicht leugnet — noch 1st der Widerstand gegen die Obristen- herrschaft heute ein Widerstand der „Linken“. Ganz im Gegenteil: die Opposition kommt aus dem intakten Kreis der Politiker der ERE und den im Land gebliebenen Vertretern der Zentrumsunion. Diese sind trotz Hausarrest, trotz Schikanen und Bewachung die sichtbaren Repräsentanten der Demokratie. Diie Zentrumsunion war nach dem Tode von Georg Papandreou führerlos. Aber erst die kürzlich in Wien von den Auslandsvertretern der Partei durchgeführte Wahl hat den in Athen lebenden Georg Mavros — Wirtschaftsminister unter Papandreou — als Parteichef bestätigt. Mavros aber ist heute zutiefst davon entfernt, Griechenland auf einen „linken“ Weg zu führen. Mavros zur „Furche“: „Es gibt keine Zusammenarbeit mit den Kommunisten.“

Nicht anders ERE-Chef Panayiotis Kanellopoulos in seinem ganz in französischem Stil gehaltenen Heim: „Wir sind uns heute klar, Fehler gemacht zu haben. Aber wir glauben, daß die Rückkehr zur Demokratie nur als Rückkehr zur Verfassung, mit einem in freien Wahlen bestellten Parlament, mit einem König im Lande und mit unserer Treue zum westlichen Bündnis durchzuführen ist.“

Freie Wahlen?

Damit ist die Alternative zu Papadopoulos und seinen Söldner-Con- dottieri samt ihrem Pietismus und christlichem Hellenismus klar: ein am westeuropäischen Vorbild orientiertes demokratisches Regierumgs- system, das keine Revolutionen für die notwendigen sozialen Reformen braucht. Die Alternative könnte — angesichts einer noch rudimentär funktionierenden freien Berichterstattung der griechischen Presse — immer mehr Griechen klarwerden. Und sie wurde manifest in einem Aufruf fast aller freien und lebenden Abgeordneten des griechischen Parlaments im Oktober 1971.

Unterdessen versprechen die Obristen freie Wahlen. Sie versprachen es dem Griechenlandbesucher, US-Vizepräsidenten Agnew (der darauf bestand, daß ihm auch Opposi- tionspolitiker vorgestellt wurden), und sie sagen es jedem Besucher aus dem westlichen Ausland quasi hinter vorgehaltener Hand. Nur versprechen sie diese freien Wahlen bereits seit vielen Jahren.

Für den Fall solcher Wahlen sieht freilich selbst Regierungsmitglied Tsakonas nicht rosig für die Junta: „Eine neue Revolution ist nicht auszuschließen …“

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