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Die Wendung zum Nachbarn

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Griechenland hat auf die jüngste Ausschlußdrohung des Europarates von Straßburg ganz anders reagiert, als man es nach 20 Jahren griechischer Nachkriegspolitik an der Seite der freien Völker West- und Mitteleuropas und von einem Mitgliedstaat der NATO, EWG und anderer westeuropäischer Gemeinschaften erwartet hatte. Zwar rief der Urteilsspruch der europäischen Parlamentarier , von Straßburg unter der Oberfläche heftige Auseinandersetzungen und Machtverschiebungen hervor, doch war die offizielle Athener Reaktion enttäuschend, die halboffizielle Stellungnahme der Armeesender und Regimepresse pro-vokativ.

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Griechenland hat auf die jüngste Ausschlußdrohung des Europarates von Straßburg ganz anders reagiert, als man es nach 20 Jahren griechischer Nachkriegspolitik an der Seite der freien Völker West- und Mitteleuropas und von einem Mitgliedstaat der NATO, EWG und anderer westeuropäischer Gemeinschaften erwartet hatte. Zwar rief der Urteilsspruch der europäischen Parlamentarier , von Straßburg unter der Oberfläche heftige Auseinandersetzungen und Machtverschiebungen hervor, doch war die offizielle Athener Reaktion enttäuschend, die halboffizielle Stellungnahme der Armeesender und Regimepresse pro-vokativ.

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Während die Organe der Militärregierung alle Werte der demokratischen Erneuerung Europas nach dem zweiten Weltkrieg und die von allen vorausgegangenen Regierungen von Marschall Papagos bis zu Georg Papandreou gepflegten Freundschaftsbeziehungen zu diesem in Abrede stellten, befleißigte sich das Auwärtige Amt am Sophienboulevard noch nie dagewesener Koexistenz- und Verbrüderungsinitiativen in Richtung Ostblock und arabische Welt. Der interne Kampf der Regierung Papadopoulos gegen den Kommunismus, der mit Konzentrationslagern geführt wird, aber nur die moskau- und pekinghörigen Genossen trifft, während man Verfechtern eines „hellenischen Nationalkommunismus“ den Weg auf die Ministersessel ebnet, ist auf außen- und wirtschaftspolitischem Gebiet von einer noch nie dagewesenen Toleranz den Staaten des Warschauer Pakts gegenüber und immer engerem Anschluß an den nationalkommunistischen Balkanblock Jugoslawien-Rumänien und an die nationalen nahöstlichen Sozialismen der BaathrBewegung und des Nasserismus begleitet. Die Kernfrage, die sich alle Partner und Freunde Griechenlands stellen, die mit Besorgnis die Athener Entwicklung seit dem 21. April 1967 verfolgen, gilt den Kräften, die für dieses Herausgleiten der Hellenen aus der europäischen Gemeinschaft in den Rahmen einer noch nicht näher profilierten allbalkanischen und ost-mittelmeerischen Kooperation verantwortlich sind. Die griechische Militärregierung legt dabei bewußt auf den Eindruck wert, daß sie nur von der Feindseligkeit europäischer Linksparteien und -regierungen zum Abtasten des Terrains in östlicher Richtung gezwungen werde, doch führt ihr geschicktes Agieren im ein-kömmlichen Niemandsland zwischen Ost und West zum Schluß, daß es Papadopoulos nicht um seine gekränkte Ehre, sondern um das Geschäft mit Washington wie Moskau geht, deren Interessen in Hellas und im Ägäischen Meer er gegeneinander auszuspielen sucht. Mag dieses Schaukelspiel auch aus rein taktischen Überlegungen betrieben werden, so haben sich seiner doch Faktoren bemächtigt, die sich dem Einfluß der Athener Machthaber entziehen, Griechenlands Absonderung von der europäischen Gemeinschaft aber um so nachhaltiger bestimmen und beschleunigen.

Ungeachtet des im frühen 20. Jahrhundert ausgeprägten griechischen Nationalismus, der sich an den Reibungsflächen der nicht minder chauvinistischen Südslawen und Jungtürken entzündete, ist in Griechenland das Zusammengehörigkeitsgefühl aller Balkanvölker, in dessen Namen schon der Freiheitskämpfer Rigas Ferreos 1796 Griechen, Rumänen und Slawen zum Aufstand gegen die Türken beschworen hatte, immer lebendig geblieben. Beispielhaft dafür ist die traditionelle grie-chisch-serbischje und griechischrumänische Freundschaft, die sich den dornigen Minderheitenfragen der Aromunen und makedonischen Slawen zum Trotz durch zwei Weltkriege bewährt hat und in diesen Tagen im Dreieck Papadopoulos-Tito-Ceausescu nach dem komin-formen Zwischenspiel wieder fröhliche Urständ feiert. Seine Wurzel hat dieses südosteuropäische Zusammengehörigkeitsgefühl im trotz aller Säkularisierung als psychologische Komponente noch immer mächtigen orthodoxen Glauben, dessen Bekenntnis während der langen Türkenherrschaft an die Stelle der vielfach verwischten nationalen Zugehörigkeit getreten war.

Dieses gemeinsame Erbe der Balkanvölker, das den für eine südosteuropäische Sowjetunion eintretenden Kommunisten im griechischen Bürgerkrieg den Kampf mit der nationalistischen Regierung in Athen so erleichterte, erhält heute durch wirtschaftliche und handelspolitische Elemente noch vermehrte Bedeutung. Die fruchtbaren Ebenen Rumäniens, das dank seiner Boden- ' schätze am höchsten von allen Bai-*kanstaaten industrialisierte Jugoslawien, und Griechenlands Reichtum an Früchten, Tabak, Baumwolle und vor allem an Handelswegen stellen eine ideale Ergänzung dar, und sogar der griechische Erbfeind und stalinistische Scharfmacher Bulgarien hat neuestens sein Interesse an einer Freihandelszone in Thessaloniki angemeldet, mit der er seinen Frachtern den Umweg durch die Meerengen sparen könnte. Wenn man sich also vor Augen hält, daß Griechenland von seinen balkanischen Nachbarn als gleichberechtigter, wenn nicht sogar bevorzugter Wirtschaftspartner geschätzt und umworben wird, während es der EWG seit seiner Assoziierung nur als Gastarbeiter- und Orangenreservoir dient, kann man verstehen, weshalb alle griechischen Regierungen seit der Mitte der fünfziger Jahre, sosehr sie sich in ihrer Haltung zum Westen differenzierten, in der schrittweisen Annäherung an Jugoslawien, Rumänien und Bulgarien übereinstimmten. Daß diese Tendenz an und für sich nichts mit prokommunistischer Haltung zu tun hat, beweist kein Geringerer als der durch und durch konservative Politiker Pipinellis, der schon Jahre vor seiner Berufung zum Außenminister des Militärregimes als Mandatar und Ministerpräsident der rechtsgerichteten ERE für eine balkanische Zusammenarbeit nach dem Vorbild der skandinavischen Staaten eingetreten war. Die Annäherung Athens an Belgrad, Bukarest und Sofia ist aber auch kein Verdienst und ebensowenig ein Fehler der Militärregierung, sondern eine unaufhaltsame Entwicklung, die von innerbalkanischen Gegebenheiten determiniert wird.

Modifizieren läßt sich lediglich die Tatsache, ob bei diesem Zusammenwachsen ein demokratisches Griechenland eine echte Vermittlungsmission zu erfüllen vermag oder ob diese Chance des Westens von einem autoritären Regime gewahrt wird, das auf der kommunistischen Seite nichts als Verstärkung des totalitären Denkens hervorrufen muß. Dieser Dialog bringt dann überhaupt die Gefahr, die Grenzen zwischen den Diktaturen trotz ihrer umgekehrten Vorzeichen zu verwischen.

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