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Minderheitenpolitik im Schaufenster

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Das Wort vom Schmelztiegel hat am Balkan längst seine Widerlegung erfahren, denn nichts hat sich in dem geräuschvollen Wechsel der Regime säuberlicher erhalten als die Scheidung der Menschen nach Nationen. Kürzlich schrieb ein tschechischer Publizist, es wäre für alle Amerikaner „eine schrecklich harte Nuß“ zu begreifen, daß es Serben im Königreich, Serben in Mazedonien, Serben in Montenegro, in Bosnien, der Herzegowina und in Dalmatien gebe, daß jeder dieser Stämme unter anderen Sternen, Verhältnissen und Einflüssen aufwuchs, daß sich die Kroaten unter wiederum völlig anderen Bedingungen entwickelten und wieder eine andere Vergangenheit bei den Slowenen ihre besonderen Spuren hinterlasse. Diese Bemerkung umreißt den Komplex von Fragen, dem sich der Kroate Josip Broz-Tito, Marschall von Jugoslawien, nach der Aufrichtung der Republik gegenübersah. Die Eile, mit der er die neue Verfassung verkündete — sie trägt das Datum des 31. Jänner 1946 —, läßt auf die Vorlage eines fertigen Konzepts aus der Partisanenzeit schließen. Es verwarf die zentrali-stische Tradition der Belgrader Monarchie und übernahm das modifizierte Vorbild der Sowjetunion. Während die Westslawen das in die Verfassungsdebatte geworfene Schlagwort einer Föderation mehrerer Völker als ein geradezu hochverräterisches Ansinnen ablehnen, bezeichnete Tito eben diesen Gedanken in breiter Ausführlichkeit als die einzig mögliche Lösung für die Völker Jugoslawiens. Tschechen und Polen sehen ihre Sicherheit nur in einem national einheitlichen und von allen Minderheiten gereinigten Staate garantiert. Von der Föderation behaupten sie, das Schicksal eines solchen Staates „hängt im Ernstfall an einem dünnen Faden“. Tito hingegen erkannte mit gutem Blick, daß die nationale Toleranz einem staatlichen Gemeinwesen weit förderlicher sei als die im alten Jugoslawien geübte Diskriminierung nationaler Gruppen durch das Serbentum. In Verfolgung dieses Prinzips wurde Jugoslawien in Teilstaaten zergliedert, und die „Nationale Skupschtina der Föderativrepublik Jugoslawien“ als höchste Instanz delegierte nicht unwesentliche gesetzgeberische Befugnisse an die Parlamente der Volksrepubliken Serbien, Kroatien, Slawonien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Mazedonien. Neben der gesamtstaatlichen „Regierung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien“ existieren noch sechs Regierungen der Teilrepubliken, die ebenso wie die Organe der autonomen Gebiete in gesonderten Wahlgängen bestellt werden. Dadurch sollen die nationalen Reibungen zwischen den Völkern auf ein Minimum reduziert werden. Tito versucht, den fast religiösen Kult des Nationalen durch einen übernationalen Kult seiner politischen Anschauung zu ersetzen. Was die nationale Toleranz preisgab, brachte die Intoleranz der Politik wieder in das alte Geleise, und Jugoslawien wird heute über das uniforme System der von Kommunisten beherrschten Volksfront /.entralistischer regiert als jemals in seiner Geschichte. Ihre Macht, die monopolistische Technik ihrer Propaganda und die Freiheit von Konkurrenz sollen den Staat gegen jede Gefahr einer nationalen Separation immunisieren. Tito ging sogar so weit, daß er die Institution eines Staatspräsidenten als unnötig erachtete. Er selbst bekleidet neben der militärischen Funktion des Marschalls die eines Vorsitzenden der Gesamtregierung und eines Verteidigungsministers. Trotzdem identifiziert die Propaganda seinen Namen mit Jugoslawien, dessen Schöpfer er :st Die Parole Tito, jeglicher volksmäßigen Einengung bar, wird bewußt zum Inbegriff der sozialen Revolution und der Volksdemokratie erhoben.

Es war nicht leicht, die Völker nach Territorien auch dort zu scheiden, wo sich ihre Siedlungsgebiete überschneiden. Deshalb hat Tito im Rahmen der Republik Serbien die „Autonome Provinz Wojwodina“ und den „Autonomen Kreis Kosovo-Metohija“ geschaffen. Eine ähnliche Lösung wird für die Jugoslawien zugesprochene Zone B von Julisch-Krain im Rahmen Kroatiens vorbereitet. In der Wojwodina leben heute unter 1,6 Millionen Einwohnern neben altansässigen Serben und an die Stelle von Volksdeutschen gesetzten Neusiedlern auch 350-000 Un garn, 70.000 Slowaken, 40.000 Rumänen und 25.000 Rusinen. Es lag daher nahe, an diesem außenpolitisch neuralgischen Punkte ein Exempel der nationalen Großmut zu statuieren, in der richtigen Annahme, daß ein völkerkundliches Experiment in der „Retorte Wojwodina“ die in nationalen Fragen äußerst empfindlichen Nachbarn Ungarn und Rumänien beeindrucken müßte. In dem 150 Köpfe starken Parlament und in der Regierung von Neusatz sind alle Völker proportional vertreten, und der Industrieminister, ein Ungar, versichert dem ausländischen Besucher, „daß wir Ungarn in den vergangenen zwei Jahren uns von der Absicht des neuen Regimes überzeugten, kein Volk zu unterdrücken“ Die Ungarn verfügen über ihre eigenen Schulen, und letzthin wurde in Sombor sogar eine ungarische Volkshochschule mit 40 Lehrkräften eröffnet. Sie unterliegen in dem Gebrauch ihrer Muttersprache keinen Beschränkungen, und heute noch kann man auf den Mauern den Wahlruf lesen: „Eljendemokratica Jugo-slavia“. Der Sprecher der slowakischen Minorität unterstreicht besonders, daß der slowakische Kulturbund „Matice“ heute 5600 gegen früher nur 650 Mitglieder zählt. Die slowakischen Volksschulen würden von 5000, die Mittelschulen von 1000 Kindern besucht. Die gleiche ^Beteuerung geben die Rumänen und Rusinen ab.

Tito hat in die Wojwodina ohne Risiko ein moralisches Kapital investiert, das schon die ersten Zinsen in der Außenpolitik trägt. Der ungarische Gesandte in Belgrad, Zoltan Santo, bestätigte, daß die Ungarn in Jugoslawien eine volle Gleichberechtigung mit den anderen Völkern besäßen und im serbischen und kroatischen Parlamente sowie in den Zentralorganen vertreten sind. In Rumänien hat das sozialdemokratische Organ „Libertatea“ nach einer Betrachtung der Lage in der Wojwodina ähnlich reagiert. Außerhalb der Volksfront ist den Minoritäten jegliche Politik verboten. Sie selbst aber sind ein Mittel der Belgrader Politik nach einer Verbündung aller Donauländer geworden. Es ist sogar der Fall eingetreten, daß sich auch Ungarn des Beispiels der Wojwodina zu seinem Vorteil bedient. Die Tschechen haben sich darüber beschwert, daß die Ungarn auf der Pariser Friedenskonferenz recht erfolgreich mit dem wojwo-dinischen Vorbild gegen die Absicht der Prager Regierung operierten, mit den Sudetendeutschen auch die Ungarn der Slowakei auszusiedeln. Der Sprecher des Budapester Rundfunks sagte Ende Dezember 1946 wörtlich:

„Es ist nach den Wahlen in Jugoslawien und Rumänien, die auch Vertreter der ungarischen Minderheit in die dortigen Parlamente brachten, nur natürlich, wenn die Verhältnisse im dritten Nachbarlande und die Lage seiner ungarischen Minderheit besonders auffallen. In diesem dritten Nichbirlande haben die 600.000 Ungarn kein Anrecht auf eine Staatsbürgerschaft, ja, nach den letzten Ereignissen will man diese sogar ihrer letzten Menschernechte berauben.“

Die gleiche außenpolitische Überlegung, die Belgrad mit der Wojwodina anstellte, führte auch zur Sonderstellung des Kosovofeldes in Südserbien mit seiner ansehnlichen albanischen Minderheit. Nun wiederholt sich diese Praxis in der Zone B von Tstrien,wo viele Italiener leben. Mit anhaltender Rührigkeit schreiben die jugoslawischen Blätter, „daß die Volksbehörden von Istrien ihre größte Aufmerksamkeit dem Schulunterricht für die Kinder der italienischen Minderheit schenken“. Danach bestehen dort wieder 60 italienische und 29 gemischte kroatisch-italienische Volksschulen, ferner 18 italienische Gymnasien, nautische und technische Fachschulen- Sogar eine politische Konzession wurde den Italienern dadurch gemacht, daß sie eine „Slowenischitalienische antitaschistischt Union“ gründen durften, deren Tätigkeit sich freilich nicht von der Volksfront unterscheidet. Bei den Wahlen in die lokalen Behörden Istriens ging diese Union mit dem Schlagwort „Vogliamo la demoeratia-vo-gliamo la Jugoslavia“ („Wir bejahen die Demokratie, wir bejahen Jugoslawien“) gegen die italienischen Nationalisten vor, deren Führer einer reaktionär-faschistischen Haltung bezichtigt werden. Soeben läuft im kommunistischen Organ von Fiume „Rijecki List“ eine von den jugoslawischen Blättern unterstützte Kampagne gegen eine Reihe italienischer Geistlicher, die angeblich im Schutze der Kirche „eine lügenhafte Propaganda entfalten und die Volksbehörden istriens ebenso wie die Föderativrepublik Jugoslawien angreifen“. Selbst die Person des Bischofs von Fiume, Uto Comasso, wird darin nicht verschont und mit Genugtuung verzeichnet, „daß die meisten volksfeindlichen Priester Istrien mit der Begründung verlassen haben, in Jugoslawien sei ein Leben unmöglich“. In Istrien wiederholt sich demnach die Retortenlösung der Wojwodina zu dem Zwecke, eine Brücke zur politischen Linken in Italien zu bauen. Die Einladung an den Führer der italienischen kommunistischen Jugend, Antonio Gioletti, zu einem Besuch in Jugoslawien und seine ostentativ herzliche Aufnahme durch Marschall Tito sind das erste Vorspiel gewesen. Das in Prag so liebevoll gepflegte Wort von der allslawischen Solidarität wird in Jugoslawien nur bei einem entsprechend abgestimmten offiziellen Anlaß gebraucht, wo die diplomatische Höflichkeit es gebietet. Eine freilich vereinzelte tschechische Stimme registriert diesen Tatbestand mit folgenden Zeilen:

„Die slawische Gemeinsamkeit auf Leben und Tod ist eine romantische Legende. Sie klingt schön und poetisch entspricht aber nicht der Wirklichkeit. Die jugoslawische Außenpolitik zum Beispiel ist sehr realistisch.“

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