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Moskaus Versuch, Tito-Jugoslawien wieder in den Block der Warschauer-Pakt-Staaten zurückzuführen, scheiterte an der Wachsamkeit der Geheimpolizei, der mit der Entführung des einst in Belgien agierenden und später von Tito enttäuschten Altstalinisten Vlado Dap-cevic aus Rumänien ein großer Fang gelang. Dapcevic, dessen Bruder

Peko ein legendärer General des Partisanenkampfes im Zweiten Weltkrieg war und der derzeit als Parlamentspnäsident in Belgrad amtiert, soll außerordentlich wichtige Aussagen gemacht haben.

Daten und Namen aus dem Titofeindlichen politischen Untergrund haben die Regimeführer aufgeschreckt, und sie entschlossen sich, zwecks Abschreckung, in Kürze in verschiedenen föderativen Republiken Schauprozesse zu inszenieren. „Gerechtigkeitshalber“, und um den Schein des politischen Gleichgewichts zu wahren, sollen Tito-Gegner der verschiedensten Schattierungen gleichzeitig vor Gericht gestellt werden. So etwa königstreue serbische Cetniks, kroatische Nationalextremisten, also Ustasas, andere Nationalisten, ja sogar „Kapitalisten-Anbeter“, damit der große Bruder in Moskau nicht von einseitiger Verfolgung der „internationalen Kommunisten“ schreien kann. Moskau grollt und ist nicht untätig. In der UdSSR, in Ungarn und der CSSR sind Aktionen im Gange, die Jugoslawien spätestens nach dem Tod des Marschalls wieder in die Gruppe der Getreuen des Warschauer Paktes zurückführen sollen.

Vorerst wird der Krieg auf ideologischer und polizeilicher Basis geführt. Die Gerichte in Jugoslawien werden demnächst in Aktion treten — schweren Herzens in vielen Fällen, das ist ein offenes Geheimnis. Der Vizepräsident des Staatspräsidiums, zugleich Tito-Intimus und einflußreiches Mitglied des Parteipräsidiums, Vladimir Bakaric, führt den ideologischen Feldzug gegen die „Dogmatiker und Kominformisten“ mutig und intelligent. Er übernahm kürzlich die Leitung des neuen „Zentrums für ideologische und theoretische Studien“ in Zagreb.

Er möchte Jugoslawiens System der Arbeiterselbstverwaltung und die blockfreie Außenpolitik des Landes gegen die Moskauer Getreuen verteidigen und wagt die theoretische Konfrontation. Es ist ein gefährlicher Posten, denn niemand kann garantieren, daß es die ferngesteuerten Gegner bei theoretischen Auseinandersetzungen und Zellenbildung im Untergrund bewenden lassen.

Eine Verschärfung der Polarisation zwischen Belgrad und Moskau ist jedenfalls zu erwarten. Die Verteidiger des heutigen Jugoslawien sprechen schon jetzt von einer gefährlichen „Feindaktivität“. Viele Beobachter der jugoslawischen Szene halten es nur für eine Zeitfrage, wann die Angreifer die Geduld verlieren und in der einen oder anderen Form zu den Waffen greifen. Die russischjugoslawischen Beziehungen sind jedenfalls in einem Ausmaß eingefroren wie selten seit dem großen Bruch zwischen Tito und Stalin im Jahre 1948.

Die Verurteilung von 32 „komin-formistischen Verschwörern“ in Pec (Kosovo) und Titograd (Montenegro) war wohl als Warnschuß gedacht, zeigte aber keinen Erfolg. Es folgte die Festnahme und Aburteilung der nächsten „kominformistischen Bande“ in Tuzla (Bosnien). Angeführt wurde diese Gruppe vom Alt-Moskowiter Teufik Selimovic, der schon früher Titos Gefängnisse kennengelernt hatte.

Im August 1955 wurde die Gruppe des ehemaligen kroatischen Ministerpräsidenten Dusan Brikic festgenommen. Es wird ihm kriminelle feindliche Propaganda vorgeworfen, und er dürfte bald in einem weiteren

Antikominform-Prozeß einen prominenten Platz auf der Anklagebank einnehmen.

Von der jüngsten Verhaftungswelle, die über Serbien und die Vojvodina hinwegging, wurde in der Öffentlichkeit wenig gesprochen, aber die Zahl der Verhafteten in Kragujevac, einem Zentrum der jugoslawischen Kriegsproduktion, gibt zu denken. Titos augenblicklicher Kronprinz Edvard Kardelj hat seine Teilnahme an der 250-Jahr-Feier der sowjetischen Akademie der Wissenschaften brüsk abgesagt und fuhr zu Parteiversammlungen in bosnische Dörfer. Stane Dolenc, Sekretär des Exekutivkomitees der Partei, rief unweit der ungarischen Grenze, wo auf der anderen Seite starke russische Panzerkräfte konzentriert sind, die Jugoslawen zum Zusammenstehen bei der Verteidigung ihres Landes auf. Jugoslawiens Ministerpräsident Djemal Bijedic hielt sich hingegen während seines China-Besuches mit Beifall für die Hetztiraden der Gastgeber zurück. Trotzdem spricht Moskau von einer Provokation.

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