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Häftling 6880

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Im düsteren Gefängnis von Sremska Mitrovica lebt der Gefangene Nr. 6880. Er unterscheidet sich von den andern nur dadurch, daß er selbst einmal bestimmen konnte, wer hinter Gitter kam, galt er doch als „Kronprinz“ im Jugoslawien Titos. Die Tat, derentwegen sich seine Welt auf die Größe einer Zelle reduzierte, war ein Manuskript, das, herausgeschmuggelt, als Buch später ungeheures Aufsehen erregte. Es hieß „Die neue Klasse“.

Das Geburtsdatum des stämmigen, dunkelhaarigen Bauernsohnes ist nicht bekannt. In Montenegro, wo er zur Welt kam, hat das nie eine besondere Rolle gespielt, aber das Jahr 1914 ist es mit der größten Wahrscheinlichkeit. „Djilasiti“, ein montenegrinisches Verbum, heißt rebellieren, sich auflehnen, ein „Djilas“ ist ein Rebell, das hebt der rebellische Sohn rebellischer Vorfahren in seiner ungedruckten Autobiographie besonders hervor. Nomen est omen! Von seinen Vorfahren hat er nicht nur einen prägnanten Mutterwitz ererbt, sondern auch den in den jahrhundertelangen Kämpfen gegen die Türkenherrschaft erprobten Insurgentengeist. Man kann die wilde Poesie dieser Kämpfe, die in den serbi-

sehen Heldenliedern ihren Niederschlag gefunden haben, bei Leopold von Ranke nachlesen. Im Gymnasium von Berane hat ihn der orthodoxe Geistliche über die Bibel zu einem verschwommenen, mit urchristlichem Gedankengut seltsam verwobenen Kommunismus geführt, der erst später durch eifriges Marx-Studium erhärtet wurde. Blindlings an feste Doktrinen zu glauben, fiel ihm aber immer schwer. Die Resistance-Atmosphäre an der Belgrader Universität war für den Jusstudenten, der die Romane von Stendhal und Balzac dem Zivilrecht vorzog, der richtige Ort: Endlose Diskussionen, erhitzte Gemüter, viel schwarzer Kaffee und stets nur ein Objekt: Politik, Politik, nichts als Politik. Der Heißsporn wird Kommunist, sein Name wechselt bald aus den Universitätsmatriken in jene des Gefängnisses von Sremska Mitrovica hinüber. Zum erstenmal mit 22 Jahren. Bald ist er wieder frei. Gerade zur rechten Zeit.

L)er ideologisch gefestigte Jungkommunist kann sich bewähren. Er schleust 600 jugoslawische Kommunisten nach Spanien zur internationalen Brigade. Er selbst bleibt zu Hause.

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Bei Beginn der deutsch-jugoslawischen Feindseligkeiten am 6. April 1941 entkommt er mit knapper Not aus Belgrad und baut auf Titos Befehl den Widerstand in Montenegro auf. Noch mit den großserbischen Cetnici unter Draga Mihailowitsch. Da Djilas' militärisches Erbe überaus dürftig ist, gelang-, es ihm,.,nur„ir.die,t Italiener an die.Küste.rZu,werfen, gegen, .die Peiff sehen focht er glücklos. Trotz verlustreicher Rückzüge trägt er dann die Generalsstreifen. Die persönliche Schneid, Bedürfnislosigkeit und die von keinerlei völkerrechtlichen Skrupeln geplagte Gesinnungstreue (er rühmte sich, keine Gefangenen zu machen) machten auf Tito Eindruck. Im Hauptquartier konnte man aber die grundsätzlich oppositionelle Wesensart des Montenegriners nicht leiden. Dem Marschall widersprach der streng patriarchalisch erzogene Djilas nie, er besaß dessen Ohr, nützte aber seinen Einfluß auf ihn nie persönlich aus. Kar-deljs, des späteren Außenministers, Animosität datiert seit jenem, wie wir heute wissen, sensationellen, von Djilas befürworteten Bündnisangebot Titos an Hitler, dem sich der Slowene Kardelj widersetzt hatte. Bekanntlich tauchte im Sommer 1943 der jugoslawische General Velebit (Sohn eines k. u. k. Offiziers) mit falschem Paß

bei General Glaise-Horstenau in Agram auf, um im Auftrag Titos wegen eines Bündnisses zu sondieren. Glaise, der ehemalige Chef des Wiener Kriegsarchives, nun deutscher General, benachrichtigte sofort Hitler unter Umgehung Ribbentrops und Kaltenbrunners. Hitler, die Chance nicht erkennend oder absichtlich ignorierend, telegraphierte pathetisch: Mit Rebellen wird nicht verhandelt, Rebellen werden erschossen.

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Im Frühjahr 1944 organisiert Djilas in Moskau die Zusammenarbeit der Roten Armee mit den jugoslawischen Partisanen. Selbst im Kreml sucht er das Streitgespräch. Als Stalin die roten Sterne auf den Mützen der Partisanen als nicht am Platze findet, kontert Djilas, ob er denn statt ihrer lieber die königliche Kokarde sähe. Damals Stalin zu widersprechen, bedeutete immerhin Courage, deren sich die Sowjetführer erst nach seinem Tode so sehr befleißigen. Auf den 1948 erfolgten Bruch mit Moskau hat Djilas, den in allen Handlungen Russophobie leitet, in Wort und Schrift hingearbeitet. Damals witzelte er: Stalin und das Zentralkomitee sind eine Gruppe verirrter und verwirrter Ideologen. Hätte er das nicht auch von sich selbst sagen können? Es kommt zu immer neuen antirussischen Gefühlseruptionen. Bei einem Empfang sagte er, so laut, daß die Umstehenden es hörten, zu dem russischen General Kornejew, die Belgrader seien von den Russen um 50.000 Uhren befreit worden. Schdanow fragte er allen Ernstes, ob er denn Jugoslawien mit der „fragwürdigen“ russischen Literatur überschwemmen wolle? Peinlich verlief ein Rekontre mit dem amerikanischen Journalisten Schlesinger, bei dem der Marschall, dem Djilas ebenso lieb war wie die amerikanische Unterstützung, schlichtend dazwischentrat, .bezeichnend war die Art, mit der sich Djilas an, dem schon .zu Lebzeiten fast legendären Altkommunisten Georgij Dimitroff wegen dessen Nachgeben gegenüber Stalin rächte. In einem Artikel unterschob er diesem, er habe sich gelegentlich einer Zusammenkunft (es war jene im Zugsabteil während Dimitroffs Prager Reise) in bitteren, ja abfälligen Worten über Stalin beklagt. Ein kümmerliches Garn, aber so gesponnen, daß der alte Kämpfer darüber strauchelte. Weitere Artikel, die in der parteioffiziellen „Borba“ erschienen, enthielten statistisch untermauerte Vorwürfe gegen Rußland, es habe Jugoslawien nichts weniger als schamlos exploitiert.

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Seit 1949 stiegen in Djilas' Insurgentenseele Zweifel über die Hieb- und Stichfestigkeit der kommunistischen Lehre auf, die durch scheinbare Nebensächlichkeiten verstärkt wurden, wie etwa durch die Bewirtung, die ihm 1950 bei

einem Besuch im heimatlichen Montenegro zuteil wurde, dabei er schlechtes Brot vorgesetzt bekam und der Gastgeber gegen die katastrophale Wirtschaftspolitik zu wettern begann. „Haben wir das Recht, jahrtausendealte Dogmen zu verneinen, bloß weil es Marx propagiert?“ fragt er einen Freund in Mostar. Nichts wäre falscher, als auf religiöse Gefühle zu schließen. Er war allezeit Atheist, Religion ist ein Anachronismus, pflegte er zu sagen, aber es gebe so viele Anachronismen, daß einer mehr oder weniger irrelevant sei. 1952 besuchte er Eng- . land, 1953 Indien. Der Zurückgekehrte wirkte nervöser, gereizter. Alles sah er durch geschärfte Linsen. Wenn ein Montenegriner gereizt ist, heißt es in einem Sprichwort, so macht er Dummheiten. Sie ließen nicht auf sich warten. Seine herbe Kritik eckte allenthalben an In diese Zeit fiel auch seine Scheidung von der Alt-partisanin Dr. phil. Mitro Mitrovic. die er während des Krieges geheiratet hatte. Gerüchte, sie, die außergewöhnlich intelligent war. habe seine Artikel verfaßt, ärgerten Djilas, aber erst die Affäre des Generals Dapcevic brachte den Stein ins Rollen.

Der 1953 an Stelle Kotscha Popowitschls als Armee-Generalstabschef eingesetzte Peko Dapcevic, ehemaliger Kommandant des 1. proletarischen Armeekorps, mit dem er am 20. Oktober 1944 in Belgrad eingedrungen war, hatte die bildschöne 21jährige Schauspielerin Milena Wrajakowa geheiratet. Sie besaß nur einen Vorzug nicht, der zur eisernen Renommier-Ration aller jugoslawischen Spitzenfunktionäre, gleich welchen Geschlechts, gehört: sie war keine alte Partisanin. Deshalb wurde sie von der neuen Schichte geschnitten. Djilas stellte sich nicht nur •vor die Frau des nur um ein Jahr jüngeren, ebenfalls aus Montenegro stammenden Generals, sondern' begann ' die Hietarchen-SchonuSgÖftf“' rücksichtslos auszuforsten Der in der Zeitung Wladimir Dedijers „Nova Misoa“ erschienene Artikel „Die Anatomie der Moral“ lotete die Abgründe aus, in die eben die neue Funktionärs-s'chicht gesunken war. Ihren — da ihnen noch allenthalben die proletarischen Eierschalen anhafteten — pseudobourgeoisen Lebensstil rückte Djilas unerbittlich vor die kritische Sonde seines Intellekts. Eine Welle der Sympathie schlug ihm entgegen. Aber diese peinliche Bloßstellung blieb nicht ungestraft. Nachdem Djilas noch am 28. Dezember einstimmig zum Präsidenten des Bundesparlaments gewählt worden war, wurde er am 17. Jänner coram publico abgehalftert. Die offizielle Anschuldigung hieß nach altem Rezept: Abweichen von der Parteilinie.

Die entscheidende Zentralkomiteesitzung fand öffentlich statt und wurde durch den Rundfunk übertragen. Tito hatte, schon mit Rücksicht auf die USA, deren Wirtschaftshilfe er nicht entbehren konnte, ausdrücklich befohlen, daß der Fall Djilas nicht nach althergebrachter Weise erledigt werde. Aber massive Drohungen, wie Sippenhaft und endlose Verhöre, zwangen Djilas in die Knie. Er bekannte sich schuldig und bat um Milde. Als einziger nahm Dedijer. der lahr-gangskamerad und Studienfreund, bekannt als Verfasser einer autorisierten Biographie Titos, für ihn Stellung. Diese Parteinahme war später für Dedijer von bösen Folgen. Der Umfall des „Nationalhelden“ war für viele eine arge Enttäuschung, denn auf ihn hatte man doch einige Hoffnung gesetzt und mit unverhohlener Schadenfreude gierig nach seinen Artikeln gegriffen. Er ging aller Aemter verlustig und vertauschte sein Luxusappartement mit einer Kleinwohnung in der Belgrader Palmoticgasse 20. Vor drückender Not bewahrte ihn eine monatliche Pension von 20.000 Dinar. Sein Rebellengeist war indes-nicht gebrochen. Er gewährte bald darauf, um die Scharte auszuwetzen, einem amerikanischen Journalisten ein Interview, worauf er allerdings später die Kleinwohnung mit einer Zelle zu vertauschen gezwungen wurde. Auch im Gefängnis regte sich sein Widerspruchseeist, der in einem umfangreichen Manuskript seinen Niederschlag fand. Es wurde herausgeschmuggelt und landete in den USA. Als sein Verleger, mit Rücksicht auf ihn, die Herausgabe verschieben wollte, bestand Djilas, ungeachtet der daraus für ihn erwachsenden Folgen, auf sofortige Publikation. Sieben Jahre Gefängnis war der Preis, den Djilas im düsteren Gefängnis von Sremska Mitrovica zu zahlen bereit war.

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