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Freier Mann

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Nach den Wahlen in Slowe- nien wird die Dynamik des Demokratisierungsprozesses in Jugoslawien wahrscheinlich noch zunehmen. Damit verbun- den findet auch eine Art Ver- gangenheitsbewältigung statt: Nicht nur das Tabu Tito wird in der öffentlichen Diskussion mit erstaunlicher Direktheit ange- gangen - auch Milovan Djilas, der Alt-Dissident, wird reha- bilitiert.

So brachte die Belgrader Zeitung „Borba" jüngst eine Reihe von Beiträgen des einsti- gen Tito-Mitkämpfers, die Dji- las Ende 1953 in eben dieser „Borba" veröffentlicht hatte und die ihn in Konflikt mit der von ihm so prägnant charakte- risierten „Neuen Klasse" brachten. Damals war die „Borba" das Zentralorgan des „ Bundes jugoslawischer Kom- munisten". Heute gibt es die- sen Bund praktisch nicht mehr - seit dem demonstrativen Exodus der slowenischen Frak- tion im Jänner dieses Jahres. Und die „Borba" versucht sich als „unabhängiges" Blatt und würde auch Auslandskapital nicht scheuen, um diese Linie fortsetzen zu können.

Die Djilas-Schriften von damals wirken auch heute noch erstaunlich aktuell: Es ging ihm um guten Willen und Mensch- lichkeit gegen den Druck eines dogmatischen Denkens. „Wozu rationalisieren wir die Wirt- schaft ", so fragte Djilas, „wenn die einfachen Menschen ihre gegenseitigen Beziehungen nicht frei gestalten können?"

Erforderte einen grundlegen- den Wandel des Lebens und setzte sich dem Verdacht aus, ein unpraktischer Träumer zu sein, weil er kein konkretes Programm entwickelte, son- dern eher moralische Forderun- gen aufstellte.

Damals schrieb Milovan Dji- las zum Beispiel: „Es gibt kei- ne Alternative als mehr Demo- kratie, freiere Diskussion, frei- ere Wahlen in die Organe der Gesellschaft, des Staates und der Wirtschaft und größere Achtung vor dem Recht."

Nur in einer freien Gesell- schaft könnten neue und un- verbrauchte Gedanken entste- hen, die den neuen Bedürfnis- sen und Problemen angemes- senseien, meinte der zum Par- lämentspräsidenten aufgestie- gene ehemalige Partisan.

Und solche Gedanken brach- ten ihn damals ins Gefängnis. Von einer „ Scheinaristokratie " schrieb Djilas, von einer „an- geblichen Allwissenheit" und von einer „dogmatischen Hal- tung. .. die alle ethischen Werte zersetzte."

Der Kommunist Djilas er- klärte sich zum „freien Mann" und wanderte hinter Gitter, wo er, wie er später bekannte, das Wesen der Freiheit kennenlern- te. Eine Wahrheit könne als sol- che nur bestehen, wenn sie sich weiterentwickle, meinte Djilas, sonst werde sie zum toten Dogma.

Jetzt beginnen sich die Wahr- heiten durchzusetzen, für die er ins Gefängnis ging.

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