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„Glaube an keinen Krieg"

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FURCHE: Herr Djilas, Sie beschreiben in Ihrem Buch .Jahre der Macht" die Technik der Machtergreifung und die Etablierung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung in einer jugoslawischen Gesellschaft, die durchaus nicht kommunistisch war. Haben Methoden und Praktiken, die vor rund 40 Jahren angewandt wurden, heute noch Gültigkeit?

MILOVAN DJILAS: Im weiteren Sinne ja, auch wenn sie an die gegebene Situation angepaßt werden müssen. Die Methoden zur kommunistischen Machtergreifung sind überall gleich. Also über das Einparteiensystem zur totalen Kontrolle der Ideen, der Politik, der Wirtschaft, der Kultur, der Gesellschaft und aller anderen Lebensbereiche.

Uberall dort, wo die Kommunistische Partei die führende Rolle beansprucht, ist das Ergebnis das gleiche. Nehmen wir zum Beispiel Nikaragua: Es hat einem politischen Pluralismus zugestimmt, aber es geht den Weg Kubas. Elemente eines politischen Pluralismus gab es auch in Jugoslawien noch 1946. In anderen Teilen Osteuropas, etwa in der Tschechoslowakei, war er noch ausgeprägter — bis 1948 ...

FURCHE: In Ihrem vorliegenden Buch zeigen Sie Tito als einen Politiker und Menschen mit Fehlern. Mit dem Bild Titos, ja dem Kult, der in Jugoslawien gepflegt wird, ist Ihre Darstellung kaum vereinbar. Ist das etwa ein Grund, weshalb Ihre Bücher in Jugoslawien verboten sind?

DJILAS: Beim Schreiben meiner Bücher kam mir weder in den Sinn, noch hatte ich die Absicht, Tito zu entmystifizieren, noch ihn zu glorifizieren. Ich habe ihn einfach auf die Erde gestellt und ihn so beschrieben, wie ich ihn gesehen habe. Ich glaube, daß Tito dadurch sogar gewinnt. Ich hasse ihn nicht. Ich vergöttere ihn aber auch nicht. Auch wenn ich Grund zur Klage genug hätte, wie sich Tito mir gegenüber verhalten hat! Meine Bücher werden sicher dazu beitragen, ein wahres Bild von Tito zu gewinnen.

FURCHE: Sie beleuchten das Verhältnis Belgrads zu den Nachbarn Bulgarien, Albanien und Griechenland. Jugoslawien hat seine Grenzen gegenüber Italien weit vorgeschoben. Es hat auch seine Westgrenze gegenüber Österreich verschieben wollen und Teile Kärntens besetzt. Darüber sagen Sie in Ihren Memoiren nichts. Wie war eigentlich die Haltung des engsten Führungskreises um Tito gegenüber Österreich?

DJILAS: Wir sind mit Truppen in Österreich eingefallen, auch wenn wir wußten, daß wir nicht lange bleiben konnten. Es war ein Versuch. Wir wußten, daß die Alliierten auf die Wiederherstellung Österreichs in seinen Vorkriegsgrenzen bestanden, also vor dem Anschluß. Ich weiß im einzelnen nicht, wer von den Alliierten auf uns Druck ausgeübt hat, aber ich bin sicher, daß alle vier alliierten Mächte auf unseren Rückzug aus Österreich bestanden haben.

Österreich ist von uns nicht als feindliches Land angesehen worden, im Gegensatz zu Italien. Das war ein Okkupator, gegen den gekämpft wurde. Unsere Ansprüche auf Istrien und Küstengebiete Sloweniens waren auch ethnisch gerechtfertigt. Aus Triest allerdings haben uns die Alliierten unter Androhung militärischer Gewalt vertrieben. Auch die Sowjetunion hat uns ihre Unterstützung entzogen. Stalin teilte uns damals in einem Brief mit, daß die Sowjetunion nach einem so langen Krieg nur wegen einer Stadt nicht wieder Krieg führen könnte.

FURCHE: Kann der Bruch zwischen Tito und Stalin als der Anfang vom Ende des sowjetischkommunistischen Monolithismus und somit als Beginn einer pluralistischen Entwicklung im Kommunismus angesehen werden?

DJILAS: Mit Sicherheit. Der Bruch Jugoslawiens mit der Sowjetunion ist eines der bedeutendsten Ereignisse nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere wegen der Zerschlagung der dogmatischen Einheit und des Monolithismus. Der Bruch hat die wahre Natur des sowjetischen Systems entlarvt. Daß ich in die Häresie gegangen bin, ist mit eine Folge dieses Ereignisses.

FURCHE: In Ihren Memoiren vergleichen Sie das Konzentrationslager „Goli otok", wo prosowjetische Elemente interniert worden waren, mit dem sowjetischen Archipel Gulag". Können kommunistische Staaten ohne solche Einrichtungen" eigentlich nicht auskommen?

DJILAS: Heute ja, damals nicht. Ausnahmslos alle osteuropäischen Staaten haben solche Lager unterhalten. Ohne Verfolgung des politischen Gegners konnte nicht ein einziges kommunistisches Land überleben. „Goli otok" war in mancher Hinsicht besser als sowjetische Lager, in mancher Hinsicht schlechter. In „Goli otok" gab es keine Liquidierungen, jedenfalls nicht in nennenswerter Zahl, während solche in sowjetischen Lagern massenhaft durchgeführt wurden. Die Methoden des psychisch-intellektuellen Drucks waren in Goli otok hingegen unglaublich raffiniert. Ich glaube bedeutend raffinierter als in der Sowjetunion.

FURCHE: Sie schildern Ihre innere Entfremdung vom Kommunismus und behaupten, daß auch Ihre enttäuschten Hoffnungen auf eine Demokratisierung und Liberalisierung der Partei beziehungsweise des Regimes Sie zum Bruch veranlaßt haben. Wie steht es eigentlich heute um diese Werte im Kommunismus in Jugoslawien?

DJILAS: Jugoslawien ist heute sicherlich etwas liberaler, als in der Periode die ich beschreibe. Die Liberalisierung ist von Teilrepublik zu Teilrepublik verschieden. In Bosnien hat sich nur sehr wenig verändert, während sich die Lage in Serbien und Belgrad und in Slowenien dank besonderer Umstände spürbar verändert hat. Die Veränderungen sind eine Folge der Aktivitäten der Gesellschaft, die nach mehr Freiraum drängt, gefördert durch die Beziehungen zum Ausland, durch den Handel, durch den Tourismus und Auslandsreisen, weniger als Folge einer gezielten Politik.

FURCHE: Der Staat, für den Sie gekämpft und den Sie mitbegründet haben, hat Sie für zehn Jahre ins Gefängnis gesteckt. Wie stehen Sie heute, als letzter Uberlebender aus dem engsten Führungskreis Titos, zu diesem Staat?

DJILAS: Ich muß Sie korrigieren, nur neun Jahre. Bei meinem Alter (72) fällt dies schon ins Gewicht. Ich stehe auch heute in Opposition zu diesem Regime und stimme in keiner Frage mit diesem überein. Ausgenommen in der Verteidigung der Unabhängigkeit Jugoslawiens, auch wenn ich die Effektivität ihrer Mittel und Methoden anzweifle. Ich bin überzeugt, Jugoslawien muß von Grund auf reformiert werden, in allen Lebensbereichen ...

FURCHE: In demokratischwestlichem Sinn oder in dogmatischem Sinn?

DJILAS: In demokratisch westlicher Weise. Jugoslawien wird auseinanderbrechen, wenn es nicht einen demokratischen Weg einschlägt!

FURCHE: Beim Lesen Ihrer .Jahre der Macht" drängen sich beängstigend aktuelle Parallelen zur Gegenwart auf — so das Kriegsgerassel der Großmächte, die Organisierung von Massendemonstrationen für Frieden, wie ihn bestimmte Kreise anstreben. Wie beurteilen Sie die Chancen einer Einigung der Supermächte in der entscheidenden Frage der Raketen, wie beurteilen Sie die Chancen für den Frieden?

DJILAS: Ich glaube in unmittelbarer Zukunft an keinen Krieg. Die Kriegsgefahr nimmt ab, je stärker der Westen wird. Falls der Westen aber dermaßen demobilisieren sollte, wie noch vor einigen Jahren und weiterhin den sowjetischen Expansionismus leichtfertig hinnimmt, dann könnte ein Krieg sehr schnell ausbrechen. Raketen haben aufgestellt werden müssen, um das Gleichgewicht herzustellen, das die Sowjetunion verändert hat. Der Westen ist zu einer langen Periode der Stärke und Abwehr der Sowjetunion genötigt.

FURCHE: Sie betonen die Notwendigkeit des Gleichgewichtes. Sehen Sie keine Chancen für Veränderungen in der Sowjetunion?

DJILAS: Auf lange Sicht ja, bei langsamer Auflösung und Zerfall des sowjetischen Imperiums; unter der Voraussetzung, daß der sowjetische Expansionismus gestoppt wird, der eine Konsequenz des Erstarkens der sowjetischen Oligarchie und der Bürokratie ist.

FURCHE: Bereiten Sie weitere Bücher vor?

DJILAS: Ich habe ein kleines Buch fertig, in dem ich die Bedeutung und den Wert von Ideen untersuche. Es betont die Notwendigkeit von Ideen und Glauben an den Menschen und die Welt. Dem Westen halte ich vor, daß der Verlust des Glaubens an eigene Werte letztlich zu ihrem Verlust führt. Die Entideologisierung, die Negierung von Ideen, der Skeptizismus — sie ähneln einem Relativismus, was im Westen zu einer ihn selbst bedrohenden Philosophie entarten könnte.

Das Gespräch mit Milovan Djilas führte der Belgrader FURCHE-Mitarbeiter Gustav Chalupa.

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