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Aus dem Froschteich heraus

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Es ist nur wenigen bekannt, daß im kommunistischen Jugoslawien einige: Leute,, die: sieh-, JRWtofiPBhen nennen, .am Werk sind, und in den letzten paar Jahren eine fruchtbare Tätigkeit entfaltet haben. Ihr Bestreben gilt ehrlichem Suchen neuer Formen und Möglichkeiten. Organisiert in ihren sogenannten Vereinigungen in den einzelnen Republiken (kroatische, serbische usw.) spielen sie eine nicht zu untersohätzende Rolle in der gesamten geistigen Entwicklung in Jugoslawien, die man freie Evolution bezeichnen kann.

Vor etwa acht Jahren bewegten sich die südslawischen Philosophen in dem Froschteich der marxistischen Zitatologie, und ihre langweiligen Schriften hat, außer der Kreis um die „antisozialistische Konterbande“, kaum jemand sonst gelesen. Damals waren nur junge Schriftsteller und Dichter diejenigen, die dem allmächtigen kommunistischen Staatsapparat den Rücken kehrten. Heute sieht das schon anders aus. Die „jungen“ Philosophen haben sich anscheinend von ihrem bisherigen ängstlichen und scheuen Gestammel befreit und in den letzten paar Jahren ganz neue und außerordentliche Gedankengänge entwickelt, die nicht mehr auf einen gemeinsamen marxistischen Nenner zu bringen sind. Man kann wohl mit Genugtuung sagen, daß die geistige Nachkriegsagonie in Jugoslawien überwunden ist und daß die sterile marxistische Ausschließlichkeit für immer den Boden unter den Füßen verloren hat.

Die junge Generation, die den zweiten Weltkrieg nicht bewußt mitgemacht hat, sie war im Kindesalter, kann die revolutionären Ideen „der Väter“ nicht ganz ver-

stehen, da diese Prinzipien und Ideen nicht die ihrigen sind. So kommen von den Angehörigen dieser Generation „subversive Ideen“ immer mehr ans Licht. Manche Dichter, Kritiker und Philosophen entwickeln in ihren Schriften eine geschickte Taktik. So kommt es auch hier vor, daß man in einem Artikel Begriffe wie Marxismus und dialektischer Materialismus lobt und gleichzeitig ganz entgegengesetzte Prinzipien und Argumente vorbringt, was der schon gut geübte Leser in Verbindung sehr wohl versteht.

Diese erfreuliche Haltung wird leider auch noah immer bekämpft. 4H,ch die neue jugoslawische, Verfassung, die sonst, so yiel über Menschenrechte und Freiheit des Gewissens redet, nennt ausdrücklich den Kommunismus und Sozialismus die einzig tragenden Ideen im Staate.

Aber wie schaut es mit dem geistigen Habitus dieser Kommunisten wirklich aus? Von dem kommunistisch-ideologischen Standpunkt aus gesehen äußerst schlecht. Darüber kann man viel in ihrem in Belgrad erscheinenden Organ „Kommunist“ lesen. a

Aufstieg aus den Katakomben

Der Umbruch des Denkens aber, von dem der Autor der „neuen Klasse“, Milovan Djilas, sprach und der heute die meisten schöpferischen Geister in Jugoslawien erregt, dieser „neue“ Tenor in den jugoslawischen literarischen und philosophischen Zeitschriften, eröffnet immerhin ganz neue Aspekte für die Zukunft. In den letzten Jahren wurde wiederholt die Auffassung vertreten, daß sich die Philosophie unabhängig und frei von dem staatlichen und politischen System entfalten solle. Damit ist auch den seit 1945 zum völligen Schweigen verurteilten christlichen Kräften ein gewaltiger Ansporn gegeben worden. Christliche Philosophie und Literatur haben in Kroatien eine alte Tradition. Die durch hohe Bildung ausgezeichnete kroatische katholische Intelligenz ist zwar zum Großteil nach dem Krieg durch den kommunistischen Terror umgekommen, der Funke aus der Tradition aber ist geblieben und zuckt auf die neue Generation über.

Der Schriftsteller Miroslav

Krleza, einer der wichtigsten Vertreter des Marxismus im Zwischenkriegsjugoslawien, erklärte offen (1960), „daß es auch im Sozialismus nicht dasselbe ist, arm oder reich zu sein“, und (1961) „daß die Geschichte keine Bürde für den Sieg des Sozialismus ist, oder, was noch gefährlicher ist für den Sieg der internationalen kommunistischen Revolution“. Der Marxist Max Bace wieder erklärte, daß die anderen philosophischen Richtungen aktueller seien als der Marxismus, da sie dem täglichen Leben näher stünden.

Mit solchen und ähnlichen charakteristischen Zitaten könnte man fortfahren, doch schon die obigen knappen Zitate geben die neue Atmosphäre . im geistigen Leben Jugoslawiens wieder.

Wellenschlag aus Symposien

Zu dem Prozeß der Wiederbelebung des philosophischen Denkens in den südslawischen Ländern gehören auch die sogenannten „Symposien der Philosophen“, die in den letzten Jahren in den Städten Skoplje, Belgrad, Zagreb u. a. stattgefunden haben. Besonders aufschlußreich war die letzte philosophische Diskussion in Dubrovnik (19. bis 23. Juni 1963), die den Titel „Der Mensch heute“ trug, ein Ereignis, das Iring Fetscheer in der „Stuttgarter Zeitung“ als Beginn eines großen Dialoges zwischen Marxisten und Nichtmarxisten be- zeichnete. In jugoslawischen Blättern sprach man hach diesem Ereignis von moralischer Ermutigung,’ von neuem Aufwachen des Geistes.

Es ist zu hoffen, daß diese Gipfelpunkte der schöpferischen Leistungen und Begegnungen der verschiedenen Weltanschauungen wirklich eine Voraussetzung sind für jene Entwicklung, in der die Nachahmung langweiliger und trockener Wiederholungen fremder Ansichten und des Marxismus aufhören werden. Das ist zwar schon heute der Fall, doch überwiegt derzeit noch die ästhetische Komponente, während die politische vorläufig noch im Hintergrund bleiben muß. Es ist weiter zu hoffen, daß sich diese vielseitigen jungen Talente, die oft auch die Beziehungen zur Kirche suchen, in Zukunft noch freier entfalten können. Die große poetische Revolution in Jugo l3W-ien.,,rtr druck’ ‘der in der Presse immer wieder zum Vorschein kommt, hat jedenfalls schon jetzt die junge Generation stark beeinflußt.

Abrechnung!

An marxistisch-philosophischen Autoren mangelt es wohl nicht, doch ihre Werke werden nur von den Eingeweihten gelesen. Es hat sich noch niemand einen internationalen Namen gemacht (zum Unterschied von dem jungen Polen Kolakovski). Hier könnte man Milovan Djilas erwähnen, doch ist Djilas vielleicht mehr Dichter und Kritiker mit starken philosophischen Akzenten als reiner Philosoph, wie schon richtig festgestellt worden ist. Von der neuen heimischen philosophischen Literatur wären unter anderem zwei Bücher zu nennen: „Die Einführung in die Ethik“ von Vuk Pavicevic (Belgrad) und „Die dialektische Theorie der Bedeutung“ von Mihailo Markovic (Belgrad

1961). Der Schwerpunkt dieser Werke liegt auf der Abrechnung mit dem kommunistischen Konformismus. Es sind auch zahlreiche Werke ins Serbokroatische übersetzt worden, so Hegels „Phänomenologie des Geistes“ und Blocks „Objekt-

Subjekt“. Die Übersetzung solcher Literatur stößt auf ungeheure Schwierigkeiten, da die . serbische beziehungsweise kroatische Sprache nicht alle philosophischen Fachausdrücke wiedergeben kann.

In ganzen verspricht diese Aktivität der Geister in Südslawien viel und weist in die Zukunft.

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