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Das gedruckte Wort im Angriff

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Anläßlich seiner Ernennung zum Ehrenmitglied der jugoslawischen Akademie für Kunst und Wissenschaft rügte Marschall Josip Broz-Tito an der achtzigjährigen Vergangenheit dieses Instituts die Ignorierung des Marxismus. „Und warum hatte die Akademie im einstigen Österreich und im alten Jugoslawien keine Möglichkeit, sich mit dem Marxismus zu befassen? Weil es ihr nicht erlaubt war, die soziale Entwicklung wissenschaftlich zu betrachten, zumal deren einzige Richtschnur die marxistische Lehre und diese wiederum eine revolutionäre ist, welche die alte soziale Verfassung bedrohte.“ Den kategorischen Ausspruch Titos quittierte der Präsident der Akademie, Dr. Andrija Stam- par, nach einem Lob der staatsmännischen Leistung des Marschalls mit der Anerkennung des Kommunismus als der exklusiven Basis jeder Forschung. „Die kommunistische Partei Jugoslawiens stützt ihre Politik auf die wissenschaftlichen Prinzipien des historischen Materialismus, weshalb auch unsere jugoslawischen politischen Thesen jeder wissenschaftlichen Prüfung standhalten, denn sie sind ebensogut materialistisch wie dialektisch begründet. Am Beginn des neunten Dezenniums ihres Bestandes übernimmt die Akademie diese Thesen."

Dieser Vorsatz einer namhaften kulturellen Einrichtung des Balkans ist ohne Zweifel dem Kommunismus in höchstem Maße dienlich, denn er ist der Schlußstein in dem Gebäude ihrer ideologischen Konstruktionen in einem Lande, wo noch Millionen erwachsener Menschen des Lesens und Schreibens unkundig sind. Mit dem gleichen hastigen Eifer, den sie für die Gewinnung der gebildeten Schichten aufwenden, sind die Kulturaktivisten der Nationalen Front, der Jugendorganisationen und der Armee im Begriffe, das größte Hindernis auf dem Wege zur restlosen Durchdringung des Volkes mit ihren Ideen, das 'weitverbreitete Analphabetentum fortzuräumen. Wenn dann die Propaganda des gesprochenen Wortes durch die viel eindrucksvollere Propaganda der Shrift ergänzt wird, kann das Regime seine Pläne für die Errihtung des kommunistischen Staates auf dem Hintergrund des leninistish-marxistishen Ideenkreises auf gutem Wege glauben. Was die Akademie für Kunst und Wissenshaft in der jugoslawischen Intelligenz bedeutet, das sind für die breiten Massen die zahlreichen staatlichen und vom Staate kontrollierten Buchverlage, die shon das Kind durh die Fibel in die Ideologie des Regimes einfūhren.

Wie alle anderen Unternehmungen sind auh die Buhverlage Jugoslawiens nah ihrer Bedeutung als gesamtstaatlihe oder , als republikanische Betriebe gegründet, diese mit einer auf die Teilrepublik des Föderativstaates begrenzten Tätigkeit. Daneben existieren noh die Verlage der Gemeinden, der Kirhen und der nationalen Minderheiten. Zwei Hauptaufgaben haben sie zu lösen, nämlih die zahllosen im ganzen Lande aufzubauenden Bühereien mit Schriften zu versorgen und den Schulen Lehrbücher zu liefern. Mit diesen Aufgaben wurden die verläßlichsten Publizisten und Pädagogen betraut, um den literarischen, politisch-ideologischen, erzieherischen und fachlichen Stoff von allen nihtmarxistishen Partikelhen zu säubern und den östlichen Doktrinen ir der erst jungen Buhproduktion des Balkans freien Lauf zu gewähren. Die Millionenauflagen an Bühem und Broshüren nur eines einzigen Jahres lassen erkennen, daß ein geistiger Einbruch des Ostens nah Europa erfolgt, dessen elementare Wuht und Breite noh gar niht abzusehen ist.

Die Generallinie für die Buhproduktion gibt d er zu einem Mammutbetrieb angewachsene staatliche Zentralverlag „Kultur a“ in Belgrad mit seiner Agramer Filiale an, der sih die Ausgabe der Standardwerke vorbehält und die Pflege des regionalen Schrifttums und die Herstellung der Lehrbücher den Unternehmen der einzelnen Republiken überläßt. Die Gesamtauflage der im Vorjahr von der „Kultura“ verlegten Büdier und Shriften wird mit 3 Millionen Exemplaren angegeben. Die bedeutendste Arbeit ist die Gründung einer „Bibliothek des marxistischen Leninismus" mit bisher 15 Bänden in einer für Jugoslawien unerhört hohen Auflage von je 100.000 Exemplaren. Sie enthält den ersten Band des „Kapitals“ und den „Bürgerkrieg in Frankreih" von Karl Marx, das kommunistische Manifest von Marx und Engels, „Ludwig Feuerbach und das Ende der klassishen deutschen Philosophie“ von Engels, „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ von Lenin, der in dieser Reihe auh mit seinem Werke „Staat und Revolution" vertreten ist. Von Stalin erscheinen „Fragen des Leninismus“, „Marxismus und nationale Kolonialfrage", „Uber den großen Vaterländischen Krieg der

Sowjetunion . Dazu kamen eine Biographie

Stalins und eine Ergänzung der Reihe in der Form von sechs Broshüren heraus. Einer gleih stürmischen Nahfrage erfreuten sih die Memoiren des Marshalls Josip Broz-Tito „Kampf um die Befreiung Jugoslawiens“, von denen in Kürze zwei weitere Bände „Der Aufbau des neuen Jugoslawiens" erscheinen werden. Der Vizeministerpräsident Kardelj verlegte hier seine als jugoslawisher Delegierter auf der Pariser Friedenskonferenz 1947 gehaltenen Reden, der bulgarische Ministerpräsiden Georgi Dimitrov sheint mit einer Ausgabe seiner „Reden, Erklärungen und Aufsätze“ auf. Eine volkstümliche politische Aufklärungsreihe brahte die Rede von Shdanov über „Die internationale Situation“, eine Übersetzung aus dem Russishen über die „Entstehung der bolshewistishen Partei“, eine Abhandlung von Kardelj „Kampf der KP für ein neues Jugoslawien“ und sozialistische Wirtshaftsthemen. Auh die schöngeistige Literatur bevorzugt das östlihe Sujet, indem die „Kultura“ anläßlich des 10. Todestages Maxim Gorkis 1947 die ersten vier Bände einer Gesamtausgabe seiner Werke lief :te und in einer „Bibliothek der Weltklassiker“ vorerst nur Dickens als Vertreter des Westens neben die Russen Pushkin, Tschechow und Ishemisow stellte. Außerdem startete der Verlag noh eine gesonderte „Bibliothek der sowjetischen Schriftsteller“ mit Namen wie Sholohov, Fadejev, Makarenko (dessen „Pädagogische Lieder“ einen Riesenerfolg von 30.000 Exemplaren erzielten). Eine erst in den Anfängen steckende „Bibliothek großer Männer und ihr Werk“ plant Biographien von Dihtern, Philosophen, Malern, eine Jugendserie brahte bisher Erzählungen und einen Sammelband „Von unseren Heroen“ heraus.

In seiner ideologischen Bedeutung steht der ebenfalls gesamtstaatliche Verlag der jugoslawischen Einheitsjugendbewegung, der den Namen „N o v o P o k o 1 j e n j e" (Neues Geshleht) führt, an zweiter Stelle. Er beeilte sich ahnungslos, den mit dem Stalin-Preis ausgezeichneten Roman „Junge Garde“ von dem gleihen Fadejev aufzulegen, der erst vor Monaten von der Partei wegen mangelnden Verständnisses für die Leistungen der Roten Armee verwarnt worden war. Daneben findet man unter den Verlagswerken den „Jemeljan Pugatshov“ des Stalin-Preisträgers Schishkov, ein Buh über die Traktorenfabrik Stalingrad, einige andere russishe Erzähler und neben ehern einzigen Jugoslawen noh die Namen Mark Twain, Jules Verne, Thomson. Im Vorjahr verbreitete dieser Jugendverlag niht weniger als 35 Büher und 18 Broshüren mit einer Gesamtauflage von 550.000 Stüde.

Die Arbeitershaft besitzt im Zentralverlag „Rad“ (Arbeit) der Einheitsgewerkshaften in Belgrad ein rapid gewachsenes Organ zur Propagierung des marxisti sehen Gewerkschaftsgedankens mit besonderer Berücksichtigung der Sowjetgewerkschaften. Außerdem popularisiert es den Fünfjahrplan. Von einer Gesamtauflage in der Höhe von 1.1 Millionen allein im Vorjahr gedruckter Bücher und Broschüren entfällt der größte Teil auf eine „Gewerkschaftsbibliothek“, die sich mit der Lage der Arbeiter in der Welt beschäftigt, während eine Serie „Neue Arbeitsmethoden“ das Stachanovsystem und die Erfolge der „Novatoren“ (Neuerer) und der „Rationalisatoren“ in der Wirtschaft preist. Im Verlagsprog’amm fehlen auch nicht die Ausgaben der Partisanenlieder.

Von den insgesamt dreißig in Belgrad ansässigen gesamtstaatlichen Verlagen widmet sich „Jugoslovenska k n j i g a“ (Jugoslawisches Buch) der Herstellung repräsentativ ausgestatteter Werke für das Ausland, unter denen sich auch eine Jubiläumsausgabe der „Bergblumen“ von dem Nationaldichter des vorigen Jahrhunderts, Njegosch, befand. Auch die „Gesellschaft für kulturelle Zusammenarbeit Jugoslawien- Sowjetunion“ ist publizistisch tätig.

Als Unternehmen der Republik Serbien vertrieb der „Republikanische Verlag Prosveta" (Aufklärung), Belgrad, im Vorjahr 215 Schriften mit einer Gesamtauflage von 3.8 Millionen Exemplaren, darunter nebst zahlreichen Schulbüchern auch vier Buchreihen für Dichter der Sowjetunion, der Nachbarvölker, der westeuropäischen und der Weltliteratur, außerdem Bibliotheken für alte und zeitgenössische, im besonderen serbische Dichter, für Kulturgeschichte, Pädagogik, Musik und Wissenschaften. Während sich der Verlag „O b o d“ (Ring) in Montenegro auf Schulbücher und einige heimatliche Erzähler beschränkt und der bosnische Verlag „S v j e 11 o s t“ (Licht) viele Kriegstagebücher und Partisanenlieder veröffentlichte, bemühen sich die republikanischen Verlage Kroatiens und Sloveniens sichtlich um eine sorgfältigere und universalere Pflege des schöngeistigen Schrifttums, zweifellos eine Konzession an den veredelten Geschmack des Publikums, ohne freilich auch nur die geringste Infiltration fremder weltanschaulicher Ideen zu gestatten. Jedoch ist die Auswahl in der Reihe der Weltklassiger viel bunter als bei anderen Verlegern und neben den Russen sind auch die Engländer des 19. Jahrhunderts und einige Franzosen ausgleichend vertreten. Die Auflage der politischen Literatur des Ostens, darunter ein Sonderband zum 30. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution und ein dreibändiges Werk mit diplomatischen Dokumenten aus sowjetischem Material, ist jedenfalls nicht der Angelpunkt der Verlagstätigkeit. Die parteipolitische Note klingt dafür umso lauter in den Publikationen der Jugend und der Massenorganisationen auf.

Unter den Verlagshäusem der einzelnen Republiken verdient das mazedonische „P ros- v e t n o D e 1 o“ (Bildungswerk) in Skoplje eine besondere Beachtung deshalb, weil es der erste Verlag des mazedonischen Volkes überhaupt ist und außerdem die jüngste Sprache Europas, das erst 1945 aus einem um Bitolja gesprochenen bulgarischen Dialekt zur Staatssprache erhobene Mazedonische benützt. Außer 472.000 Stück Lehrbücher druckte der Verlag im Vorjahr 140.000 Bändchen mit schöngeistiger Literatur des mazedonischen, serbischen und russischen Volkes, zwei Franzosen, nämlich Anatol France und Alphonse Daudet, zwei Bücher von Lenin, einen Band von Stalin und die Memoiren Titos. Daneben kamen mazedonische Dichter mit Kriegslyrik und Erzählungen zu Wort. E er Verlag lieferte 1947 insgesamt 700 Bücher und Broschüren in 800.000 Exemplaren aus.

Auch die Buchproduktion der nationalen Minderheiten unterliegt dem strengen Gesetz der politischen Approbierung. Die Abteilung für. die skipe- tarische Minderheit bei der „V erlags- anstalt für das autonome Gebiet Kosovound Metohija" in Südserbien stellt ein Monatsblatt „Der Kommunist“, politische Wochenblätter, eine Kinderzeitung und die wichtigsten Bücher von Marx, Lenin, Fjodorov, Stalin, Kalinin und Tito in albanischer Sprache her. In den Siedlungsgebieten der Magyaren, Italiener, Rumänen, Slowaken und Rusinen sind analoge Einrichtungen geschaffen worden.

Es ist kein Zweifel, daß die Staatsbehörden ihre Verlagshäuser nicht nach dem Prinzip der Rentabilität betreiben, sondern gigantische Finanzmittel investieren, weil diese Propaganda nicht weniger be deutungsvoll ist wie die Produktion von Maschinen oder Kanonen. Das andere Europa aber kann d.ese Tatsache nur mit dem Bedauern zur Kenntnis nehmen, daß seinen schöpferischen Kräften nun auch in diesem Territorium jedweder Wettbewerb verboten ist.

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