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Es taut im Blätterwald

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Von allen kulturellen und politischen Phänomenen hat in Jugoslawien in letzter Zeit eine gewisse Blüte nur die Publizistik erlebt, darunter auch die religiösen Zeitungen und Zeitschriften, besonders in Slowenien und Kroatien. Nach der Enzyklika Johannes' XXIII., „Pacem in terris“, ist nämlich auch in Jugoslawien eine gewisse Annäherung zwischen Kirche und Staat eingetreten. Für die Katholiken Sloweniens und Kroatiens ist es jedoch schwer, unter den noch immer totalitären Bedingungen auch „ein politisches Programm“ zu erstellen, innerhalb dessen sich die christlichen Intellektuellen und Arbeiter sammeln könnten.

Zur Zeit haben sie dafür nur die Presse zur Verfügung. In Kroatien erscheinen heute etwa 30 katholische Zeitungen, kirchliche Amtsblätter und Zeitschriften, die in den letzten zwei Jahren gegründet worden sind. Das bedeutendste Blatt. „Glas koncila“ („Die Stimme des Konzils“), Zagreb, erscheint zweimal monatlich und erreicht eine Auflage von rund 100.000 Exemplaren. Wenn man die tristen Zeitungsverhältnisse in Jugoslawien vor Augen hat, dann stellt diese Ziffer einen enormen Erfolg dar.

In Zagreb erscheint auch wieder die „Theologische Rundschau“, das Organ der katholischen theologischen Fakultät. „Glas koncila“ bringt auch interessante Reportagen aus dem Alltag, über die sozialen Probleme, mit denen der moderne Mensch in Jugoslawien konfrontiert wird. Charakteristisch für alle neuen Zeitungen und Zeitschriften sind der neue Ton, der anspruchsvolle und überzeugende Inhalt, der effektvolle und lebendige Stil. „Glas koncila“ ist die einzige Zeitung in Kroatien, die sich „selbst verkauft“ und empfiehlt. „Bedienen Sie sich selbst“ steht auf dem Eingang der Zagreber Kathedrale.

Der bisherige große Erfolg gab Ivica Mlinovcic Anlaß, in der Zeitschrift „Nase teme“ (Oktobernummer, 1964) seine Besorgnis darüber auszusprechen, „daß unsere atheistische Tätigkeit unter der Masse auf ein Minimum reduziert ist“, „daß unsere Kulturarbeiter in die Kirche -?ehen“, „daß unsere Jugend keine bestimmte Orientierung zur Religion hat und „daß sich die Kirche in den Sozialismus einschmuggeln möchte“.Obwohl in der Tagespresse die große Bedeutung der neuen Enzykliken und des vatikanischen Konzils in der Regel herabgesetzt wird, hat die propagierte Reldgionsfeindlichkeit doch nachgelassen.

Von den marxistischen Zeitschriften, die zur Erneuerung der Publizistik beitragen, ist vor allem das Organ der kroatischen philosophischen Gesellschaft, die „Praxis“, zu erwähnen. Die Zeitschrift wurde im Sommer vergangenen Jahres gegründet und sammelt eine Gruppe „marxistischer“ Intellektueller und Philosophen um sich, die im Geiste eines antidogmatischen Marxismus versuchen, auf viele Fragen der südslawischen geistigen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problematik zu reagieren. Die Zeitschrift wird in Zagreb in kroatischer, deutscher, französischer und englischer Herausgabe gedruckt. Die Mitglieder der Redaktion sind bekannte kroatische und jugoslawische Philosophen, Soziologen und Publizisten (Branko Bosnjak, Danko Grlic, Milan Kangrga, Danilo Pejovic, Gajo Petrovic, Rudi Supek, Predrag Vranicki und Zlatko Posavet;. Es handelt sich um Leute, die bereit sind, einen kritischen und ernsten Dialog mit „Stalinisten“ und der Kirche zu führen.

Die Philosophen nimmt man in Jugoslawien allerdings nidht allzu ernst; das hindert nicht, sie in letzter Zeit vor den Kommunisten und dem Kongreß selbst streng zu rügen. Denn sie haben die neuen geistigen Zusammenstöße und Kämpfe hervorgerufen. Für sie ist das Dilemma immer eindeutiger: Wie ist der Kampf um die Auflösung der Gegensätze in der sozialistischen Gesellschaft zu führen? Wer kann diesen Kampf bestimmen? Die Partei? Wissenschaftliche Erkenntnisse? Philosophie? Moral? Wie ist die Selbstverwaltung und ihre Bedeutung in Jugoslawien auszulegen? Man sucht die Definition des Sozialismus!

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