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Die tiefe Kluft durch Jugoslawien

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In Jugoslawien brechen in der Geschichte wurzelnde nationale Gegensätze auf. In Kroatien füllt das die Gotteshäuser und - verschärft die Angriffe gegen Episkopat und Kirche.

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In Jugoslawien brechen in der Geschichte wurzelnde nationale Gegensätze auf. In Kroatien füllt das die Gotteshäuser und - verschärft die Angriffe gegen Episkopat und Kirche.

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Höchststrafen von 20 Jahren Zuchthaus für die Hauptangeklagten, einer Gruppe von „Terroristen”, erregen derzeit die Gemüter in Kroatien, in dem seit vielen Jahrhunderten Religion und nationale Befreiungsbestrebungen in unheilvoller Weise miteinander verbunden sind. Dem Mitte Mai in Zagreb zu 15 Jahren verurteilten Juristen und Biochemiker Babic wurde vorgeworfen „feindliches Propagandamaterial” aus der Bundesrepublik gelesen und weitergegeben zu haben. Zudem habe er Sprengstoff und Waffen aufbewahrt. Babic leugnete bis zum Schluß, jemals terroristische Aktivitäten geplant zu haben, und bezeichnete Stjepan Deglin, den er als Gastarbeiter in Stuttgart getroffen hatte, als „agent provocateur”. Deglin, selbst zu 20 Jahren verurteilt, hat in Varazdin tatsächlich zu Protokoll gegeben, eine Zeitlang im Dienst der jugoslawischen Geheimpolizei tätig gewesen zu sein.

Nicht nur bei diesen beiden Prozessen blieben viele Fragen offen, schien der Ausgang, zur abschreckenden Wirkung, von Anfang an festzustehen. In der Urteilsbegründung wurden patriotische Kroaten der jungen Generation als „Nationalisten” und faschistische „Ustaschi” bezeichnet. Der Hintergrund:

Vor dem Zweiten Weltkrieg entwickelte Kroatien, nach Westen orientiert, gute Beziehungen zur späteren deutschen Besatzungsmacht. Iii dieser Zeit gründete Ante Pavelic die Ustascha-Bewegung, die sich übelster Verbrechen schuldig machte. Auch einige Geistliche hatten sich ihr angeschlossen, weshalb nach dem Krieg Kommunisten und orthodoxe Serben an der ganzen katholischen Kirche kein gutes Haar ließen.

Der Zagreber Gerichtsvorsitzende Ilya Ivancic befaßte sich ausführlich mit wachsender „In-doktrinierung durch den Klerikalismus”, dem 6000 Studenten der Zagreber Universität jeden Sonntag in der Kirche ausgesetzt seien. Kleriker seien prädestiniert für feindliche Propaganda, und eine solche „Vergiftung des Geistes” sei gefährlicher als das Explodieren von Bomben. Wie ernst diese Warnungen gemeint sind, demonstriert schon die Person des Gerichtsvorsitzenden an sich. Es ist derselbe Mann, der vor wenigen Jahren fünf Kroaten kurzerhand zum Tode verurteilte.

Ein engagierter Verteidiger erreichte damals eine Wiederaufnahme des Verfahrens, das schließlich ohne Todesstrafe und mit Freispruch eines der Angeklagten endete.

Was wenige wissen, von keiner Kanzel verkündet wurde und auch die kirchliche Presse übersah, ist, daß Richter Ivancic, selbst Serbe, als kleines Kind erlebt hat, wie Ustaschi in seinem Heimatdorf Serben auf brutalste Weise umgebracht haben. Scharfmacher wie er sind im selben Ausmaß gefährlich wie sie für Katholiken verständlich sein müßten.

Kardinal Stepinac, Symbolfigur der kroatischen Katholiken, wird viele Jahre nach seinem Tod immer noch angegriffen. In einem der ersten Schauprozesse nach dem Krieg war er unter Tito zu 16 Jahren Zwangsarbeit und schließlich zu Hausarrest in seinem Geburtsort verbannt worden. Viele der Handlungen, die ihm zur Last gelegt wurden, hat er — heute beweisbar — nicht getan, wenn auch sein Bestreben, Unterdrückten zu helfen, nicht immer sehr geschickt war. So zum Beispiel verordnete er Serben Zwangskatholisierung, um sie dem Zugriff der Ustascha zu entziehen. Mißbraucht, wie die Magna Mater Kroatiae, dient er heute den einen zur Aufwertung nationaler Selbstwertgefühle, den anderen als Grund zur Unterdrückung einer Nation, die den kommunistischen Bundesstaat, besonders aber die serbische Hegemonie, gefährden könnte.

Gemäßigte Stimmen sind derzeit kaum mehr zu hören. Die Kroaten, zu 80 Prozent katholisch (genaue Zahlen gibt es nicht), machen die Serben für wirtschaftliche Schwierigkeiten verantwortlich und mißtrauen vor allem serbischen Politikern in der eigenen Teilrepublik. Reaktionen lassen nicht auf sich warten.

Ein großer Eucharistischer Kongreß in Maria Bistrica im vergangenen Sommer und der 25. Todestag von Kardinal Stepinac brachten über 300.000 Menschen auf die Straße. Zunächst vom staatlichen Kirchenamt toleriert und als rein kirchliche Angelegenheit auch von den Parteizeitungen anerkannt, waren dann wohl doch diese Demonstrationen Anlaß zu einem härteren Kurs.

„Glas Koncila”, die bisher 14tä-gige Zagreber Kirchenzeitung, darf zwar ohne Auflagenbeschränkung seit Anfang des Jahres wöchentlich erscheinen, ist aber noch mehr Angriffen ausgesetzt als vorher. Uber 100.000 Leser werden darin laufend über Schikanen und Mißstände informiert, die ihnen sonst kaum zu Ohren kämen. Der geistliche Chefredak-teur.Kustic, über den schon in den siebziger Jahren ein zweijähriges Schreibverbot verhängt worden war, ist Anfang des Jahres neuerlich vor den Untersuchungsrichter zitiert worden, es wird ihm Verbreitung von Desinformation zum Schaden des Landes vorgeworfen.

Ein öffentliches Round-Table-Gespräch über Kardinal Stepinac war die Antwort auf Versuche der Kirche, seine Rehabilitation zu erreichen. Dabei wurde der Klerikalismus öffentlich verurteilt, eine unwahrscheinliche Filmmontage über den Kardinal gezeigt, in der er mit Mussolini, mit Hitler und den Ustaschi zu sehen war. Beendet wurde das Symposium mit einem Gespräch zwischen Wissenschaftlern, die anerkannten, daß Stepinac selbst wohl kein Ustascha, indirekt aber dennoch ein Kriegshetzer gewesen sei. Am Ende stand das Bibelzitat: „Steck Dein Schwert in die Scheide”.

Die Waffen, die der Staat gegen die Kirche einsetzt, werden subtiler. Kirchenstaatssekretär Lalic, mit dem der Kaptol (Residenz der Zagreber Kurie) im Laufe der Jahre ein durchaus praktikables Verhältnis aufgebaut hatte, verläßt seinen Posten, Nachfolger Zdenko Svete war acht Jahre lang Botschafter Jugoslawiens im Vatikan. Er soll mit mehreren Kardinälen befreundet sein und könnte wohl mit Katzenpfoten einen im Grunde sehr harten Kurs einschlagen.

Kardinal Kuharic reagiert besonnen auf Angriffe, man kann ihm bewußtes Anheizen der Lage durchaus nicht vorwerfen, anläßlich des Cyrill-und-Method-Jubi-läums aber ist in Jakovo wieder eine Feier angesetzt, bei der nicht nur alle Bischöfe des Landes, sondern auch der Vorsitzende der Europäischen Bischofskonferenz und andere prominente ausländische Gäste erwartet werden. Auch Vertreter des Staates haben ihre Teilnahme zu dieser und weiteren Veranstaltungen zugesagt.

Nicht vermeidbar ist, daß solche Anlässe vom Volke als Demonstration der Macht der Kirche erlebt werden. In einer Zeit, in der Prügelknaben dringend gesucht werden, muß das Kritik von Seiten kommunistischer Politiker provozieren.

Die Zeiten sind gefährlich. Nicht nur die an die Kirche gebundene Jugend nämlich läßt sich nicht mehr alles gefallen. Der Kongreß der Schriftsteller zum Beispiel — seine Mitglieder sind fast alle Parteimitglieder — hat kürzlich einstimmig eine Empfehlung verabschiedet, in der die Abschaffung des Strafrechtsparagraphen über „Verbaldelikte” verlangt wird. Marxistische Philosophen beklagen öffentlich, daß es keinen Dialog zwischen Christen und Marxisten mehr gibt. Wer sich heute dafür engagierte, würde in der Partei für „oppositionell” gehalten.

Ein Zeitpunkt, würde man glauben, der wenigstens den ökumenischen Dialog mit der serbisch-orthodoxen Kirche aktualisiert. Tatsächlich wohnte im September vergangenen Jahres ein katholischer Weihbischof, Djuro Koksa, der Einweihung der serbisch-orthodoxen Pfarrkirche im kroatischen Jasenovac bei. Das ist jener Ort, in dem die Ustaschi ein Konzentrationslager errichtet hatten, das viele Serben, Juden und Zigeuner nie mehr wieder verlassen sollten. Uber die Zahl der Todesopfer verbeißen sich Serben bis heute in erschreckende Diskussionen mit Kroaten, die ihrerseits auf die von gleichermaßen f anatisierten serbischen Cet-niks in Kärnten und Slowenien ermordeten deutschfreundlichen Kroaten am Ende des Krieges verweisen.

Zu Pfingsten kam es zu einem Treffen zwischen Kardinal Fran-jo Kuharic und dem serbischen Patriarchen German, bei dem von „Brücken der Begegnung über die Gräben der Trennung, mit denen uns die Geschichte belastet hat”, gesprochen wurde. Hoffentlich kann dieses Treffen als Signal dafür gewertet werden, daß das Gespräch mit den Kirchen nun in Gang kommt. Höchste Zeit, denn serbische Orthodoxe besinnen sich derzeit auf der Suche nach Identität immer mehr auf historische Verbindungen von Glauben und Nation und geben sich dem Gefühl serbischen Martyriums hin. Jesenovac wird von ihnen als große serbische Heimsuchung empfunden. Immer mehr serbische Gläubige warten auf die Chance, sich zu revanchieren, und fordern — weitab von jedem Realismus - tätige Reue aller Kroaten.

„Wer Verständnis oder gar Liebe zu den Serben predigt, riskiert, als Kommunist beschimpft zu werden.”

Solche Haltungen nützt die Belgrader Parteizeitung „Borba” und spricht wieder von „Pfaffen und Nonnen, die sich breitgemacht haben und wieder' aus den Löchern kriechen, wie die Ratten”.

Als ich vor wenigen Tagen mit einem Zagreber Akademiker über diese Probleme sprach, bestätigte er, wie alle anderen auch, die Haltung der kroatischen Intellektuellen. Erst als ich ihm vorsichtig die Frage stellte, ob er sich nicht auch noch eine ganz andere, christliche Betrachtungweise vorstellen könne, erinnerte er sich an ein Jahr, das er als Student im Gefängnis verbracht hatte. Schon damals seien ihm solche Gedanken gekommen, und heute kämen sie ihm wieder in den Sinn.

„Glas Concila” aber wird über die Kindheitserinnerungen des bösen Richters sicher nicht berichten. Wer Verständnis oder gar Liebe zu den Serben predigt, riskiert, als Kommunist beschimpft zu werden.

Aber in der Hand der kroatischen Kirche liegen entscheidende Veränderungen, die vielleicht die Zahl der Kirchenbesucher oder Wallfahrer reduzieren würden, weil sie den ebenso hartnäckigen wie unrealistischen Traum von einem freien kroatischen Staat zerstörten, den es seit König Tomislav im 10. Jahrhundert sowieso nicht gegeben hat. Wohl aber könnte Kroatien — noch — zum strahlenden Beispiel geistlicher Erneuerung Europas werden.

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