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Randhemerkungen zur woche

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EINE ABWANDERUNG TÜCHTIGER JUNGER KRÄFTE aus der staatlichen Verwaltung ist in letzter Zeit immer stärker zu beobachten. Begabte Nachwuchskräfte aller Fachgebiete versuchen heute entweder überhaupt nicht in den öffentlichen Dienst einzutreten, wenn ja, dann verlassen sie ihn bereits wieder nach kurzer Zeit. Freie Berufe und die Privatwirtschaft bieten ihnen eine günstigere Möglichkeit des Aufstiegs. Diese Erscheinung kann nicht allein mit der ungünstigen Entlohnung der Staatsbeamten und der Verminderung des einstigen Gewichtes der „Pensionsberechtigung“ erklärt werden. Nicht zuletzt ist es das erstarrte Rangschema, das junge Menschen zu einer verantwortungsvollen Arbeit nur langsam heranläßt und ihre Arbeitsenergie hemmt. Da geht zum Beispiel ein hoher Ministerialbeamter in Pension, seine ganze verantwortungsvolle Arbeit wird nun von einem Nachwuchsbeamten Übernommen. Dieser hat aber erst in zwanzig Jahren die Möglichkeit, den Rang und das Gehalt seines Vorgängers zu erreichen, obwohl er denselben Dienst wie dieser zu leisten hat. Diese geringe Achtung des Leistungsprinzips untergräbt die Arbeitsfreude vieler Beamter. So werden viele, und nicht gerade die schlechtesten, des Wartens milde. Der Staat zahlt die Kosten.

WIRD ES IN FRANKREICH WIEDER EINE „BERGPARTEI“ GEBEN? Die Antwort auf diese Frage muß in kurzer Zeit erfolgen. Bis jetzt klappt es nämlich nicht mit der Sitzordnung in der neuen Volksvertretung. Vor allem die Anhänger General de Gaulies wehren sich mit Leidenschaft dagegen, auf den Bänken rechts vom Präsidentenstuhl Platz zu nehmen. Das „Rassemblement“ sei keine Rechtspartei, es möchte nicht das Erbe des französischen Konservativismus oder der Extremisten von der Action francaise auch nur äußerlich antreten! Als hierauf guter Rat teuer war und der Präsident der Kammer keinen anderen Ausweg sah, als die neu gewählten Mandatare bis zu einer endgültigen Regelung nach dem Alphabet auf die leeren Sitze des Hauses zu verteilen, ergab sich die viel glossierte Pikanterie, daß der Bruder General de Gauües ausgerechnet im kommunistischen Sektor seinen vorübergehenden Platz zugewiesen bekam. Jetzt ergriffen die Gaullisten die Initiative. Sie wollten doch keine alten Parteien von ihren angestammten Plätzen verdrängen, sondern mit den letzten Bänken des steil ansteigenden französischen Abgeordnetenhauses hinter allen Fraktionen vorliebnehmen. Die Gründe für diesen anscheinend so sonderbaren Entschluß sind offenbar: demonstrativ will das Rassemblement mit den Sitten und der Tradition des französischen Parlamentarismus brechen und außerdem — und dies nicht zuletzt — an die Zeit der ersten französischen Nationalversammlungen nach der großen Revolution des Jahres 1789 anknüpfen. Damals gab es kein „Links“ und kein „Rechts“ in der französischen Politik; diese Begriffe wurden, wie auf dem ganzen Festland, erst Jahrzehnte später der englischen Demokratie, wo immer die Regierungspartei die Sitze auf der rechten Seite des Speakers einnimmt, abgeschaut. In dem steil ansteigenden Nationalkonvent saßen unten die Girondisten, die Männer des Zögerns und der Kompromisse. Unten, das war die Ebene, der Sumpf — marais. Steil oben aber und angefeuert von den benachbarten Galerien wüteten die Männer der meuen Ideen, die Montagnards — die Bergpartei.

FIX SIND SIE, das muß man den Herren Budapester Staatsgewaltigen lassen. Kaum haben sie den Prozeß gegen Erzbischof Grösz von Kalocsa und seine Mitangeklagten erledigt und die Mitwelt überzeugt, welch glänzend organisierter Humbug in die Formalitäten eines Gerichtsverfahrens eingewickelt werden kann, sind sie schon mit einem neuen Versuch da, der öffentlichen Meinung der freien Menschheit Sand in die Augen zu streuen. Schon ist den Pressen der Budapester Staatsdruckerei ein 384 Seiten Text und einige Seiten Lichtbilder umfassender Band entsprungen, in englicher Sprache — wie westlich orientiert! —, der eine wörtliche Wiedergabe des stenographischen Verhandlungsprotokolls dieses jüngsten ungarischen Bischofsprozesses darstellt. Wenn die Urheber dieses Prozesses nur einigermaßen gut beraten gewesen wären — augenscheinlich sind sie auch von ihren roten Göttern verlassen —, so hätten sie die Herausgabe dieses Bandes unterlassen. Wenn schon das Mithören der Prozeßverhandlungen im Rundfunk einen überzeugenden Eindruck vermittelte, welch trauriges Spiel im Namen ungarischer Rechtspflege mit der Wahrheit gegen die Menschenwürde gespielt wurde, so hat dieser Band dafür auch noch schwarz auf weiß n den Beweis geliefert. Es kommen da ge-

radezu kindische Mätzchen der Anklage und der Tatsachenverfälschung zum Vorschein, zum Beispiel wenn einer der Angeklagten nach dem anderen mit fast gleichlautenden Wendungen für seine angebliche landes-und volksverräterische Haltung als Ursache anführt: „My clerical education and the fact, that I come frpm a clerical family. I have relatives who are priests.“ Ihre geistlichen Onkel und selbst Vater und Mutter mußten diese dressierten Unglücklichen für ihre Verbrechen verantwortlich machen. Aber außer der geistlosen Mechanik der Anklage, die dieses Prozeßprotokoll sichtbar macht, verewigt dieser Band die kindischen Entgleisungen der dichter, die dem Erzbischof belastende Aussagen anzudrehen hatten. Da es der Prozeßführung nicht genügte, mit einem Falsifikat eines hochverräterischen Dokuments den Angeklagten und noch mehr die amerikanische Gesandtschaft zu belasten, so rollen solche „Aktenstücke“ und „Manifestes“, alle angeblich dem Verlangen der Amerikaner entsprechend, am laufenden Band durch die Selbstbezichtigungen des Erzbischofs, der durch eine Konterrevolution mit amerikanischer Truppenhilfe das kommunistische Regime in Ungarn stürzen will. Und eines dieser Hochverratsdokumente zeichnet der Erzbischof in der Form, wie er seine Hirtenbriefe zeichnete, nur mit seinem Vornamen „Josef“ und dem beigesetzten Kreuz... Sie haben es anders gemeint, die Erzeuger dieser Dokumente und dieses Prozeßprotokolls, aber man muß ihnen dankbar sein für ihr Erzeugnis: sie haben nicht drastischer ihre Methoden zur Schau stellen können als mit diesen naiven, zu einem dicken Bande angewachsenen Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht in U ngarn. Und das 'sind wirkliche Nächte.

DIESE GEGENWART, SO VIEL SCHATTEN AUF IHR LIEGEN MÖGEN, empfängt Lieht und Zukunftshoffnung aus dem Heldentum, das sie hervorbringt. Und daß es immer wieder Männer und Frauen sind, die aus ihrer religiösen Kraft ihr heroisches Bekennertum beziehen, das muß auch in geistigen Gebreiten Nachdenklichkeit erwecken, die dem Christentum fernestehen. Dem demokratischen Sozialismus hat der kommunistische Angriff schwerste Opfer abverlangt, aber eine ähnliche ManfestaÜon seelischer Widerstandskraft wurde aus ihm nicht in annähernd gleichem Maße sichtbar. Letzter Tage hat sich, wenig bemerkt von der großen Weltöffentlichkeit, eine neue bezeichnende Episode den vielen vorausgegangenen angereiht. Der Vatikan war zu einer Entscheidung über das Los des Erzbischofs Dr. Stepinac aufgerufen, für den die Regierung Tito die Freiheit angeboten hatte unter der Bedingung, daß er ins Exil gehe. Der Vatikan hätte dem seit 1946 eingekerkerten Erzbischof nahelegen können, daß er einwillige. Der nunmehr erfolgte Bescheid Roms, den Wunsch des Erzbischofs zu respektieren, „lieber seiner Gemeinde näher zu bleiben, als in eine bedingte Fr eilas sung einzuwillige n“, ist eine Bezeugung der Ehrerbietung der höchsten kirchlichen Stelle vor einem in sechs Jahren der Gefängnishaft ungebrochenen Bekennertum, das die verriegelte Zelle der Freiheit vorzieht, um mitten in dem eigenen Volk das Beispiel eines aus der Kraft seines Glaubens und seines Hirtenamtes getreuen Mannes zu geben. In der Erklärung, die jetzt der Belgrader Geschäftsträger des Vatikans der jugoslawischen Regierung übermittelte, heißt es, der Heilige Stuhl könne die Gefühle des Erzbischofs „nur achten und beabsichtigt daher nicht, ihn nach anderswo zu versetzen, eine Versetzung, die Msgr. Stepinac als mit seiner Gewissenspflicht nicht vereinbar hält“. Gerade weil Tito mit seiner wütenden Kirchenstürmerei fortfährt, stellt sich vor ihn der Gefangene von Lapo Glava als Zeuge, daß er moralische Kräfte so nicht brechen kann. Der „Osservatore Romano“ erinnert daran, daß auch der Erzbischof von Mostar und viele andere Priester und Mönche in Gefängnissen schmachten, die Klöster aufgelöst sind und ihr Eigentum beschlagnahmt worden ist. Die jugoslawischen Katholiken seien so mancher Rechte verlustig gegangen. Ihre Organisationen sind oft nicht in der Lage, ihre normale Tätigkeit auszuüben, ihre Schulen sind geschlossen worden, und der Religionsunterricht in den Kirchen stößt auf große Schwierigkeiten. Dazu der Verleumdungsfeldzug, gegen den eine Aufklärung nicht zugelassen ist. — Tito ist ein großer Soldat. Man möchte meinen, da/} einen solchen das ritterliche Empfinden antreiben sollte, einen Zustand zu beendigen, der sein Land entwürdigt.

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