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Im Gefolge des Stepinac-Prozesses

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Durch Kroatien geht eine Nachricht, bei der Männer erschrecken und Frauen vor Entsetzen aufschreien. Das Bild der „Matjka Bozja“ von B i s t r i c a ist zerstört worden. Es ist die uralte, vom kroatischen Volke in großen Ehren gehaltene und als Gnadenbild hochverehrte Muttergottesstatue des jährlich von zahllosen Pilgerscharen besuchten kroatischen Volksheiligtums von ßistrica. Sie würde — wie aas Kroatien kommende Meldungen besagen — von den Übeltätern mit Axthieben völlig zerschmettert. Die Tat entstammt der Atmosphäre, die in der Hetze gegen Erzbischof Stepinac geschaffen wurde.

In einer Rede, die Marschall Tito dieser Tage in Svetic bei Agram hielt, sagte er anknüpfend an die Kritik, welche gegen das Urteil im Prozesse Stepinac in der zivilisierten Welt mit seltener Einmütigkeit erhoben wurde:

„Niemand kann uns vorwerfen, daß wir die Kirdie verfolgen. Nein, wir unterstreichen scharf, daß wir nicht gegen die Kirche sind.“

Der Marschall wird jetzt angesichts der Schändung des kroatischen Nationalheilig-mims wahrnehmen, daß in seiner Anhängerschaft wesentlich andere Auffassungen bestehen. Es ist zu wünschen, daß er sich bald die Mühe nehme, diese irrigen Meinungen zu korrigieren. Er würde dabei viele, sehr aufmerksame und erfreute Zeugen haben.

Das Beispiel der mährischen Kroaten

Nur genaue Kenner der nationalen Verhältnisse des alten Österreichs werden um jenes selts ne Völkchen der Kroaten an unseren Grenzen wissen, das fast 400 Jahre Sprache, Sitten und Gebräuche seiner alten zagorischen Heimat bewahrt hat und dessen Schicksal nun vor einer entscheidenden Wende steht.

Im 16. Jahrhundert kam eine nicht unbedeutende Anzahl von kroatischen Siedlern in das Gebiet zwischen Donau, March und T h a y a; sie waren einem Ruf der feudalen Grundherren Niederösterreichs gefolgt und ließen sich größtenteils im Marchfeld, zum Teil aber auch in der Gegend der Eisgruber Seen und in der Nähe von Laa nieder. Da zwischen diesen Gruppen kein territoria'.er Zusammenhang bestand, war ihr Schicksal in den folgenden Jahrhunderten ein durchaus verschiedenes. Schon zu Zeiten der Donaumonarchie war bei den österreichischen Kroaten um Gänserndorf ein immer stärker werdendes, freiwilliges Aufgehen in, dem sie umgebenden deutschsprachigen Volkstum zu bemerken, so daß im Marchfeld heute nur mehr die Erinnerung an die kroatische Vergangenheit verblieben ist.

Ein ähnlicher Prozeß der Eingliederung in das Staatsvolk vollzog sich auch bei der östlichen Gruppe der mährischen K r o a t e n, die mit der wachsenden Industrialisierung Lundcnburgs im Tschechentum aufgingen. Nur die Gemeinde Bischofs-w a r t, die bis 1919 zu Niederösterreich gehört hatte, bewahrte sich unter der wohlwollenden Pa'ronanz des Fürsten Liechten-stnn einen eigenartigen, von verschiedenen kroatischen, tschechischen und slowakischen Wesenselementen gekennzeichneten Typ, der jedoch nunmehr gleichfalls mehr und mehr einer eindeutig tschechischen Einstellung der heutigen Bewohner weicht.

Weiße Raben in jeder Hinsicht aber waren die T h a y a - K r o a t e n, die seit ihrer Berufung durch den Grafen Teuffenbach zu Dürnholz seit 15S4 in drei Gemeinden an der österreidiischen Grenze leben und denen es trotz ihrer minimalen Anzahl gelang, ihr Leben in dem alten Österreich zu bestehen. Obwohl sie bis vor kurzem in deutschsprachiger Umgebung lebten, konnte man in ihren Dörfern kroatische Laute hören und ungewohnte Aufschriften an Häusern und Grabsteinen als Kuriosum bestaunen. Zu den deutschsprachigen Südmährern bestand ein herzlidies Verhältnis, das bis zum Ende des ersten Weltkrieges anhielt. Nach dem ersten Weltkrieg begann in diesem und um dieses Volkstum von rund 1000 Seelen ein erbitterter Kampf in den drei Gemeinden. Überall vollzog sich eine Scheidung in eine deutsche und tschechische Richtung, die heftigen Unfrieden in die sonst so friedlichen Dörfer an der Thaya brachten.

Seit einem Monat ist nun wieder viel von den mährischen Kroaten die Rede. Von der äußersten tschechischen Linken hält man ihnen ihre Haltung während der letzten sieben Jahre vor, wo sie Helfershelfer der Deutschen gewesen seien. Alle anderen drei tsdiechischen Parteien vertret6n demgegenüber das Prinzip der persönlichen Verantwortung und wenden sich nicht nur gegen eine gewaltsame Lösung der kroatischen Frage, sondern auch gegen die von der führenden Regierungspartei verlangte — und zum Teil auch schon durchgeführte — Umsiedlung ins Innere des Landes. Das Vorgehen der eingesetzten tschechischen Kommissare und die Hilferufe der Kroaten aber haben unterdessen ein solches Echo ausgelöst, daß sich nun die Priger Regierung mit der weiteren Zukunft der mährischen Kroaten beschäftigen wird. Ihre Entscheidung aber wird, wenn sie für die Kroaten günstig sein sollte, den Untergang dieser Minorität nur verzögern können. Der teilweise und unfreiwillige Auszug süd-mährisdier Kroaten in das Innere des Landes hat dieses kleine Völkchen schon zum Sterben verurteilt.

Es ist eine harte und unbarmherzige Zeit, in der wir leben, und sie kennt weder tausendjährige, unverjährte Rechte noch Verwandt-sdiaften zwischen den Völkern. Immerhin bringt sie Zeichen hervor, wie in dem alten Österreich die nationale Eigenart selbst ganz kleiner Minderheiten geborgen bleiben konnte und wie jetzt im Zeichen höchsten nationalen Überschwanges nationale Lebensrechte ersterben.

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