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Vom Helden Porin

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Die festliche Wiedereröffnung des Kroatischen Nationaltheaters in Zagreb (Agram) gab einem Volk eine Spritze belebenden Selbstvertrauens, das sich im Verband der jugoslawischen Föderation gern in resignierendem Selbstmitleid von den zahlenmäßig stärkeren, dynamischeren Serben an den Rand gedrängt sieht. Gegen die serbische und Bundeshauptstadt Belgrad, die nach weltstädtischem Format strebt, wirkt Zagreb fast verträumt. Am Beispiel des Nationaltheaters wurde nun deutlich, daß es, statt mit dem Schicksal zu hadern, besser ist, auf die eigene Kraft zu vertrauen. Was den Großvätern Anno 1895 möglich war, wiederholte sich: damals hatte das kroatische Volk den Prunkbau seines Nationaltheaters aus eigenen Mitteln finanziert, jetzt wurde in zweieinhalbjähriger Arbeit das arg vernachlässigte und technisch veraltete Haus aufgeputzt und modernisiert. Die rund 100 Millionen Schilling, die dazu nötig waren, kamen von der kroatischen Landesregierung, von der Stadt, aber zu einem Drittel auch aus Spenden der größeren und kleineren Betriebe. Was die bekannte Wiener Architektenfirma Helmer und Fellner 1895 neubarock gebaut hatte: außen kaisergelb, innen weiß und rot und golden — wurde sorgsam erneuert. Für die Technik wurde das Modernste angeschafft. Das Eröffnungsprogramm, mit dem das lang entbehrte Kulturzentrum den Kroaten zurückgegeben wurde, war betont kroatisch wie auch weltoffen, traditionsverhaftet und dem Neuen aufgeschlossen. Der Bogen reichte von den dalmatinischen Renaissancekomponisten und Erinnerungen an die kroatischen Bauernaufstände im 16. Jahrhundert über die Freiheitshymne von Jakov Gotovac und eine „Legende vom Genossen Tito“ bis zu elektronischer Ballettmusik. OrfJ hatte eine Konzertfassung von Okeanidenchören aus seinem „Prometheus“ geschickt, Dallapiccola eine Suite aus seiner „Odyssee“, Gottfried von Einem „Metamorphosen“. Die Oper, die zur Eröffnung bei dem 55jährigen Stjepan Sulek bestellt worden war, einem prominenten Mitglied der Jugoslawischen Akademie der Wissenschaften und Künste, aber nicht des Komponistenverbandes (mit dem er verfeindet ist), machte aus Shakespeares „Sturm“ eine anmutig märchenhafte Begebenheit.

Wirklich ans Herz griffen dem Publikum zwei Werke aus dem 19. Jahrhundert, Kinder jener „illy-rischen“ Bewegung, die von der Einheit der Südslawen schwärmte. Heute wissen wir, daß die ganze panslawische Verbrüderung, so unrealistisch sie war, seinerzeit die Deutschen und Ungarn in der Donaumonarchie so überzeugte, daß sie eine Mehrheit der Slawen im Wiener Reichsrat um jeden Preis verhindern zu müssen glaubten. Um den Preis krasser Ungerechtigkeiten und schließlich um den Preis des Zerfalls der ganzen Föderation. Auch die Kroaten, angesichts täglicher Reibereien mit den Brudervölkern, sehen heute vieles nüchterner als die illyrischen Ideologen des 19. Jahrhunderts. Aber manches Wort blieb doch verwurzelt, und welches Volk ließe sich nicht gern von der Bühne von seinen guten Eigenschaften und edlen Bestrebungen erzählen? Vatroslav Lisinski, der früh an der Schwindsucht zugrunde gegangene erste südslawische Opernkomponist, kündete schon um 1850 in seiner zweiten Oper „Porin“ von dem edlen jungen Kroaten, der Anno 830 einen Aufstand gegen die Franken führte. Irmengarda, die Schwester des Frankenführers Koce-

• In Stephan-Ludwig-Roth-Schule umbenannt wurde das Lyzeum Nr. 2 in Mediasch/Rumänien. St. L. Roth wirkte von 1820 bis 1833 (zuletzt als Rektor) an dieser Lehranstalt, die heute von 1280 Schülern besucht wird und eine Abteilung mit deutscher Unterrichtssprache hat.lin, hatte ihm in unerwiderter Liebe hinterbracht, wie die Kroaten in die Falle gelockt werden sollten. An der Leiche ihres gefallenen Bruders begeht sie Selbstmord. Die Kroaten aber, so oft sie vorher von Sloboda — Freiheit — gesungen haben, bilden am Schluß einen bekümmerten Kreis um die beiden Leichname und vergessen allen Hurrapatriotismus. Auch die erste Schauspielpremiere griff auf illyrische Zeiten zurück mit der Dramatisierung des 1878 erschienenen Romans „Diogenes“ von August Senoa. Er spielt um 1750, als der kroatische Adel sich teils nach Ungarn orientierte, teils nach Wien schielte. Ein edler Patrizier aber ging umher wie Diogenes, um die guten Kroaten •■ zu suchen. Und als dann Maria Theresia einen solchen edlen Kroaten zum Vize-Banus ernennt, springt der Ruf „Vivat Regina — Vivat Croatia“ auch heute noch zündend über die Rampe. Zwar wissen die „gutem Kroaten“ heute, daß sie sich in dieser „bösen Welt“ allein nicht behaupten können: Aber es tut wohl, ab und zu ein wenig davon zu schwärmen. Zur Behauptung kultureller Autonomie und Eigenart. wird das Nationaltheater auch in Zukunft ein zentraler Stützpunkt sein.

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