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Tragödie in der Batschka

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Als im Gefolge der zurückflutenden Reste der geschlagenen k. u. k. Armee nach dem unglücklichen Ausgang des ersten Weltkrieges innerhalb der Demarkationslinie an der Nordgrenze des späteren Jugoslawiens auch in den Städten und Marktflecken der Batschka eine mehr als dürftige Machtübernahme durch die in aller Eile aufgebotenen lokalen „Befreiungskomitees“ organisiert wurde, führte den aus versprengten Dobrovoljcen (Freischärlern), Deserteuren, aus angesehenen bunjewatzischen und schokatzischen Bürgern und greifbaren Serben aus dem Altreich zusammengewürfelten Demonstrationszug, der in die Bauernstadt SuboticaMarlatheresfopel eingezogen war, der angesehene bunjewatzische Priester Blasko R a j i C an. Hinter dem symbolischen Akt dieser Machtübernahme, der die Grenzziehung bei den zu erwartenden Friedensverhandlungen präjudizie-ren sollte, stand wohl auch die Absicht der führenden Persönlichkeiten der katholischen Bunjewatzen und Schokatzen, bei allem Bekenntnis zu einer näher politisch noch nicht definierbaren südslawischen Solidarität ihre eigenvölkischen politischen Ambitionen als Volkssplitter, deren Zahl allein in der Batschka mit rund 100.000 angenommen werden kann und denen ethnisch eine Zwischenstellung zwisehen Serben und Kroaten zukommt, in geeigneter Form anzumelden. Noch wußte man in Belgrader politischen Kreisen — die, auch wenn sie ihrer geistigen Haltung nach liberal waren, doch sehr stark von der Vorstellung beherrscht wurden, daß als konfessionelles Adäquat für das südslawische Ethnikum nur die Orthodoxie gelten könne — nicht viel mehr von der Sonderheit dieser Bunjewatzen und Sahokatzen, als daß diese in der ungarischen Zeit in ihrer geistigen Schicht dem Assimilationsdruck der Magyaren stark ausgesetzt waren, daß sie eine aus volkhaften Wurzeln gewachsene naive Volkskultur und literarische Tradition besaßen und sich kulturell in ihren Dorfschaften auslebten, ohne daß sich Belgrad aus dieser Sachlage veranlaßt gefühlt hätte, diese südslawischen Volkssplitter am Aufbau der jungen Staatsmacht zu beteiligen.

In vatikanischen Kreisen scheint man der komplexen ethnischen und politischen Situation in der Batschka, die sich für den neuen Staat Jugoslawien nicht zuletzt durch die ungarnfreundliche Haltung der starken magyarischen und donauschwäbischen Minderheit noch verworrener gestaltete, noch zu einer Zeit Rechnung getragen zu haben, als sich Belgrad, infolge des ungeahnten territorialen Zuwachses über Nacht zu einem machtpolitischen Faktor ersten Ranges angewachsen, anschickte, über den Balkan hinaus im Herzen Mitteleuropas eine Rolle zu beanspruchen, die es einfach nicht ausfüllen konnte, weil es die politischen Kräfte des neu dazugewonnenen Raumes kaum kannte, geschweige denn geistig beherrschte. Mit der Ernennung des Pfarrers von St. Theresia in Subotica, des Bunjewatzen Lajöo Budanovic, zum Apostolischen Administrator (1923) und seiner Konsekration zum Titularbischof der Batschka (1927), die kirchenrechtlich immer noch zum Erzbistum Kalocsa in Ungarn gehört, schien eine Entwicklung angedeutet, von der man annehmen durfte, daß sie nicht ohne Rückwirkung auch auf die Staatspolitik in diesem Räume bleiben würde. Aber Belgrad machte unbeirrt in „großserbischer“ Politik weiter und entfremdete die ursprünglich aufgeschlossenen, einer südslawischen politischen Integration gar nicht abholden slawischen Volkspolitiker und Volksgruppen außerhalb des Altreiches vollends. , *

Jene allerdings, die aus dieser politischen Enttäuschung über Belgrad auf eine Geneigtheit geschlossen hatten, daß nun die revisionistischen Parolen Ungarns eher Anklang fänden, sahen sich bald nach 1941 desillusioniert, als im Zuge des deutschen Balkan-Blitzkrieges unter anderem auch die Batschka als Teilgebiet des von Ungarn seit 1918 immer wieder beharrlich zurückverlangten „Südgebietes“ (Del-videk) an Ungarn rückgegliedert wurde. Abgesehen von den primitiven Vergeltungsmaßnahmen der ungarischen Besatzungsbehörde — unter anderen wurde auch der eingangs erwähnte Blasko R a j i c eingesperrt und schwer mißhandelt - war auch Bischof Budanovic, dessen Jurisdiktion als Apostolischer Administrator im Zuge der Rückgliederung des Gebietes an die Heimatdiözese Kalocsa mit dem Einmarsch der Ungarn in das Gebiet erlosch, allerhand Schikanen ausgesetzt. Von Innenminister Kresztes-Fischer im Kloster der Dominikaner in Budapest interniert, verbannte man den „ke-menyfejü bünjö“ (den bunjewatzischen Dickschädel) in ein entlegenes Franziskanerkloster nach Mätraverebely im Komitat Nögräd, als man gewahr wurde, daß er in Budapest laufend Besuch aus seinem ehemaligen Administrationsgebiet erhielt. 1943 freigelassen, bot man ihm die Stelle eines Domherrn in Kalocsa an, Budanovic zog es aber vor, in seiner Pfarre in Subotica die weitere Entwicklung abzuwarten. Die Zuspitzung der Spannung, die gerade auch kirchenpolitisch gesehen unerfreulich war, wurde zum Teil auch der unglücklichen Hand des von Kalocsa eingesetzten kommissarischen Leiters der Administrator, Prälat Dr. I j j a s, zugeschrieben, der aus Dusnok bei Kalocsa stammte, ursprünglich Ikotic hieß und abstammungsmäßig selbst Bunjewatze war, als „Magyarone“ aber wenig Verständnis für den „pan-slawistischen“ Gefühlsüberschwang der seit 1918 im jugoslawischen Staatsverband verbliebenen bunjewatzischen und schokatzischen Geistlichkeit hatte, obwohl diese inzwischen davon bereits geheilt war. Seiner in nationalen Fragen als intransigent empfundenen Haltung wird auch zugeschrieben, daß mehrere katholische Priester bunjewatzischer Abstammung zu den Partisanen Titos, die allerdings zu jener Zeit weltanschaulich noch nicht so klar profiliert waren, überliefen und im besten Glauben, damit ihre patriotische Pflicht zu erfüllen, gegen die Besatzungsmacht aktiv kämpften, wie der heutige Tavankuter Pfarrer Ivan L e b o v i c.

Kein Wunder, daß die national ausgerichtete bunjewatzische und schokatzische Geistlichkeit, die während der ungarischen Besatzung von 1941 bis 1944 politisch verfolgt war, das Partisanenregime zunächst als „Befreiung“ empfand, wenn auch vor allem die unerbittlichen Maßnahmen gegen die donauschwäbischen Nachbarn, zu denen all die Jahrhunderte hindurch ein klagloses, ja herzliches Verhältnis bestand, einen Vorgeschmack davon vermittelten, was an neuer politischer Moral und Geistigkeit im Anzug war.

Was dann kam, überstieg alles, was sich die einzelnen rivalisierenden Volksgruppen gegenseitig an Unbill und Intoleranz bishin geliefert hatten. Eines Drittels seiner Gläubigen in den ursprünglich 110 Pfarreien infolge der Vernichtungspolitik den Donauschwaben gegenüber entblößt, eines beträchtlichen Teiles des Klerus, der nahezu zu zwei Dritteln deutschstämmig war, verlustig, im Auftrage der UDBA, der Staatssicherheitspolizei, von Diversanten, die zur Bischofskanzlei Zutritt hatten, bespitzelt und ständig überwacht, schwer getroffen von der unverkennbar wachsenden Bereitschaft eines Teiles seiner Geistlichen, dem staatlichen Druck in bezug auf die Priestergewerkschaft nachzugeben, während mehrere seiner getreuesten Priester zu hohen Kerkerstrafen verurteilt waren, stand Bischof Budanovic immer noch ungebrochen, bis ihn anläßlich einer Firmungsreise in die ehemalige Komhatsstadt Sombor die Häscher erreichten: in den Abendstunden, vom Nachtmahl im Pfarrhaus weg, durch eine entfesselte Schar von Jungkommunisten auf eine Tanya (Meierhof) entführt, geschlagen und gedemütigt, brachten sie den alten, schon schwer beweglichen korpulenten Herrn, nahe achtzig, in einem offenen Bauernwagen in seine Residenz und setzten den Bischof in den Morgenstunden splitternackt vor der Theresien-kirche zum Gaudium der Halbwüchsigen ab. Dieses spektakuläre Vorgehen traf den alten Herrn so hart, daß er sich bis zu seinem Tode, Ende 1958, davon nicht mehr recht erholen konnte.

Auch seinem Nachfolger Matiäa Zvekano-v i C, der noch unter Budanovic zum Koadjutor ernannt wurde, 1937 zum Priester geweiht. 1956 konsekriert, blieben Schikanen und Demütigungen in ähnlicher Weise wie seinem Vorgänger kaum erspart. Bis vor kurzem fuhr er auf dem Fahrrad von Ort zu Ort zur Firmung. Es wird ihm auch von seinen Feinden nachgerühmt, daß er Haltung zu bewahren versteht, wenn er vor dem Kircheneingang mit Melonenstücken, Paradeisern ,und Gurken beworfen wird. Seine heute in Deutschland lebenden donauschwäbischen Priesterkollegen, mit denen er 1937 ordiniert wurde, vermittelten Bischof Zvekanovic kürzlich einen Volkswagen, damit er in der fast zum Missionsgebiet gewordenen Batschka, deren barocke Formen der Gläubigkeit einst den äußeren Rahmen der Kirchlichkeit stark prägten, seinen bischöflichen Obliegenheiten leichter nachkommen kann. Über 30 große katholische Pfarreien von einst mit 2000 bis 8000 Gläubigen sind nach dem Ver-treibungs- und Vernichtungsregime den 150.000 donauschwäbischen Katholiken gegenüber erloschen oder zu kleinen Filialgemeinden herabgesunken. Auch rund 50.000 Donauschwaben evangelischer Konfession teilten dasselbe Schicksal wie die Katholiken. Durch Zusiedlung von Neukolonisten wuchs die Zahl der Orthodoxen auf über 320.000 in der Batschka an und verdoppelte sich damit seit 1933.

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