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Die Ausweisung der Deutsch-Ungarn

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In unserer Presse sind vor kurzem Nachrichten erschienen, wonach die ungarische Regierung eine Verordnung erlassen hat, in der sie den Beschluß der Alliierten Kontrollkommission über die Ausweisung der deutschen Minorität durchführt Das Land haben danach zu verlassen: Alle ungarischen Staatsbürger, die sich bei der letzten Volksabstimmung als Deutsche erklärten oder ihre deutschen Namtn wieder angenommen haben. Ferner Mitglieder des Volksbundes, Angehörige von militärischen deutschen Verbänden, sowie Mitglieder irgendeiner nationalsozialistischen (wohl nur deutschen) Organisation in Ungarn. Jene Volksdeutschen, die mit einer Ungarin oder mit einem Ungarn verheiratet sind oder ihr demokratisches Verhalten glaubwürdig bewiesen haben, können im Lande verbleiben.

Die Aussiedler können 'hre Kleidungsstücke, Hausgeräte, Geld, Wertgegenstände und 25 Kilogramm Lebensmittel pro Person mitnehmen. Die Züge werden bis zur amerikanischen Zone Deutschlands von ungarischer Wache begleitet, wo die amerikanischen Behörden die Aussiedler übernehmen. Über die zurückgelassenen Immobilien und Mobilien der Aussiedler wird vom Ackerbauministerium ein Inven*ar aufgenommen. An Stelle der ausgesiedelten Deutschen sollen ungarische Bauernfamilien angesiedelt werden.

Von dieser Verordnung sind angeblich 430.000 Personen, hauptsächlich Bauern und Kleinbesitzer, betroffen, ursprünglich wurden sogar eine halbe Mihon genannt.

Diese Verordnung, die den Beginn eines neuen Aktes in der traurigen Tragödie der Umsiedlung bedeutet, zeigt eine weitgehende Veränderung der ethnischen Zusammensetzung unseres östlichen Nachbarlandes an.

In der Folge soll auf die Geschichte dieser ausgewiesenen Hunderttausende eingegangen und die Bedeutung diesem neuen Stromes innerhalb der europäischen Völkerwanderung des letzten Jahrzehntes beleuchtet werden.

Die Geschichte der deutschen Einwanderung

Dem Rufe verschiedener Träger der Stephanskrone folgend, wanderten seit fast einem Jahrtausend Deutsche aus den verschiedensten Teilen des alten Reiches — vor allem aus Süd- und Westdeutschland sowie aus Österreich in mehreren großen Wellen in das von den Karpaten umschlossene Siedlungsgebiet — in das alte Ungarn.

Die Einwanderet haben in der Geschichte des Landes keine geringe Rolle gespielt.

Schon König Stephan I., vermählt mit einer bayrischen Herzogstochter, errichtete an der Wende des ersten Jahrtausends den ungarischen Staat nach deutschem Vorbild, unterstützt von bayrischen Rittern, Geistlichen, Handwerkern, Kaufleuten und Bergarbeitern. — Diese wurden oft zu Gründern verschiedener Städte Altungarns, sie waren es auch nicht zuletzt, denen die Besiedlung und Urbarmachung des offenen Landes zu verdanken ist. Fränkische Bauern besiedelten den sogenannten „Königsboden“ — das Siebenbürgerland, später den Raum um Kronstadt. Als Andreas II die Ritter vertrieb und diese nach Preußer. abzogen, blieben die mit ihnen gekommenen Bürger und Bauern im Land. Die Einwanderung unterblieb einige Zeit, als die Osmanen immer weiter gegen Mitteleuropa vordrangen. Erst nach sicherer Bannung der Türkengefahr setzte im 18. Jahrhundert, hauptsächlich von Österreich aus, unter (Maria Theresia und Joseph IL, eine neue Welle deutscher Besiedlung ein, den Resten der Bevölkerung Ostungarns zu helfen, das verödete Land wieder aufzubauen. Nicht nur die Könige, auch der ungarische Reichstag und bedeutende weltliche und geistliche Herren förderten die Einwanderung.

Zuerst erfolgt die Wiederbesiedlung der „Schwäbischen Türkei“ um 1718, nach dem Frieden von Passarowit? setzt der „Große Schwabenzug“ ein, der einige Jahrzehnte dauerte und Südungarn (Batschka und Banat) mit Siedlern füllte.

Vor dem ersten Weltkrieg lebten in Ungarn an die zwei Millionen Deutsche.

Die wichtigst en deutschen Siedlungsgebiete des heurigen Ungarn sind:

Westungarn (die Stadt und Umgebung von ödenburg, Wieselburg und Eisenburg);das ungarische Mittelgebirge (Bakonygebirge und die Gemeinden westlich um Budapest, von denen Budaör bereits von den Deutschen verlassen wurde);die Schwäbische Türkei (um Fünfkirchen, Komitate Tolna Baranya und Somogy, zwischen Donau, Drau und Plattensee).

Von den Donauschwaben in der Batschka und im Banat verblieben nur geringe Reste bei Ungarn In den im Krieg besetzten und nunmehr endgültig verlorenen Gebieten in Nordsiebenbürgen und besonders in der Batschka waren starke deutsche Siedlungsgebiete vorhanden, während die Deutschen der Karpatoukraine und Südslowakei kaum ins Gewicht fielen.

Assimilation und Dissimilation

Um die Mitte' des vorigen Jahrhunderts setzte in Ungarn der Einschmelzungsvorgang der Minderheiten ein. Er ist in die Fachliteratur unter dem Audruck „Assimilation“ eingegangen. Die großen kulturellen Erfolge des Ungartums, die Zeit Szechenyis und Kossuths, das Aufblühen der Wissenschaften und die starke Unterstützung durch den ungarischen Staat führten zu bedeutenden Einbußen der deutschen Minderheit. Besonders in den Städten bekannten sich viele Träger deutscher Namen zum Magyaren-tum, nicht wenige legten den deutschen zugunsten eines magyarischen ab.

Der Prozeß der Aufsaugung der deutschen Nationalitätengruppe in Ungarn schien im 20. Jahrhundert nahezu vollständig zu werden. In Siebenbürgen hielt sich auf Grund anderer kultureller Schichtung der stolze, ethnisch geschlossene Stamm der Siebenbürger Sachsen.

Da setzte der erste Weltkrieg ein. Im engen Zusammenstehen österreichischer, ungarischer und deutscher Regimenter ergab sich für deutschstämmige Soldaten aus Ungarn die Gelegenheit, lte geschichtliche Zusammenhänge neu zu sehen. Die traurige Geschichte Ungarns nach dem Weltkrieg, der Zusammenbruch des Stephansreiches beförderten das Stillstehen des Assimilationsprozesses. Ja, stellenweise begannen gegenteilige Entwicklungen Platz zu greifen. Angehörige der deutschen, aber auch der slowakischen und anderer slawischer Minoritäten nahmen ihre ursprünglichen Familiennamen wieder an und suchten Verbindungmit den Staatsvölkern der Nachbarländer. Die Dissimilation setzte ein.

In den Ungarn verlorengegangenen Gebieten wurde der „Dissimilationsprozeß“ begreiflicherweise stark durch die Regierungen unterstüzt. Er griff jedoch auch auf Trianon-Ungarn über.

Das Dritte Reich bemächtigte sich dieser Strömung und ließ stärker und stärker den Propaganda-Apparat der „Gleichstellung“ spielen.

Die Presse als Waffe der hitler-Üeutschen Propaganda

Ein sicheres Maß für die Stärke der Beeinflussung durch Propaganda ist die Anzahl der periodischen Druckwerke, die einen bestimmten Leserkreis beeinflussen sollten. Gegenüber den Ende 1941 etwa 1000 ungarischen Zeitungen, Wochen- und Monatsschriften, Revuen usw war die Zahl der 21 von den nationalen Minderheiten herausgegebenen Presseorgane eigentlich nicht beträchtlich. Andere Blätter erschienen allerdings auch in der Sprache der Minoritäten, wurden jedoch magyarischerseits verlegt.

1942 zeigte sich dagegen ein sprunghaftes Ansteigen. Die Zahl der Presseerzeugnisse der deutschen Minderheit wächst auf 24 Blätter. Neben der gleichgeschalteten Volksdeutschen Presse stehen auch 4 slowakische, 3 rumänische, 5 ukrainische sowie je ein serbisdies und kroatisches Blatt. Einige weitere deutschsprachige Zeitungen erschienen in ungarischen Verlagen, so vor allem der bekannte alte „Pester Lloyd“.

Die deutsche Minderheit statistisch gesehen

Die Statistik von 1920 zählte 550.000 Deutsche bei einer Gesamtbevölkerung von 8 Millionen Menschen in Trianon-Ungarn.

1930 war diese Zahl auf Grund einer neuerlichen Volkszählung auf 480.000 gefallen.

Hunderttausend Slowaken und einige zehntausend Angehörige anderer kleiner Minoritäten gehörten auch nicht dem magyarischen Volke an. Die Zählung betraf die Muttersprache und nicht die Volkszugehörigkeit, so daß nach allgemeiner Ansicht die Deutsdisprachigen meist keinerlei Bedenken hatten, sich als solche zu bezeichnen.

Manche Minderheitsforscher, zum Beispiel O. A. Isbert führten dagegen an, daß im Jahre

1930 auf dem Lande des Trianon-Ungarn 648.000 Deutsche lebten Die Deutschen, die in den Städten wohnten und deren Anzahl die Statistik 1920 mit der Zahl 82.000 angibt, erlitten nach Isbert größere Verluste durch Assimilierung. Die Schätzung für das Deutschtum auf dem Lande zusammen mit der Zahl der Deutschen in den Städten, die die Statistik aufweist, belief sich auf etwa 720.000,

Ende Jänner 1941 wurden in Ungarn abermals Volkszählungen durchgeführt, nach deren Ergebnissen die Gesamtzahl der Bevölkerung etwa 14,680.000 Seelen betrug. Bemerkenswert waren die Feststellungen über die sprachliche und volkliche Einordnung der ungarischen Staatsbürger, die bei der Erfassung getrennt erfolgte.

Dieser Zählung ging eine lebhafte Diskussion der Fachstatistiker voraus. Die bekannten Wissenschaftler B a r s y, Thirring, Kenez, Kovacs und Konkoly Thege schlugen vor, in der ungarischen statistischen Methode fortzufahren und nur die Muttersprache zu untersuchen. Durch die Veränderung der alten erprobten Methode würde sich die ungarische Statistik selbst desavouieren. Man führte unter Berücksichtigung des deutschen Druckes die richtige Tatsache an, daß für eine Erforschung der Nationalität der Augenblick nicht geeignet sei. Dagegen waren vor allem Egyed Moricz, Rudai und Graf R £ v a y für die Erforschung der Nationalität und der Muttersprache. Sie begründeten es damit, daß durch die unmittelbare Frage nach der Nationalität die Statistik sich am besten den Erkenntnissen der wirklichen Zugehörigkeit der Bevölkerung nähere. Auf Wunsch des Grafen Teleki, des Mannes, der später als Ministerpräsident den auf Ungarn ausgeübten Zwang zum Kriegseintritt mit dem Selbstmord beantwortete, reihte das Statistische Amt schließlich doch die Frage nach der Nationalität neben der nadi der Muttersprache ein.

Als zur magyarischen Muttersprache bekennend gab es danach über 13,3 Millionen, das heißt 72,5 Prozent der Bevölkerung. Zur deutschen Muttersprache bekannten sich 720.000, das heißt 4,9 Prozent, während als Angehörige der deutschen Volksgruppe etwa 500.000 Menschen, das heißt 3,6 Prozent, angegeben wurden.

Bei den Rumänen lauten die Verhältniszahlen: rumänisch als Muttersprache 1,1 Millionen, das heißt 7,5 Prozent, rumänisch als Volkszugehörigkeit rund 1 Million, das heißt 7,2 Prozent. Zur ruthenischen Volksgruppe gehörend bekannten sich 547.000. — Weitere nennenswerte Minderheiten waren auch die Slowaken, Serben, Kroaten und Bunievazen.

Das Ergebnis war also wirklich überraschend Nach der Nationalität gab es um 514.000 Magyaren mehr als nach der Muttersprache. Das heißt, daß mehr als eine halbe Million Leute, die eine nichtmagyarische Muttersprache anmeldeten, auf Grund der neuen Zählung in die Rubrik der magyarischen Nationalität gelangten. Konkret gewann somit die magyarische Nationalität allein 187.000 Deutsche (das ist über 25 Prozent der Anzahl, die nach der Muttersprache ermittelt wurde).

Kritischer Ausklang

Aus allen geschilderten Statistiken geht einheitlich hervor, daß heute im kleinen Ungarn, das sich mit den Grenzen Trianon-Ungarns deckt, keinesfalls 43 0.0 00 Deutsche leben, die die Voraussetzung zur Aussiedlung haben. Wenn im vergrößerten Ungarn 1941 nur 500.000 Bekenntnisdeutsche gezählt worden sind, so muß diese Zahl heute nicht nur durdi die engeren Grenzen, sondern audi durch Umsiedlung und Flucht wesentlich gesunken sein. Aus dem Gebiet des heutigen Ungarn sind einerseits mehrere 10 000 Volksdeutsche der Schwäbischen Türkei, ebenso weitere 10.00C aus dem Bakony-wald nach Deutschland im Zuge der letzten Kriegsphase umgesiedelt worden Auch aus Westungarn sind zahlreidie Deutsche nach Deutschland gekommen oder auf österreichischen Boden übergetreten.

Wenn man bedenkt, daß nicht wenige Deutsche der sogenannten „Treuebewegung“ nahegestanden sind, die, durdi den Apatiner katholischen Pfarrer Berencz geführt, d i e G1eichscha11ungsp o 1 itik des DrittenReiches scharf ablehnte — wenn man weiter die Tatsache beadntet, daß in der. Schwäbischer Türkei größter Widerstand gegen den Eintritt in die Waffen-SS. vorhanden war, so muß man wohl auch annehmen, daß die Zahl der sich

zur Demokratie bekennenden Volksdeutschen nicht verschwindend gewesen ist.

Wenn daher die eingangs geschilderten Verordnungen vorurteilslos durchgeführt werden, können nicht mehr als vielleicht 300.00 Volksdeutsche dem Umsiedlungsprozeß anheimfallen. Im Interesse der Menschlichkeit ist zu hoffen, daß diese Verordnungen wenigstens in diesem geringeren Umfange tatsächlich durchgeführt werden.

1 mag Segrerfffch ein, da8 Ungarn die

Aussiedlung der deutschen Minderheit begrüßt in der Hoffnung, dadurch ein ethnisch einheitliches Gebiet zu erhalten; andererseits aber muß auch erinnert werden, welche große Rolle Ungarn deutscher Abkunft in ihrem Vaterlande gespielt haben, daran schließlich, daß nicht wenige Freiheitskämpfer schon zur Zeit Kossuths Träger deutscher . Namen waren. Sowohl in den

Stadien, wenn jwjdfi dort vleffich assitnificrt,wie auch am flachen Lande als fleißige Bauern und Kleinbesitzer, haben die Volksdeutschen, bevor sie der Propaganda des Dritten Reiches erlagen, ein jahrhundertelanges Verdienst um den Emporstieg ihrer Heimat gehabt. Erst die Zukunft wird zeigen, ob Ungarn durch die Aussiedlung dieses strebsamen Bevölkerungsteiles wirklich' eine Bereicherung erfährt.' D e 1 i n .

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