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Endlösung der nationalen Frage

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Vor unser aller Augen wird die ungarische Nationalität in Siebenbürgen zerstört. Rumäniens Dörfer (und Menschenrechte) werden einer brutalen Politik geopfert.

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Vor unser aller Augen wird die ungarische Nationalität in Siebenbürgen zerstört. Rumäniens Dörfer (und Menschenrechte) werden einer brutalen Politik geopfert.

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Man traut den Ohren nicht. Was Flüchtlinge aus Rumänien — ob Rumänen oder Angehörige von Minderheiten — berichten, übersteigt jede Vorstellung von dem, was am Ende des 20. Jahrhunderts im Reich Nicolae Ceausescus passiert. Ein größenwahnsinniger Diktator zieht seine politischen Programme — wirtschaftlicher, sozialer und gesellschaftlicher Natur — beinhart durch, ohne Rücksicht auf Traditionen oder auf seit Jahrhunderten gewachsene Kulturen.

Von Ceausescus gesellschaftspolitischen Veränderungen besonders betroffen sind die Minderheiten: die Magyaren Siebenbürgens und die Banater Schwaben. Das Bukarester „Programm der Siedlungsumstrukturierung“, das bis zur Jahrtausendwende eine Reduzierung der Zahl der gegenwärtig dreizehntausend Dörfer auf weniger als die Hälfte vorsieht, führt zum Entzug der Lebensgrundlage vor allem der ungarischen Minderheit. Hunderttausende von Menschen — auch Rumänen selbst — werden im Zuge dieser „Modernisierung“ des Landes die Möglichkeit zur Pflege ihrer Traditionen und Volkskulturen verlieren.

Für einen vor kurzem aus Ko-lozsvar/Klausenburg (Cluj) nach Ungarn geflüchteten Ingenieur ist das „die Endlösung der nationalen Frage“ in Rumänien.

Im Budapester Außenamt wird man zusehends nervöser, zumal eine informierte Öffentlichkeit sich immer deutlicher mit der leidenden Minderheit in Transsyl-vanien solidarisch erklärt. Bewußtseinsbildend wirkte hier die vor mehr als einem Jahr vom ungarischen Kulturminister Bela Köpeczi herausgegebene dreibändige „Geschichte Siebenbürgens“ (FURCHE 12/1987).

Falls der ungarische Regie-rungs- und Parteichef Käroly Grösz tatsächlich nach Rumänien fahren sollte, kann er sich auf die weitgehende Unterstützung der einheimischen Öffentlichkeit berufen. Eine Chance, die seine Vorgänger stets mit dem Argument ignorierten, die Bevölkerung sei nationalistisch gesinnt, und das habe in der „sozialistischen“ Gesellschaft keinen Platz.

Was -.passiert gegenwärtig in Siebenbürgen? Ein in Wien lebender Flüchtling aus Siebenbürgen, ungarischer Nationalität, Schauspieler, ständig in Kontakt mit Exilanten aus Rumänien, erzählt, daß gegenwärtig ungarische Namen von Städten und Dörfern nicht mehr verwendet und in Zeitungsartikeln nicht genannt werden dürfen. Sogar in ungarischen Texten müssen rumänische Ortsbezeichnungen für alte ungarische oder deutsche Siedlungen herangezogen werden.

Der verängstigt wirkende Schauspieler—über seine Probleme mit dem rumänischen Staat ist er nicht zu sprechen bereit — hat keine Nachricht darüber, ob tatsächlich schon ein ungarisches Dorf in Siebenbürgen abgesiedelt worden ist. Untergrundzeitungen hätten kolportiert, daß Leute aus der Ortschaft Toroczko bereits vertrieben worden wären, nachdem man zuerst die Hunde getötet hätte, um den nächtlichen Abtransport „in aller Ruhe“ durchführen zu können. Jedenfalls gibt es erste Anzeichen für den Beginn des Umsiedelungsprogramms.

Wahrscheinlich - so der Schauspieler zur FURCHE — werde man noch die Erntezeit abwarten, um dann .loszuschlagen.

Die größer werdende Zahl von Flüchtlingen aus dem Bauernstand - so ein Vertreter des Siebenbürgener Vereins in Wien -sei, nachdem sich die Flüchtlinge bisher nur aus den Reihen der Intelligenz rekrutierten, ein weiteres Indiz für die Unruhe unter der Siebenbürgener Landbevölkerung, die spüre, daß etwas ,4m Anlaufen“ sei.

Warum unternimmt die magyarische Bevölkerung in Siebenbürgen nichts gegen die minderheitenfeindlichen Maßnahmen des Ceausescu-Regimes? Gibt es keinerlei Opposition?

Soeben in Wien eingetroffene Besucher Siebenbürgens sprechen von der Unmöglichkeit, oppositionelle Strukturen in Rumänien aufzuziehen. Geza Szücs, der Herausgeber der einzigen Samis-dat-Zeitung „Ellenpontok“ sei bereits im Westen. Schreibmaschinen müßten jährlich bei den Behörden angegeben und registriert werden. Der Geheimdienst „Securitate“ habe alles fest im Griff und verunsichere die Bevölkerung, indem er Unbotmäßige Personen einfach verschwinden lasse. Lateinamerikanische Zustände mitten im zivilisierten Europa!

Korrespondenz Siebenbürgener Magyaren mit Ungarn ist untersagt. Nicht selten werden Hausdurchsuchungen vorgenommen, weil Ansichtskarten aus Budapest in Wohnungen vermutet werden. Ein eigener Planposten wurde bei der rumänischen Post mit der Aufgabe eingerichtet, jegliche Zuschrift „vorsorglich“ zu lesen. Dies sei jedermann in Siebenbürgen bekannt.

Details werden jetzt auch über die rumänische Kampagne gegen die in Budapest erschienene „Geschichte Siebenbürgens“ bekannt. In Betrieben Transsylva-niens sind Mitarbeiter aufgefordert worden, gegen dieses Werk — obwohl man es ja gar nicht kennen konnte — öffentlich Stellung zu beziehen. Von einem „Winkeljournalisten“ ist einer ungarischen Schauspielerin ein Leserbrief in diesem Sinne unterschoben worden. Auf ihren Protest hin wurde sie gefragt, ob denn das nicht ihre Meinung sei. Seit diesem Zeitpunkt ist sie arbeitslos.

Rumänienflüchtlinge — Rumänen, Magyaren, Deutschsprachige — wirken total verängstigt. Kaum einer, der klar über seine Verfolgungssituation Auskunft gibt. Vor den österreichischen Behörden führt das zu großen Mißverständnissen, weil damit das Kriterium „politischer Flüchtling“ im Sinne der Genfer Konvention nicht klar ersichtlich wird. Menschen aus dem Reich Ceausescus sehen in jeder Amtsperson grundsätzlich einen Feind, einen Spitzel und Gegner, dem nicht zu trauen ist.

Müßten Österreichs Behörden im Wissen um diese Lage nicht doch sensibler mit Emigranten aus diesem Bereich Europas umgehen?

Verschiedene Gruppierungen in Wien, die sich um Rumänenflüchtlinge kümmern, appellieren an die österreichische Regierung, auf die Minderheitenpolitik Ceausescus deutlich zu reagieren. Budapest — so heißt es in diesen Kreisen - sei für diese Aufgabe allein zu schwach. Österreich müsse sich historisch zur Vermittlung zwischen Bukarest und Budapest verpflichtet fühlen.

Dabei müsse man aber die reale Situation in Siebenbürgen im Auge behalten und dürfe sich nicht durch rumänische Propaganda täuschen lassen.

Tatsache sei, daß die minderheitenfeindliche Haltung in Rumänien seit Jahrzehnten „von oben geschürt“ werde und Teil eines gesellschaftlichen „Erziehungsprogramms“ sei. Das geht so weit, daß ungarisch sprechende Kinder erst dann in ihrer Muttersprache grüßen dürfen, wenn sie sich zuvor vergewissert haben, daß der Angesprochene auch Magyare ist.

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