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Überall Auschwitz

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Frägen Sie mich bitte nicht“, sagte mit verzweifeltem Blick eine Budapesterin, die eigentlich wissen müßte, wie heutzutage ein Theaterstück von einem ungarischen Autor aus dem rumänischen Siebenbürgen zur Uraufführung nach Ungarn gelangt. Die Schleichwege sind unergründlich. Zwischen den Urheberrechts-Gesellschaften hüben und drüben herrscht ein vertragsloser Zustand.

Aus Rumänien kommen, wenn dort zufällig einmal ein Stück oder eine Ubersetzung aus Ungarn gespielt wird, auch keine Tantiemen-Abrechnungen. Die Beziehungen sind wegen der brutalen Unterdrückung der ungarischen Minderheit in Rumänien äußerst gespannt. Sie können aber nicht auf der politischen Ebene geregelt werden, man ist schließlich verbündet und im gleichen Lager.

„Was für eine Sprache V\ lobt der Kenner jedes neue Stück von Andräs Sütö. Der jetzt sechzigjährige Schriftsteller, der 1979 mit dem Herder-Preis der Hamburger Stiftung F. V. S. ausgezeichnet worden ist, wird nicht nur aus Solidarität auf vielen Bühnen Ungarns gespielt.

Sein letztes Stück, „Traumkommando“, wurde im vorigen Sommer bei den Burgspielen in Gyula, nahe der rumänischen Grenze, uraufgeführt und ist jetzt im Spielplan des Budapester Vigszinhäz, des Lustspieltheaters. Als Süto endlich wieder einmal eine Reisegenehmigung bekam, konnte er sich diese Inszenierung wie auch die von anderen seiner Stücke auf ungarischen Bühnen ansehen — überall demonstrativ vom Publikum gefeiert.

„Traumkommando“ gibt sich auf den ersten Blick als eine tragische Episode aus dem KZ Auschwitz. Julius Hoffmann gehört zu einem jüdischen Sonderkommando, das dem SS-Arzt Dr. M. bei seinen Experimenten mit Menschen helfen muß, bis es selbst in die Gaskammern geschickt wird.

Dr. M. interessiert sich unter anderem für Zwillingsforschung. Hoffmann hat Zwillinge — Sohn und Tochter. Er will dem Arzt Unterlagen für seine Thesen liefern, daß Zwillinge gleiche oder ähnliche Träume haben — was natürlich schon deshalb unwissenschaftlich erscheint, weil Sohn und Tochter nur zweienge Zwü-linge sein können. Hoffmann schreibt die Träume selbst, er liefert auch noch, als der Sohn bereits getötet worden ist. Die Tochter darf eine Zeitlang dem Arzt als Geliebte dienen (und die Verachtung ihrer Leidensgenossen auf sich laden), bis sich herausstellt, daß sie schwanger ist und der Arzt sie töten lassen muß, weü sonst offenbar würde, daß er Rassenschande begangen hat. Hoffmann macht sich Vorwürfe, weü er seine Kinder nicht retten konnte.

Theater auf dem Theater: Die ganze Geschichte wird heute von einem Ensemble aufgeführt - so erfahren wir nach und nach, daß es in einer Diktatur für eine sprachliche Minderheit spielt. Der Schauspieler Man6 hat es geschrieben und spielt selbst den Hoffmann. Er hat eigene KZ-Erlebnisse verwendet.

Auch er hat zwei Kinder, die als Schauspieler im Stück mitwirken. Der Sohn hat als Fünfzehnjähriger einen Konflikt mit der Polizei gehabt und ist zu einer Freiheitsstrafe verurteüt worden. Er soll sie mit Vollendung des 18. Lebensjahres antreten. Man erwartet für den Abend den Staatschef in der Vorstellung. Tamäs will von der Bühne herab ein Gnadengesuch an ihn richten. Die Polizei hat davon erfahren und bewacht ihn.

Der Theaterintendant, der auch den KZ-Arzt spielt, will den Konflikt vermeiden, verhält sich nach Ansicht Manos opportunistisch und ähnlich feige, wie sein Hoffmann seinerzeit im KZ. Als dann der Sohn eine unbedachte Bewegung macht und von einem nervösen Polizisten erschossen wird, hat sich Manö schon so sehr in seine Hoffmann-Rolle gesteigert, daß er den KZ-Arzt und Theater-Intendanten erschießt. Der Staatschef aber hatte seinen Besuch im Theater kurzfristig abgesagt.

Das mag, in simpler Nacherzählung, reißerisch wirken. Man mag auch einwenden, daß Auschwitz und die Unterdrückung der ungarischen Minderheit in Rumänien sich nicht vergleichen lassen. Aber ist es wirklich sinnvoll, Vergangenheitsbewältigung immer nur historisch zu betreiben? Gibt es nicht immer neue Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen die man - mit einem nach Auschwitz geschärften Empfinden — auftreten muß?

Die Ungarn sehen sich heute in Rumänien als die neuen Juden, als die verachtete und drangsalierte Minderheit. Das ist subjektiv ein Faktum. Unterdessen läßt Ceausescu seine Historiker an einer Nebenfront kämpfen, wenn schon die politische Ebene wenig Möglichkeiten bietet. Nicht nur streiten seit Jahrzehnten ungarische und rumänische Archäologen, wessen Volk zuerst im Karpatenbecken war. Es gibt auch chauvinistische Sünden der Ungarn im späten 19. Jahrhundert wie während des Zweiten Weltkrieges, als ein Teü Siebenbürgens vorübergehend wieder zu Ungarn gehörte. Und die Rumänen können auf antisemitische Ausschreitungen der Ungarn hinweisen, während sie selbst relativ wenig auf diesem Gebiet gesündigt haben.

So mag der Vergleich der heutigen Lage in Rumänien mit Auschwitz nicht ganz^glücklich gewählt sein. Aber Süto will ja auch nur anprangern, daß immer wieder Menschen wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu einer Rasse oder einer Kultur verfolgt werden.

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